Kampf ums Überleben
Sie pflegen ihren todkranken Sohn! Berliner Eltern klagen an: „Wir fühlen uns vom Staat allein gelassen“
Manuela und Marko W. aus Mahlsdorf pflegen ihren schwerkranken Sohn und bekommen kaum Unterstützung.

Tobias hält seine Zeichentrickpuppe Diego im Arm. Sie ersetzt seine fehlenden sozialen Kontakte in der Pandemie. So wie seine anderen Kuscheltiere: Hund Bobby, eine Elfe und ein Weihnachtsmann. Der 25-Jährige ist mehrfach geistig und körperlich behindert und schwer herzkrank. Laut seiner Ärzte hat er kein langes Leben mehr vor sich. Das macht seine Eltern Manuela und Marko W. aus Mahlsdorf sehr traurig und deshalb wollen sie ihrem Sohn die restliche Zeit so schön wie möglich machen.
Für die 24-Stunden-Pflege ihres Sohnes kann sich der Vater nur vorübergehend unbezahlt von der Arbeit freistellen lassen. Das ist für die Familie mit starken finanziellen Einbußen verbunden, denn es gibt für pflegende Angehörige in Deutschland bislang noch keine Lohnersatzleistung.
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„Es ist der Wunsch unseres Kindes in seinem Zuhause zu bleiben und dem werden wir nachkommen“, sagt Marko W. Seit Wochen kämpft er gemeinsam mit seiner Ehefrau darum, seinen Sohn zu Hause betreuen zu können. Eine Mitarbeiterin des Medizinischen Dienstes habe geraten, Tobias in eine stationäre Pflegeeinrichtung zu geben. Doch für die Eltern ist das keine Option. Nicht nur weil sie ihrem schwerkranken Kind das Recht auf Mitbestimmung nicht nehmen wollen, auch weil sie Sorge haben, dass es sich dort mit Covid-19 infizieren könnte. Denn Tobias, der von seiner Familie liebevoll Tobi genannt wird, kann nicht geimpft werden, weil seine Herzleistung nur noch 30 Prozent beträgt.
In der Klinik diagnostizierte ein Herzchirurg ein zu großes Herz
„Machen Sie Ihrem Sohn noch eine schöne Zeit“, hätten seine Ärzte zu ihnen gesagt. Anfang des Jahres bekam Tobias plötzlich hohes Fieber und eine Sepsis, mehrere seiner Organe versagten. In der Klinik diagnostizierte ein Herzchirurg ein zu großes Herz und eine undichte Herzklappe. „Tobias wurde in ein künstliches Koma versetzt. Unsere größte Befürchtung war, dass wir ihn im Krankenhaus zurücklassen müssen, denn die Überlebenschancen standen sehr schlecht“, erinnert sich die Mutter. Nach einer Operation konnte Tobias' Herzleistung lediglich um 20 Prozent verbessert werden. „Einen Defibrillator hätte man ihm aufgrund seiner Behinderung nur unter Vollnarkose einsetzen können und das Risiko wäre zu hoch gewesen, dass er nie wieder aufwacht“, sagt sie.
Wie viele Tage, Wochen, Monate oder Jahre ihr Sohn mit der geringen Herzleistung noch überlebt, kann auch kein Mediziner vorhersagen. Deshalb weiß Marko W. auch nicht, wie lange er in seinem Job als Medientechnologe in einem Berliner Druckhaus ausfallen wird. Momentan ist er derjenige, der Tobias pflegt. „Mein Mann hat mehr körperliche Kraft als ich, die man bei unserem Sohn mit seinen 1,90 Meter schon haben sollte“, erklärt Manuela W. Sie selbst arbeitet Teilzeit in einer Kindertagesstätte als Erzieherin. Und deshalb lebt sie ständig in Angst, sich bei der Arbeit zu infizieren und dann das Virus an ihr Kind weiterzugeben. „Ich bin geimpft und teste mich täglich. Trotzdem bleibt ein Restrisiko“, weiß sie. Aber ihr bleibt keine andere Wahl, denn sie ist die Hauptverdienerin.

Bislang war Marko W. viele Wochen krankgeschrieben, weil er überfordert war mit den Belastungen und Sorgen um sein Kind und zu erschöpft, um arbeiten zu gehen. Unzählige Tage und Nächte schon hat er am Krankenbett seines Sohnes gewacht. Er hat sich ein Sofa ins Zimmer seines Sohnes gestellt und schläft dort direkt neben ihm. Mehrmals wacht Tobias mitten in der Nacht auf, weil er sich von den vielen Medikamenten permanent übergeben muss. „Er wiegt inzwischen nur noch 52 Kilo“, sagt sein Vater. Er muss Tobias täglich füttern, weil er nicht mehr allein essen kann. Bis er sein Frühstück oder sein Mittagessen aufgegessen hat, vergeht eine ganze Stunde. Tobias ist auf den Rollstuhl angewiesen, er kann nur noch wenige Schritte gehen und er braucht Hilfe beim An- und Ausziehen, beim Waschen und kann auch nicht allein zur Toilette gehen. Bei allem unterstützt ihn sein Vater. Rund um die Uhr.

Es gibt Momente, in denen die Eltern verzweifeln, weil sie nun auch noch Existenzängste haben und sich fragen, wie sie die Raten für ihr Haus von nur einem Teilzeit-Gehalt zahlen sollen. Während sein Arbeitgeber sehr viel Verständnis zeige, dass er schon sehr lange krankgeschrieben sei, habe ihm die Krankenkasse starken Druck gemacht, dass er wieder arbeiten gehen soll. Vom Medizinischen Dienst sei er als arbeitstauglich eingestuft worden, erzählt Marko W. Es bleibt nur ein Weg: Marko W. müsste sich von seinem Arbeitgeber freistellen lassen, aber er erhält dann in dieser Zeit kein Geld.
„Es gibt momentan keine Lohnersatzleistung dafür“, sagt Petra Kather-Skibbe von der Fachstelle Vereinbarkeit in Berlin, die pflegende Angehörige wie das Ehepaar W. berät. Die Leistung von 728 Euro von der Pflegeversicherung für Tobias und ein zinsloses Darlehen vom Staat, das die Familie in Anspruch nehmen könnte, aber nur einen Teil des Einkommens ersetzt und innerhalb eines bestimmten Zeitraums zurückgezahlt werden muss, ist ihr einziger Hilfebetrag. Er könne das nicht begreifen, warum sie so wenig finanzielle Hilfe erfahren, sagt Marko W. Denn wenn ihr Sohn in einer Pflegeeinrichtung wäre, würde es den Staat viel mehr als 728 Euro kosten.
„Wir fühlen uns vom Staat im Stich gelassen“, sagt Manuela W. Das ist auch der Grund, warum sich das Paar an die Öffentlichkeit gewendet hat. „Wir wollen auf die schwierige Lage pflegender Angehöriger aufmerksam machen, denn wir sind kein Einzelfall. Nur haben manche längst nicht mehr die Kraft zu kämpfen.“ Ihr verzweifelter Brief Anfang November an die SPD-Landeschefin und designierte Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, sei bislang unbeantwortet geblieben. Denn die Hoffnung von Tobias' Eltern liegt auf dem neuem Koalitionsvertrag.
Marko und Manuela W. haben schon viel gekämpft in den letzten 25 Jahren
Darin wird unter anderem erwähnt, dass die häusliche Pflege gestärkt werden soll und auch Familien von Kindern mit Behinderung einbezogen werden sollen. Außerdem ist auch von einer „Lohnersatzleistung im Falle pflegebedingter Auszeiten“ die Rede. „Auf Berliner Ebene wird schon viel getan, um die Wertschätzungskultur für pflegende Angehörige zu verbessern, aber an der finanziellen Anerkennung mangelt es leider noch immer“, betont Petra Kather-Skibbe.
Marko und Manuela W. haben schon viel gekämpft in den vergangenen 25 Jahren. Ein Jahr nach der Geburt ihres zweiten Sohnes bemerkten die Eltern, dass er in seiner Entwicklung gegenüber anderen Kinder in seinem Alter weit zurücklag. „Er konnte weder sitzen noch stehen und hatte keine Muskeln“, sagt seine Mutter. Nachdem der Kinderarzt ihre Sorgen zunächst als unbegründet ansah, diagnostizierte ein Facharzt schließlich das Marfa-Syndrom, eine genetisch bedingte Erkrankung des Bindegewebes.
„Wir waren zuerst völlig geschockt, aber dann war uns schnell klar, dass uns nichts anderes bleibt, als unser Schicksal anzunehmen und uns sämtlichen Herausforderungen zu stellen“, betont Manuela W. Sie haben ihrem Kind durch ihre Beharrlichkeit einen Platz in einer Regel-Kita ermöglicht, ihn auf eine Schule gegeben, die ihn förderte und zuletzt haben sie sich dafür stark gemacht, dass er einen Platz in einer Behindertenwerkstatt erhält. Dort kann er nun aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr hingehen.
Nun stehen sie vor der größten Herausforderung ihres Lebens. Sie müssen langsam Abschied nehmen von ihrem geliebten Kind. Und das möchten sie gern friedlich in ihrer häuslichen Umgebung, ohne sich dabei verschulden zu müssen. Marko W. hat nun auch noch einen Tinnitus durch den Stress bekommen und ist erneut nicht arbeitsfähig.
Doch trotzdem wollen Marko W. und seine Ehefrau unbedingt deutlich machen, dass ihr Sohn auch eine große Bereicherung für ihr Leben ist. „Wir haben sehr viel Freude mit ihm und er gibt uns viel Liebe zurück. Das Problem sehen wir eher in der Politik und auch in unserer Gesellschaft, weil sie noch immer Berührungsängste hat und Menschen mit Handicap noch immer nicht vollständig integriert werden“, sagt Manuela W.