Es ist ein offenes Geheimnis, dass das System der Lehrerfortbildung in Deutschland hoffnungslos veraltet ist.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass das System der Lehrerfortbildung in Deutschland hoffnungslos veraltet ist. Foto: imago images/Ikon Images

Die Wirklichkeit, die in deutsche Schulen einzieht, ändert sich in atemberaubendem Tempo. Doch ausgerechnet Lehrerinnen und Lehrer bekommen kaum die Möglichkeit, mit diesen Veränderungen Schritt zu halten. Berufliche Weiterentwicklung? Lebenslanges Lernen? Fehlanzeige.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass das System der Lehrerfortbildung in Deutschland hoffnungslos veraltet ist. Die Adjektive, die Kenner und Konsumenten der sogenannten regionalen Fortbildungsstätten in den Mund nehmen, sind: verstaubt, dröge und trostlos. Was fehlt, ist ein frischer Wind, der durch Markt und Wettbewerb entsteht.

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Ein junger Unternehmer, der überlegt, in den Markt einzusteigen, schleuste sich einmal undercover in eine regionale Fortbildungsstätte in Berlin sein. Sein Urteil: „So schrecklich! Diese Einrichtungen kommen aus einem anderen Jahrhundert. Die Themen sind total uninspiriert, die Dozenten ehemalige Lehrer, die mal im Beruf waren und jetzt schon lange nicht mehr sind. Wer aus der Wirtschaft kommt und ganz andere Trainings gewohnt ist, merkt: In der Welt der Schulen scheint das Thema ‚Human Ressources‘ noch nicht wirklich angekommen zu sein. Zu den Schulleiterausbildungen müssen sich Teilnehmer ihre eigenen Teebeutel mitbringen, weil es in den Seminarräumen nur heißes Wasser gibt. Das ist ein unwichtiges Detail, aber doch bezeichnend.“

Die sieben Ideen für den eiligen Leser: So können sich unsere Lehrer auf den Unterricht in der Welt von morgen vorbereiten.

  • Crashkurs Digitalisierung – Schulen dürfen eine Lockdownwoche dafür nutzen
  • Mehr Zeit und disponibles Budget für Fortbildung – für Schulen und Lehrkräfte
  • Digitale Lehrerfortbildungsplattform anschieben – Bund und Länder kooperieren
  • Reform der regionalen Fortbildungsstätten – aktuelle Themen, anspruchsvolle Formate und profilierte Dozenten für die Kurse in Präsenz
  • Einen florierenden Markt für Fortbildungen schaffen – mehr private Anbieter zulassen, Zertifizierung überdenken
  • Festschreibung einer bundesweiten Fortbildungspflicht – und zugleich mehr Initiative bei Schulen und Lehrkräften fordern und ermöglichen
  • Diversifizierung des Angebots: online und offline, Mikro- und Makroeinheiten, schulexterne und schulinterne Fortbildungen etablieren

Crashkurs Digitalisierung – Schulen dürfen eine Lockdownwoche dafür nutzen Mehr Zeit und disponibles Budget für Fortbildung – für Schulen und Lehrkräfte Digitale Lehrerfortbildungsplattform anschieben – Bund und Länder kooperieren Reform der regionalen Fortbildungsstätten – aktuelle Themen, anspruchsvolle Formate und profilierte Dozenten für die Kurse in Präsenz Einen florierenden Markt für Fortbildungen schaffen – mehr private Anbieter zulassen, Zertifizierung überdenken Festschreibung einer bundesweiten Fortbildungspflicht – und zugleich mehr Initiative bei Schulen und Lehrkräften fordern und ermöglichen Diversifizierung des Angebots: online und offline, Mikro- und Makroeinheiten, schulexterne und schulinterne Fortbildungen etablieren

Auch unter Lehrern hat sich längst herumgesprochen, dass man in diese Fortbildungsstätten nicht geht, um der Weisheit letzten Schluss zu erfahren. Gerade wenn es um Digitalisierung geht. „Es gibt Powerpoint- und Excel-Schulungen von vor zwölf Jahren!“, sagt eine junge Lehrerin und seufzt.

Senatsmitarbeiterin Annett Kreuziger, die im Referat für Fortbildung arbeitet, erklärt im Gespräch mit der Berliner Zeitung, dass die regionalen Fortbildungsstätten technisch ähnlich schlecht ausgestattet seien wie die Schulen. Auch hier fehlt es am Nötigsten: an schnellem Internet, an Geräten. Wie soll man Lehrerinnen und Lehrer in die Geheimnisse der digitalen Bildung einführen, wenn man selbst nicht das „Zeug“ dazu hat?

Immerhin berichtet Kreuziger stolz, dass sie durch Corona nun angefangen haben, auch Online-Webinare für Lehrkräfte anzubieten. „Die sind zwischen 90 Minuten und zwei Stunden lang und werden sehr gut angenommen. Viele wissen zu schätzen, dass sie sich nicht noch ins Auto setzen und weite Anfahrtswege in Kauf nehmen müssen. Und sogar Angebote am Freitagnachmittag, die als Präsenzkurse keine Chance hätten, werden auf einmal frequentiert.“ Die schlechte Nachricht: Bisher ist die Zahl der Webinare noch äußerst überschaubar. Und vor Corona gab es so gut wie gar nichts.

Karin Stolle, Leiterin der Schule in der Jungfernheide, plant die nächste Schulwoche mit ihrem Team.
Karin Stolle, Leiterin der Schule in der Jungfernheide, plant die nächste Schulwoche mit ihrem Team. Foto: Berliner KURIER/Markus Wächter

Viele Lehrerkollegien sind auf den Lockdown nicht vorbereitet. Was sie gebraucht hätten, wäre ein Crashkurs in Sachen Digitalisierung gewesen. Die Bildungsverwaltungen hätten zum Beispiel eine Woche vor oder nach den Sommerferien blockieren und erfahrene Kräfte aus der Privatwirtschaft bitten können, in die Schulen zu gehen und die Lehrkräfte bei ihren ersten Schritten in die digitalen Lernräume zu begleiten.

Das ist nicht passiert. Deshalb haben manche Berliner Schulen sich selbst geholfen. In der Schule an der Jungfernheide wurde die letzte Woche vor den Sommerferien kurzentschlossen für eine schulinterne Fortbildung reserviert – mit zehn Modulen zu Fragen wie: Auf welche Weise verbinde ich Präsenz- und Fernunterricht? Wie arbeite ich mit dem Lernraum Berlin? Wie unterstütze ich lernschwache Kinder per Video?

Digitalaffine junge Kolleginnen hatten sich in Windeseile schlau gemacht und dann versucht, ihr frisches Wissen weiterzugeben – während die Schüler zu Hause mit einer „Nachhaltigkeitschallenge“ beschäftigt wurden. Natürlich gab es meuternde Eltern. Aber inzwischen sind sie dort heilfroh, dass die Schule für die aktuellen Herausforderungen gut aufgestellt ist.

„Diese Woche hat den Zusammenhalt im Kollegium gestärkt und Vertrauen geschaffen“, sagt Schulleiterin Karin Stolle. „Die Kolleginnen und Kollegen wissen jetzt, an wen sie sich wenden können, wenn sie mal nicht weiterkommen. Das ist extrem wertvoll in einer Zeit, in der wir alle ziemlich am Limit arbeiten. Oder schon weit darüber hinaus.“ Die Initiative an dieser Schule ist beeindruckend – und eine Form der ersten Hilfe. Doch nicht alle Kollegien haben das Glück, digitalaffine junge Leute in ihren Reihen zu haben, die als „change agents“ fungieren können. Und viel mehr ist nötig, um das System der Lehrerfortbildung in Deutschland zu modernisieren.

Stephan Bayer, Gründer von sofatutor, einem der führenden EdTech-Unternehmen Europas, in Friedrichshain.
Stephan Bayer, Gründer von sofatutor, einem der führenden EdTech-Unternehmen Europas, in Friedrichshain. Foto: Berliner KURIER/Benjamin Pritzkuleit

In Deutschland gibt es rund 800.000 Lehrer. Stephan Bayer, der Gründer von sofatutor, sagt: „Wenn man die alle offline fortbilden wollte, dauert das zehn Jahre. Ich glaube stark daran, dass wir eine digitale Lehrerfortbildungsplattform bauen sollten. Das ist eine Aufgabe, die der Bund sich schnappen könnte, und die Länder würden vielleicht sogar Applaus klatschen. Das Schöne daran: Wenn die Lehrer selbst in die Rolle des Online-Lerners schlüpfen und spüren, wie cool das sein kann, dann wollen sie auch Online-Lehrer werden. Das wäre ein pädagogischer Doppeldecker.“

Was Bayer vorschwebt, sind „Mikrofortbildungen“: inspirierende Videos, die zwischen fünf und 30 Minuten lang sein können – und die man auch zwischendurch im Lehrerzimmer anschauen kann. „Denn so einen ganzen Tag in einem Seminarraum rumzuhocken, ist das noch zeitgemäß?“, fragt er. Hinzu kommt, dass es durch den eklatanten Lehrermangel für Schulleitungen zunehmend schwierig ist, Kollegen für einen oder gar mehrere Tage freizustellen.

Die erste Modernisierungsmaßnahme könnte also sein, mehr Online-Fortbildungen zu entwickeln und vielleicht sogar eine bundesweite Plattform. Dann müssten die regionalen Fortbildungsstätten gründlich reformiert werden – und mit ihnen die Art und Weise, wie Erwachsene Präsenzunterricht erhalten. Denn dass der direkte menschliche Austausch von unschätzbarem Wert ist, die Begegnung mit Kollegen aus anderen Schulen und Fachbereichen – daran besteht kein Zweifel.

Hier fehlt es zunächst an aktuellen Themen, anregenden Formaten und profilierten Dozenten. Wie großartig wäre es, wenn man etwa die pädagogischen Talente, die jetzt im Twitterlehrerzimmer und auf Barcamps ihr Wissen teilen, dafür gewinnen und angemessen bezahlen könnte! Aber dafür müssten wir zunächst etwas anderes schaffen: einen gesunden und florierenden privaten Markt für Fortbildungen.

„Wenn ich mir etwas wünschen könnte“, sagt Bayer, „dann eine Welt, wo ich diese Talente einladen könnte, andere Lehrerinnen und Lehrer einzuführen in ihre Vision von digitaler Bildung.“

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Bisher sind die Lehrkräfte daran gewöhnt, dass sie ihre Fortbildungen kostenlos bekommen. Vom Staat, vom Land und von den Kommunen. Und sie wissen auch, dass fast nur diese staatlichen Anbieter das Recht haben, ihnen die Zertifikate auszustellen, die sie zur offiziellen Validierung ihrer Fortbildung brauchen. Nur ganz wenige private Anbieter – wie die Cornelsen-Akademie – haben es nach jahrelangen Anstrengungen geschafft, sich vom Staat zertifizieren zu lassen. Nur durch diese Zertifizierung erwerben sie das Recht, Zertifikate für die Lehrerinnen und Lehrer auszustellen.

Klingt sehr bürokratisch, und das ist es auch. Deshalb müsste man diesen Zertifizierungsprozess dringend beschleunigen und erleichtern. Und dann sicherstellen, dass die einzelnen Schulen und Lehrkräfte mehr Ressourcen zugesprochen bekommen – mehr Zeit und mehr frei verfügbares Geld, um exzellente Fortbildungen zu realisieren.

„Im Vergleich zu anderen Ländern wird in Deutschland sehr viel Geld für Bildung ausgegeben“, sagt Stephan Bayer. „Aber alles ist gebunden – für Gehälter, Lehrmittel, Essen, Reinigung, Transport etc. Es gibt nur wenig disponibles Budget, und deshalb können die Schulleitungen nur wenig gestalten.“ Ein bis zwei Studientage pro Jahr – mehr haben sie in der Regel nicht, um ihre Mannschaft „up to date“ zu halten.

Viele Schulen und Lehrkräfte organisieren gar nichts, wenn das Jahr lang ist. Deshalb wäre es klug, eine bundesweite Fortbildungspflicht einzuführen – und gleichzeitig das Erwartungsmanagement zu ändern: Es reicht nicht, darauf zu warten, dass der Staat etwas Interessantes bietet. Schulen und Lehrkräfte dürfen und müssen selbst Initiative entwickeln.

Dafür reichen keine Eintagsfliegen – und die Bildungslandschaft muss sich stark diversifizieren. Alles ist willkommen: oberflächliche Fort- und tiefgreifende Weiterbildung, Online und Präsenz, Kurse in Minuten-, Tages-, Wochen-, Monats- und Jahreslänge, Veranstaltungen außerhalb und im Innern der Schule. Denn diese Mischung erlaubt den Abschied von der jetzigen Monokultur.

Foto: David Weyand
Die Deutsche Schulakademie

Sie entwirft außergewöhnliche Fortbildungscurricula, die sich über einen Zeitraum von anderthalb Jahren erstrecken. Es geht um die großen Zukunftsthemen wie digitale Bildung, Umgang mit Geflüchteten oder Demokratiepädagogik. Als Dozenten werden herausragende Schulleiter- und Lehrerpersönlichkeiten aus dem Netzwerk des deutschen Schulpreise rekrutiert. Schulen werden eingeladen, einen oder zwei Vertreter zu schicken, die später als „change agents“ fungieren können. Zwischen den Kurseinheiten kehren die Teilnehmer zurück in ihren Alltag, um die neuen Konzepte auszuprobieren und umzusetzen. Die Deutsche Schulakademie wird geführt von Hans Anand Pant (im Bild), Professor für Erziehungswissenschaften an der Humboldt-Universität.

Professor Hans Anand Pant, Geschäftsführer der Deutschen Schulakademie, beschreibt es so: „Ein einzelner Lehrer besucht eine einzelne Fortbildung und kehrt zurück an seine Schule. Dort verfliegt nach kürzester Zeit sein anfänglich noch vorhandener Wille, das Neugelernte umzusetzen. Weil es sich gegen bestehende Alltagsroutinen im Kollegium nicht durchsetzen kann.“

Deshalb plädiert Pant dafür, die Fortbildungen in einen langfristigen Prozess der Schulentwicklung einzubetten und auf schulinterne und schulübergreifende Formate zu setzen, bei denen Input-, Erprobungs- und Reflexionsphasen verschränkt sind. „In der Corona-Zeit haben wir ja gesehen, was für eine euphorische Aufbruchsstimmung das erzeugen kann, wenn Kollegien gemeinsam loslegen, Neues ausprobieren und mit einer anderen Fehlerkultur an die Sache herangehen.“

Karin Stolle würde diesen Satz sicher unterschreiben. Sie sagt: „Es war berauschend, dass auf einmal alle auf dasselbe Ziel hinarbeiteten.“ Von diesem Rausch brauchen wir mehr an deutschen Schulen.