Demonstranten halten bei der Kundgebung des Vereins „Seebrücke Seehofer Druck machen - Berlin muss klagen!“ Schilder mit der Aufschrift „wir haben Platz“ und „sei kein Horst“.  
Demonstranten halten bei der Kundgebung des Vereins „Seebrücke Seehofer Druck machen - Berlin muss klagen!“ Schilder mit der Aufschrift „wir haben Platz“ und „sei kein Horst“.   Foto:  Britta Pedersen/dpa

Berlin - Der Streit zwischen dem Berliner Senat und dem Bundesinnenministerium um die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus griechischen Lagern spitzt sich zu. Das Innenministerium lehnt den Wunsch Berlins, auf eigene Faust 300 Menschen aufzunehmen, weiterhin ab. Die Bundesländer seien dazu nicht einzeln befugt. Für besondere Empörung in Berlin sorgt nun die Nachricht, dass Seehofer die Absage offenbar persönlich getroffen hat, ohne dies im Bundeskabinett abgestimmt zu haben.

Aus einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage der Berliner Bundestagsabgeordneten Peter Pau (Linke), über die der Tagesspiegel am Mittwoch berichtet, heißt es: „Die Erteilung des Einvernehmens“ liege „in der alleinigen Verantwortung“ des Innenressorts. „Eine Abstimmung der in dem Schreiben von Bundesinnenminister Horst Seehofer vom 8. Juli 2020 dargelegten Haltung des BMI mit anderen Ressorts ist deshalb nicht erfolgt.“

Die Berliner Landesregierung will das Nein „nicht einfach schulterzuckend akzeptieren“, sagt Innensenator Andreas Geisel (SPD). Zumal damit keine weiteren Perspektiven damit verbunden seien. Geisel unterstützt nach eigenen Worten den Vorschlag aus Nordrhein-Westfalen, zeitnah eine Bund-Länder-Konferenz einzuberufen, um das weitere Vorgehen in der Flüchtlingsfrage zu besprechen.

Vorige Woche war NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zusammen mit Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) auf der Insel Lesbos im hoffnungslos überfüllten Lager Moria – seit Jahren der Inbegriff des Versagens europäischer Flüchtlingspolitik. Als die Minister aus Deutschland auch den wilden Lagerteil, den sogenannten Dschungel, besichtigen wollten, kam es zu Tumulten. Aus Sicherheitsgründen brachen sie ihren Besuch ab. Insgesamt 14.000 Menschen leben in und um Moria. Es gilt als größtes Flüchtlingslager Europas.

Nach seinem Besuch sagte Integrationsminister Stamp im Deutschlandfunk, es stimme ihn nachdenklich, dass „solche Zustände in einer Einrichtung, für die die Europäische Union zuständig sei, Menschen schlechter versorgt würden als teilweise in Lagern im Irak oder Jordanien“. Er forderte eine kurzfristige Konferenz zwischen Bund und Ländern, um über die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus den überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln zu sprechen.

Für Innensenator Geisel ist der Fall eindeutig: „Wenn wir es mit unseren europäischen Werten von Freiheit, Solidarität und Humanität ernst meinen, muss den Menschen in den griechischen Lagern schnellstmöglich geholfen werden.“ Der Senat habe immer gesagt, dass er die organisatorischen und personellen Kapazitäten hat, um 300 Menschen aufzunehmen. Dazu stehe man nach wie vor.

Auch Nordrhein-Westfalen will mehr tun. „Wir haben der Bundesregierung angeboten, bis zu 500 Personen aufzunehmen“, sagte Minister Stamp. „Es ist manchmal eine Möglichkeit anzustoßen, dass die Bundesregierung in Europa für weitere Kontingente zu verhandelt.“ Die EU müsse dafür sorgen, dass solche Zustände wie um Moria nicht mehr herrschten. Deutschland müsse in seiner Zeit der EU-Ratspräsidentschaft aktiv werden. Länder wie Griechenland, Spanien und auch Italien müssten entlastet werden.

Bis dahin bleibt Bundesinnenminister Seehofer offenbar bei seinem Nein zur Aufnahme von mehr Menschen durch einzelne Bundesländer. Petra Pau kritisiert im Tagesspiegel den Alleingang des CSU-Politikers. Es gehe nicht „nur um die Einzelmeinung des zuständigen Ministers“.  Sie verlange, dass sich „die Bundesregierung insgesamt dazu erklärt, warum sie aufnahmebereite Bundesländer brüskiert, statt sie für ihr Engagement zu loben und zu unterstützen“.

Aktuell beschäftigt sich Berlin mit der Unterbringung eines kleineren Kontingents von Flüchtlingen. Bis Ende August sollen 142 Menschen eintreffen. Sie gehören zu einer Tranche von 928 Geflüchteten, die die Bundesregierung aufnimmt.

Nach Vorstellung der Senatssozialverwaltung sollen sie in den Containern auf dem Tempelhofer Feld unterkommen. Die dortigen Tempohomes rotten seit einem Jahr vor sich hin, als 2019 die letzten Flüchtlinge ausgezogen waren. 17 Millionen Euro kostete das aus rund 900 Wohneinheiten bestehende Containerdorf einst, es wurde nicht einmal zwei Jahre lang genutzt. Nun müssen vor allem die sanitären Anlagen saniert werden.

Fraglich bleibt vor allem, wie sich die Container-Nutzung mit dem Tempelhof-Gesetz verträgt. Dort heißt es, dass bis zum 31. Dezember 2019 zeitlich beschränkte Flüchtlingseinrichtungen wie Tempohomes geschaffen werden dürften. In einer Antwort der Sozialverwaltung heißt es: Die jetzige Duldung sei „keine grundsätzliche Aufkündigung des Tempelhofgesetzes.“