Seit Monaten schwelt der Streit um Nachverdichtung im Schlosspark-Kiez.
Seit Monaten schwelt der Streit um Nachverdichtung im Schlosspark-Kiez. Benjamin Pritzkuleit

Bezirk gegen Bausenat – in einem beschaulichen Hof im Pankower Schlosspark-Kiez entspinnt sich seit Monaten ein Streit, der nun einen weiteren Höhepunkt findet: Mit Verweis auf den im Bezirk ausgerufenen Klimanotstand untersagte das Pankower Bezirksamt der kommunalen Gesobau die Nachverdichtung in zwei grünen Innenhöfen im Schlosspark-Kiez. Die will an ihrem Vorhaben dennoch festhalten.

Der Fall einer abgesagten Verdichtung mit der Begründung, das Stadtklima für die Zukunft schützen zu wollen, ist der erste in Berlin. Er könnte auch anderswo Schule machen. Auch an seinem Ausgang entscheidet sich im Kleinen, ob Berlin in Zukunft beides besser hinbekommt: günstigen Wohnraum schaffen, ohne lebensnotwendiges Grün in Wohnortnähe zu vernichten.

Fronten in Pankow sind verhärtet

Die Fronten in Pankow sind verhärtet: Bausenator Sebastian Scheel (Linke) und die Wohnungsbaugesellschaft Gesobau prüfen derzeit, ob sie gegen den Klimaschutz-Baustopp der Pankower vorgehen werden. Obwohl dies bei einem Bauvorhaben von nur etwa 100 Wohneinheiten nicht üblich ist, will Scheel das Vorhaben mit dem Verweis auf die „übergeordnete Priorität“ an sich ziehen. Den Pankower Plan hält er für das falsche Signal für den dringend notwendigen Wohnungsbau in Berlin.

„Das ergänzende Bauvorhaben der Gesobau AG ist auf einer eigens für den Wohnungsbau definierten Potentialfläche vorgesehen. Aufgrund seiner Eigenart und seiner besonderen Bedeutung für den Berliner Wohnungsmarkt wurden dringende Gesamtinteressen Berlins gelten gemacht. Sollte der Bezirk in seinem weiteren Agieren die wohnungspolitische Bedeutung nicht in einem hinreichenden Maße berücksichtigen, wird die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen prüfen, ob ein Eingreifen erforderlich ist“, heißt es auf Anfrage von Scheels Sprecherin Katrin Dietl.

Infrastruktur in Pankower Kiez stößt an Grenzen 

Zur Erinnerung: Es geht um etwa 100 Wohneinheiten in Alt-Pankow, dem Kiez, in dem allein zwischen 2010 und 2018 insgesamt 2500 neue Wohnungen in Nachverdichtung entstanden sind und dessen Infrastruktur schon jetzt an Grenzen stößt. Es geht um 100 zusätzliche Wohneinheiten in einem Viertel, in dem die Gesobau nur wenige hundert Meter weiter kürzlich circa 350 Wohnungen fertig stellte und 170 weitere in Planung sind. Es geht ums Prinzip.

In Pankow hingegen erwartet der grüne Baustadtrat Vollrad Kuhn, dass die Gesobau ihre ursprünglichen Baupläne nun ändert und mit dem Bezirk ins Gespräch kommt. Wieder ins Gespräch kommt, muss man sagen, denn die Verhandlungen über die Nachverdichtung laufen bereits seit Jahren. „Das Ziel ist eine möglichst weitgehende Freihaltung der begrünten Innenhöfe und der Baumbestände“, unterstreicht Kuhn und legt Vorschläge, wie sich Wohnungsbau und Grünerhalt vereinbaren ließen, auf den Tisch: So könnten etwa mit Dachaufstockungen und nur einem Anbau anstatt der ursprünglich geplanten drei neuen Gebäuden etwa 70 bis 100 neue Wohnungen entstehen – bei gleichzeitig weitgehender Freihaltung der begrünten Höfe und eines Spielplatzes.

Gesobau hält an Bebauung des Grundstücks fest

„Da die bisherigen Baupläne auch wegen der verschiedenen BVV-Beschlüsse politisch so nicht umsetzbar sind, hatte ich der Gesobau bereits signalisiert, mit uns neue Gespräche über Alternativen aufzunehmen“, so Kuhn. Doch die kommunale Wohnbaugesellschaft lehnte bisher ab. Für Anfang Juni gebe es jetzt aber einen Termin, in dessen Vorfeld die Wohnungsbaugesellschaft aber schon einmal Klage wegen einer ausstehenden Baugenehmigungsbearbeitung einreichte. Es wird eher ungemütlich. Die  Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen weiß die Gesobau dabei auf ihrer Seite.

„Die Gesobau hält ihrem Versorgungsauftrag entsprechend an der Bebauung des Grundstücks fest“, so Katrin Dietl. Im bisherigen Verfahren sei man kompromissbereit und konstruktiv vorgegangen. Ein Umweltsachverständiger habe darüber hinaus die Klimaverträglichkeit des Vorhabens bescheinigt. Auch weiterhin würden die Gesobau und Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen konstruktiv die andauernden Gespräche mit dem Bezirk Pankow führen.

Das sieht dann so aus, dass im Bezirksamt Pankow seit einigen Wochen Post vom Bausenator eingeht, der das Vorhaben der Gesobau trotz der gegenteiligen politischen Beschlüsse des Bezirks unbedingt durchsetzen will, so Vollrad Kuhn. In Pankow hätte man diese Vehemenz angesichts des relativ geringen Umfangs von 103 Wohnungen und angesichts des öffentlichen Widerstands und des berechtigten Anliegens nach mehr Klimaschutz durch Freihaltung der grünen Höfe so nicht erwartet.

Grüne Innenhöfe klingen gut, müssen aber oft weichen

Bezirk gegen Senat, günstige Wohnungen gegen Wohnqualität. Auch für zukünftige, nötige Bauvorhaben wird die Frage, wie geschickt man vor Ort Mieter einbindet und Klimaschutzaspekte berücksichtigt, über den Erfolg von Bauprojekten entscheiden.

In anderen Zusammenhängen werben die, die in Pankow nun so dringlich bauen wollen, selbst mit dem Entstehen von grünen Innenhofoasen. Im Online-Format Stadtforum etwa werden die Stadtentwickler des Senats nicht müde zu betonen, wie wichtig in der Pandemie wohnortnahe Grünflächen sind.

Die Mieter im Schlosspark-Kiez verstehen nicht, dass das ausgerechnet bei ihnen im Hof nicht gelten soll und wollen weiter protestieren. Seit Monaten finden in den Höfen Fensterkonzerte statt, mit den kommenden Lockerungen werden an den Sonntagen im Juni  wieder Musiker aufspielen. So lange es Wohnungs-Zweckentfremdung, Leerstand, Immobilienspekulation und Geldwäsche auf dem Immobilienmarkt gibt und Berliner ihre Stadt verlassen, weil sie gesunde Wohnverhältnisse und bezahlbare Mieten wollen, könne der Plan, bestehende Grünflächen zu vernichten um neue Wohnungen zubauen nicht der richtige sein, so die Mieter.

In den Höfen finden Konzerte statt, nutzen Kitas den Spielplatz. 
In den Höfen finden Konzerte statt, nutzen Kitas den Spielplatz.  Benjamin Pritzkuleit 

Ganz im Verborgenen ist in Pankow aus dem Protest etwas entstanden, wonach sich viele sehnen, ein Ort für alle, für Kultur, für Kinder, ein Mehrwert für das ganze Viertel. Das kreative Sichtbarwerden hat auch zur Folge, dass Mieter, denen es in der der ganzen Stadt darum geht, bei der Entwicklung ihrer Kieze mitzureden, sich immer mehr vernetzen. Das neu gegründete Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung wächst, stetig kommen Akteure hinzu:

Bürgerbündnis zum Erhalt eines lebenswerten grünen Kiezes in Friedrichshain, Mieterinitiative „Erhaltet unsere grünen Friedrichshainer Innenhöfe“,  Aktionsbündnis Lebenswertes Wohnen in Friedrichshain-West, Verein für Lebensqualität an der Michelangelostraße e.V., Schöneberger Bürger gegen Nachverdichtung „Mühlenberg Initiative“, Bürgerinitiative Kietzer Feld/ Wendenschloss i.G., Initiative Johannisthal Landfliegerstraße, Bürgerinitiative KIEFERNWALD-ADLERSHOF, Bürgerinitiative „Rettet den Ilse-Kiez“, Initiative Lebenswertes Spindlersfeld, Bürgerinitiative „klimafreundliches Pankow“, Bürgerinitiative auf dem lichten Berg, Bürgerinitiative Grüne Westendallee e.V., AnwohnerInitiative Ernst-Thälmann-Park, Bürgerinitiative Vesaliuskiez, Bürgerinitiative Jahnsportpark, Bürgerinitiative „Grüner Kiez Pankow“ heißen die Bündnisse.

Sie alle eint die Überzeugung, dass Stadtentwicklung nicht ausschließlich Bauen heißen kann. Auch Zurückbauen, grün und gesund Bauen, Bauen im Dialog mit Berlinern fordern sie in einer gemeinsamen, berlinweiten Petition: „Rettet die grünen Kiezoasen Berlins! Für uns alle und unsere Kinder!“ Bei einer Demo am 5. Juni wollen sie mit dieser Agenda vor das Rote Rathaus ziehen. https://www.openpetition.de/petition/online/rettet-die-gruenen-kiezoasen-berlins-fuer-uns-alle-und-unsere-kinder