Ein Schild auf dem "Geschlossen" steht, wird ab morgen an vielen Geschäften in Berlin hängen. 
Ein Schild auf dem "Geschlossen" steht, wird ab morgen an vielen Geschäften in Berlin hängen.  Foto: Daniel Karmann/dpa

Berlin - In dem Laden, in dem sonst in der Bergmannstraße in Kreuzberg italienische Schuhe verkauft werden, liegt an diesem Dienstag ein beschriebenes Blatt Papier vor einer einsamen roten Stiefelette im Schaufenster. Das Schreiben ist an die „Lieben Kundinnen und Kunden“ gerichtet. „Aus aktuellem Anlass werden wir für einige Tage schließen. Sorgen Sie gut für sich und andere, bis wir uns wiedersehen“, steht darauf. Der Text endet mit dem Wunsch. „Bleiben Sie gesund!“. Das Geschäft ist geschlossen.

Auf der sonst so trubeligen Bergmannstraße ist wenig los an diesem Tag, der vor dem wirklichen Shutdown liegt. Es ist der letzte Tag, bevor alle nicht systemrelevanten Geschäfte schließen müssen. Die Touristen, die sonst die Boutiquen und Geschenkeläden bevölkern und auch durch die Marheinekehalle schlendern, sind in den vergangenen Tagen immer weniger geworden. Nun fehlen sie scheinbar vollständig.

Vor dem Café Atlantic sitzen drei junge Leute an den Tischen in der Sonne und lassen sich das späte Frühstück schmecken. Wo man sonst bei diesem frühlingshaften Wetter keinen Platz mehr in den Straßencafés bekommen hätte, herrscht Flaute – Coronavirus-Flaute. Bars wie das Turandot sind „aus gegebenen Anlass“ schon seit dem Wochenende geschlossen.

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Systemrelevanten Läden wie Lebensmittelläden und Drogerien haben weiterhin offen

Gundula Hoburg ist damit beschäftigt, die nächsten Tage zu organisieren. Hoburg ist Geschäftsführerin bei „Herrlich Männergeschenke“, einem nicht „systemrelevanten Laden“. Ihr Geschäft ist kein Lebensmittelladen und keine Drogerie, die trotz Coronakrise geöffnet bleiben dürfen. In den Räumen gibt es originelle Accessoires, die durchaus auch Frauen begeistern können. Bis zu 200 Kunden kaufen an guten Tagen bei ihr ein. Heute ist kein guter Tag.

„Wir werden ab morgen schließen“, sagt Hoburg. Obwohl sie bisher noch nichts schriftliches in der Hand habe, das sie zu diesem Schritt veranlasse. „Wir wissen alles nur aus den Medien“, sagt sie. Wie lange ihr Geschäft geschlossen bleibe, das wisse sie nicht.  Zumindest bis Freitag werde noch einer der fünf Mitarbeiter für einige Stunden im Geschäft sein, um die bestellten Waren entgegenzunehmen. „Es soll keiner gekündigt werden, wir versuchen es mit Kurzarbeit“, sagt Gundula Hoburg. Man wolle Steuern stunden und mit dem Vermieter reden. So könne man durchhalten. „Maximal einen Monat“, sagt Hoburg.

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In der Marheinekehalle geht Michael Reimann am Mittag von Stand zu Stand. „Die Markthalle bleibt als Markthalle offen“, sagt der Centermanager der Blumenfrau, die erleichtert wirkt. Alle Händler würden jedoch von der Öffnungspflicht entbunden. „Die Mieter können selbst entscheiden, wann sie schließen wollen“, so Reimann.

Sehmeran Adler hat vor eineinhalb Jahren ein Reisebüro in Kreuzberg eröffnet. Nun muss sie alle Reisen stornieren. Sie hofft, dass ihr kleines Unternehmen die Krise überlebt.
Sehmeran Adler hat vor eineinhalb Jahren ein Reisebüro in Kreuzberg eröffnet. Nun muss sie alle Reisen stornieren. Sie hofft, dass ihr kleines Unternehmen die Krise überlebt. Foto: Bernd Friedel

Von der an sich guten Nachricht hat Sehmeran Adler nicht viel. Seit eineinhalb Jahren betreibt sie „Mein last Minute Reisebüro“ in der Markthalle. Das Zwei-Mann-Unternehmen habe sich etabliert, sagt die 48-Jährige. Und nun das: Deutsche dürften nicht mehr reisen, nicht ins Ausland, und nicht in Deutschland. Am Montag seien alle Reisen bis 31. März von den Reiseveranstaltern storniert worden. „Das ist hart“, sagt die alleinerziehende Mutter. Denn statt Geld zu verdienen, müsse sie nun Geld zurückzahlen. Wo die Reise hingehe, könne sie nicht abschätzen. „Ich komme mir vor, als wenn ich auf der Autobahn mit meinem Auto und hoher Geschwindigkeit auf eine Unfallstelle zusteuere, ohne bremsen zu können“, sagt die Reisekauffrau. Sie hoffe inständig, dass im Mai alles gut werde. Es klingt nicht so, als würde sie daran glauben. Bis Ende April könne sie durchhalten, wenn sie keine Hilfe bekomme.

Nach Schließungen: Einfache Händler müssten unbedingt Zuschüsse vom Staat erhalten

Beim Geschäftsführer des Handelsverbandes, Nils Busch-Petersen, klingelt an diesem Dienstag – wie er sagt – unentwegt das Telefon. Busch-Petersen erklärt, die Schließung aller nicht für die Versorgung notwendigen Geschäfte treffe die Händler „brachial und mit großer Gewalt“. Einfache Händler müssten unbedingt Zuschüsse vom Staat erhalten. Es gelte alles zu tun, damit Berlin eine lebenswerte Stadt bleibe. „Vor allem aber muss der Senat seine Exitstrategie offenlegen, sagen, ab welchen Fallzahlen das Leben wieder normal vonstatten gehen kann.“

In dem Einkaufscenter Mall of Berlin ist die Unsicherheit groß, die Händler warten auf ein Zeichen des Managements, das wiederum ist auf konkrete Aussagen des Senats angewiesen. Bei „Einblick Optik“ lässt sich eine junge Frau vom Optiker die Brille richten, damit die Brille nicht mehr rutscht und sie sich nicht immer ins Gesicht fassen muss. „Seit ein paar Tagen kommen wenig Kunden“, sagt der Optiker. Er wisse nicht, was nun passiere, gibt er dann zu. Dass der Staat die Unternehmer, auch die kleinen, unterstützen wolle, finde er gut. „Aber der Staat verspricht viel. Mal sehen, was beim kleinen Unternehmer ankommt.“

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Die Anzahl der Menschen, die durch die Mall laufen, ist überschaubar. Die meisten holen sich einen Mittagsimbiss, wenige nutzen die vorerst letzte Möglichkeit zum Einkauf. Claudia Wieser kommt mit zwei Einkaufstaschen aus der Ladenstraße. Sie hat Schuhe für ihre 13-jährige Tochter gekauft, Druckerpatronen, eine Mouse, ein Keyboard. Auf den letzten Drücker, wie sie sagt. „Ich bin gestern erst aus den USA zurückgekommen“, erzählt sie. Wieser ist Künstlerin. In Omaha habe sie eine Ausstellung in einem Museum aufgebaut mit ihren Rauminstallationen und Skulpturen. Die Schau sollte am Donnerstag eröffnet werden, doch die Museen sind auch in den USA wegen des Coronavirus geschlossen.

Die 46-Jährige macht sich nicht um sich Sorgen. Sie habe schon gut verdient in diesem Jahr. Sie sorgt sich vielmehr um viele Künstlerkollegen und hofft auf eine große Solidarität. Claudia Wieser will noch in eine Buchhandlung, Lesestoff kaufen. Sie sagt, man werde demnächst wohl viel Zeit haben.