Lernen in der Pandemie

Berliner Schulen sind schneller als die Senatorin

Wilmersdorfer Sekundarschule rebelliert gegen die Verhinderungspolitik der Bildungsverwaltung.

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Wie wollen wir lernen? In der Pandemie können Weichen für ein besseres Lernen gestellt werden. 
Wie wollen wir lernen? In der Pandemie können Weichen für ein besseres Lernen gestellt werden.

An den Berliner Schulen wächst das Unverständnis darüber, warum die Senatsverwaltung für Bildung eigenverantwortliche Fortschritte im Bemühen um sinkende Infektionszahlen, mehr Abstand in den Klassenzimmern und gute Unterrichtskonzepte beharrlich verhindert. Das Kollegium der Ersten Sekundarschule Wilmersdorf hat, nachdem die Schulverwaltung der Schule mit mehreren Corona-Fällen im Haus untersagte, ein Wechselmodell einzuführen, einen offenen Brief verfasst und macht deutlich: So geht es nicht weiter.

Schule wollte auf Hybridmodell umstellen

45 Schüler in Quarantäne, einige Angehörige der Risikogruppen in der Lehrerschaft, einige Schüler mit der gleichen Begründung im Homeschooling – an der Ersten Sekundarschule Wilmersdorf fand man, es sei nun höchste Zeit zu handeln. Die Schule wollte auf Schichtbetrieb umstellen, um Abstände besser wahren und trotzdem Unterricht auch langfristig aufrecht erhalten zu können. Die Schulaufsicht sowie die Bezirksstadträtin erteilten eine Sondergenehmigung, das entwickelte Hybridmodell für zwei Wochen anzuwenden. Das ist nötig, denn die Schule ist offiziell auf Gelb eingestuft.

Das Kollegium bereitete die Materialien vor und informierte Eltern und Schüler. Übers Wochenende aber schlug die angeblich eigenmächtige Entscheidung hohe Wellen: die Schule wurde kurzerhand auf Rot gestuft, damit das Modell in den Stufenplan der Senatsverwaltung passt. Nach einer knappen Woche im Hybridbetrieb pfiff die Schulverwaltung dann alle wieder zurück. Das Wechselmodell musste abgebrochen werden. „Offensichtlich soll mit allen Mitteln verhindert werden, dass wir unser Hybridmodell anwenden. Diese Entscheidung macht uns fassungslos“, schreiben die Lehrer und Lehrerinnen nun in ihrem Offenen Brief. Die Entscheidung ihres Dienstherren empfinden sie als pädagogische Ohrfeige.

„Unser Engagement und unsere Eigeninitiative wird verlangt, damit wir als Lehrende Desinfektionsmittel und Mund-Nasen-Bedeckungen organisieren, den Kohlenstoffdioxidgehalt der Luft messen, Arbeitsmaterialien desinfizieren, die Einhaltung von Hygieneregeln überwachen, Familien in die häusliche Quarantäne schicken. Wenn wir unserem Kerngeschäft nachgehen und versuchen, während der Pandemie eine Organisationsform zu finden, in der sicherer Unterricht für alle möglichst lange aufrechterhalten werden kann, wird dieses Engagement ausgebremst!“

Es sei nicht länger hinnehmbar, dass individuelle und angepasste Lösungen an den Schulen untersagt werden. Das eilig nachgeschobene Zugeständnis von Sandra Scheeres, man erlaube ja  durchaus tageweise die Erprobung von Hybridmodellen geht an der Realität vorbei und verschärft das chaotische Durcheinander von Regelungen. 

Lehrer prüfen rechtliche Schritte

„Wir haben in den vergangenen Monaten aus eigener Kraft heraus mit viel personellem Engagement an unseren Kommunikationsstrukturen gearbeitet und verschiedene Wege zur Erstellung und Bereitstellung von (digitalen) Arbeitsmaterialien etabliert. Somit sind Präsenz- und Fernunterricht möglich und werden seit Schuljahresbeginn praktiziert, da einige Jugendliche dauerhaft oder temporär im Homeschooling sind.“, schreiben die Lehrer weiter; und wollen nicht hinnehmen, dass ihr Dienstherr Gesundheitsschutz für Lehrer und Schüler ignoriert. Sie prüfen daher rechtliche Schritte und werben für ihr Modell, das Schule machen sollte: In der Woche, in der der Schichtbetrieb mit je vier Stunden Präsenzunterricht vormittags und nachmittags griff, habe man damit durchweg positive Erfahrungen gemacht.

Das, was sich Lehrer seit Jahren für gelingenden Unterricht wünschen, kleinere Lerngruppen, zahlt sich aus: „Wir hatten eine Woche mit unbeschwerteren, leistungsorientierteren Schülern, effektiver Unterricht war möglich. Besonders die Stillen wurden stark und die Lauten erlebten wir gemäßigter.“

Große Unterschiede in der Umsetzung

In einer Antwort an die Eltern aus dem Hause Scheeres heißt es: „Würde man jeder Schule alleine überlassen, wie sie mit der Entzerrung des Unterrichts umgehen und  Schülerinnen und Schüler weiterhin unterrichten werden, würde es wieder große Unterschiede in der Umsetzung des Hybridunterrichts geben. Einige Schülerinnen und Schüler hätten mehr Präsenzunterricht als andere Nachbarschulen, einige würden zu Hause mehr angeleitet werden als andere  – genau das waren ja beim ersten Lockdown die Beschwerden der Eltern.“

Nur vier Stunden am Tag Präsenzunterricht bedeute eine Reduzierung des Regelunterrichts. Dieses solle ja eben so lange wie möglich vermieden werden, im Frühjahr sei schon genug Unterricht ausgefallen, so die Senatsverwaltung.

Dass die Schüler neben dem Präsenzunterricht aber zu Hause eigenverantwortlich digitales Lernen üben, dazu Zeitmanagement, Selbstorganisation und Kreativität, verkennt die Antwort. Dies aber sind Ziele, die nicht nur in den Berliner Rahmenplänen verankert sind, sondern auch lebenspraktisch nützlich sein können.