An den Pop-up-Radwegen, wie hier in am Halleschen Ufer, scheiden sich die Geister.
An den Pop-up-Radwegen, wie hier in am Halleschen Ufer, scheiden sich die Geister. Foto: dpa/Paul Zinken

Berlin - Damit die Berliner Pop-up-Radwege erhalten bleiben, gehen Radfahrer auf die Straße. Am Mittwochabend demonstrierten rund 600 Menschen für den Erhalt der provisorischen Radfahrstreifen – und kritisierten die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, das einem AfD-Politiker recht gegeben und die Entfernung von acht vorläufigen Radwegen angeordnet hatte. Die Demo führte vom Kottbusser Tor zum Hermannplatz, auf dem Fahrrad, versteht sich. „Für uns ist es absurd, dass laut Gericht eine nachträgliche Begründung zur Verkehrssicherheit gebraucht wird“, erklärte Lisa Feitsch, Sprecherin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) Berlin. Es sei offensichtlich, dass sie die temporären Radwege Sicherheit erhöhen.

„Es ist doch kurios“, sagte sie. „Wir sind mit der Klimakrise konfrontiert. Es ist ganz klar, wir brauchen die Verkehrswende“ – aber nun sollten wesentliche Elemente entfallen. Es überrascht nicht, dass Feitsch neben den ökologischen noch eine ganze Reihe weiterer Gründe für mehr Radverkehr in Berlin einfallen.

Mit der Corona-Krise hat sich das Thema Pop-up-Radwege zum Berliner Politikum entwickelt. Der Lockdown und die Zeit im Homeoffice haben den Autoverkehr im Frühjahr ausgedünnt. Dazu kam die Angst vor der Ansteckungsgefahr im öffentlichen Personennahverkehr – zumindest die Verkehrsteilnehmer, die es konnten, sind aufs Rad umgestiegen. So waren im Juni rund 25 Prozent mehr Fahrräder im Straßenverkehr unterwegs, so der ADFC in einer Veröffentlichung. Allein aus Platzgründen seien die Radwege daher schon sinnvoll, findet Feitsch.

Eine Radfahrerin ist auf dem Pop-up-Radweg auf der Skalitzer Straße in Kreuzberg unterwegs.
Eine Radfahrerin ist auf dem Pop-up-Radweg auf der Skalitzer Straße in Kreuzberg unterwegs. Foto: dpa/Paul Zinken

Auf diesen Umstand hatte der Senat im April mit den sogenannten Pop-up-Radwegen reagiert. Über 25 Kilometer ziehen sie sich in unterschiedlichen Bezirken an den Hauptstraßen entlang. Acht davon seien jedoch nicht rechtmäßig begründet worden, hieß es nun am Montag vom Berliner Verwaltungsgericht. Geklagt hatte ein AfD-Politiker. Es fehle der Beleg, ob an den betreffenden Stellen die Fahrradfahrer auch wirklich gefährdet seien und somit der Grund für die Pop-up-Radwege, die eine sichtbare Trennung der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer, Autofahrer und Radfahrer, vornehmen.

Die Unfallstatistik verzeichnete in diesem Jahr allerdings bereits 14 Menschen, die durch einen Fahrradunfall ums Leben kamen – trotz der abgetrennten Radwege. Zu diesem Zeitpunkt waren es 2019 „nur“ fünf tödliche Unfälle. Im März und April, also während des Lockdowns, habe es allerdings keinen einzigen gegeben, hält Feitsch dagegen: „Die Gefahr geht eindeutig vom motorisierten Verkehr aus“, behauptet jedenfalls die Sprecherin. Auch deshalb seien die vom Pkw- und Lkw-Verkehr getrennten Abschnitte auf den Straßen so wichtig. 80 Prozent der Radunfälle passieren mit Kraftfahrzeugen, die „häufigsten mit abbiegenden Lkw“, so die Sprecherin der Fahrrad-Clubs.

Auch der Verein Changing Cities e.V. setzt sich seit mehreren Jahren für die Verkehrswende und damit für bessere Radwege ein. Sprecherin Ragnhild Sørensen sieht in der Klage eine Blockade der Verkehrswende auf höherer Ebene. Sollten die Radwege wieder gekippt werden, „dann hat nicht nur Berlin ein Problem. Dann hat ganz Deutschland ein Problem“, so Sørensen. Auf einen Rückbau der Strecken, befürchtet sie, würde ein Arbeitsaufwand folgen, der „sich nur auf die Nachweise für jeden Straßenabschnitt“ beziehe – und die eigentliche Planung sinnvoller Fahrradstrecken „irrsinnig“ verlangsamen. Die Absicht dahinter sei die bürokratische Blockade, sagt Sørensen. Sollten die Pop-up-Radwege tatsächlich wieder von den Straßen genommen werden, „hätten wir eine Situation wie vorher, Gefahrensituationen ohne Ende“.

Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) ist zuständig für die Fahrrad-Politik im Land Berlin.
Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) ist zuständig für die Fahrrad-Politik im Land Berlin. Foto: dpa/Wolfgang Krumm

Solange die Beschwerde läuft, haben die Fahrradfahrer nicht vor, von den Straßen zu weichen. Im Gegenteil: Der ADFC fordert den Senat in einer Pressemitteilung einerseits „dazu auf, mit der sinnvollen Anordnung von Pop-up-Radwegen weiterzumachen und diese für weitere Straßen mit der Verbesserung der Verkehrssicherheit für Radfahrende zu begründen“. Weiterhin ruft der Verband auf, „zeitgleich zur Beschwerde, weitere Pop-up-Radwege mit neuer Begründung“ einzurichten.

Die Vertreter der Initiativen berufen sich auch auf das 2018 beschlossene Mobilitätsgesetz. Dort ist vorgeschrieben, dass an jeder Hauptverkehrsstraße sicheres Radfahren möglich sein soll. Die neuen Radwege seien nur die Umsetzung dessen, „was im Großteil längst beschlossen war“, sagt Feitsch.