Das Ziel einer Demonstration war das ZDF-Hauptstadtstudio und eine dortige Protestkundgebung. Demonstrationsteilnehmer halten ein Spruchband hoch mit der Aufschrift: Wann ist deine Rote Linie überschritten?
Das Ziel einer Demonstration war das ZDF-Hauptstadtstudio und eine dortige Protestkundgebung. Demonstrationsteilnehmer halten ein Spruchband hoch mit der Aufschrift: Wann ist deine Rote Linie überschritten? Imago/Friedrichs

Wie einst in der DDR. Gegner der Corona-Politik versuchen den Montag für ihre Zwecke zu kapern. Tausende Menschen haben nach Angaben der Polizei am Montagabend in Berlin gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert. Eine der größeren Demos zog vom Alexanderplatz Richtung Brandenburger Tor, dort setzten sich laut der Transparente „Geimpfte und Ungeimpfte gegen die Impfpflicht“ ein. Nur wenige Menschen trugen Maske. Aus einem Lautsprecher-Wagen tönte: „Merkel, Spahn, Steinmeier, Drosten in den Knast“. Vor dem ZDF-Hauptstadtstudio stoppte der Zug für eine Zwischenkundgebung. Ein Redner beschimpfte die „deutschen Medien“, die „gleichgeschaltet“ seien wie 1933, er sprach auch von „Lügenpresse“.

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Die Polizei schätzte die Zahl der Teilnehmer auf 800. Bei einem anderen Protest in Alt-Tegel seien 900 Menschen gewesen. Insgesamt hätten 3000 Menschen stadtweit demonstriert, darunter waren auch Gegenproteste. Eine Gegenkundgebung am Alexanderplatz war mit dem Motto „Geradedenken gegen Querdenken und Rechts“ angemeldet worden.

Mit dem Montagabend wollen die Initiatoren an DDR-Traditionen anknüpfen

Der Montagabend wurde von Initiatoren der Corona-Proteste als Termin gewählt, um an Demonstrationen von Bürgerrechtlern in der DDR 1989 zu erinnern. Im Messengerdienst Telegram war unter den Slogans „Berlin steht auf“ und „Montagsspaziergänge“ für fast alle Berliner Bezirke zu Demonstrationen vor den Rathäusern oder an anderen Stellen aufgerufen worden. Auch an der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg, einem bekannten Anlaufpunkt von Demonstranten in der Spätphase der DDR, wollten sich wieder Gegner der Corona-Regeln versammeln. Auch dort war eine Gegenkundgebung angemeldet.

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Gegendemonstranten zeigen, was sie von den Gegnern der Corona-Politik halten.
Gegendemonstranten zeigen, was sie von den Gegnern der Corona-Politik halten. Imago/Friedrichs

Fast jeden Tag jetzt dieses Katz-und-Maus-Spiel, diese neue Unübersichtlichkeit bei den Corona-Protesten auf Deutschlands Straßen. Auch am Montagabend waren wieder Tausende unterwegs. „Spaziergänger“, die sich auf Telegram verabreden, aber keine Demonstration anmelden. Friedliche Gegner von Impfpflicht und Corona-Auflagen, die sich zu unrecht mit Rechtsextremisten in einen Topf geworfen sehen. Gegendemonstranten, die als letzte Bastion der Vernunft auftreten. Gerät der Rechtsstaat beim Versammlungsrecht an seine Grenzen im dritten Jahr der Pandemie?

Jörg Radek würde das so nicht stehen lassen. Der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei formuliert eslieber so: „Es ist eine polizeiliche Herausforderung, weil wir sehr kleinteilige Versammlungen haben an unterschiedlichen Orten, und wir versuchen müssen, gleichzeitig an diesen Orten zu sein.“ Wo die Polizei präsent sei, setze sie Recht durch. „Schwierig wird es, wenn man an einem Tag in Sachsen an 170 Orten gleichzeitig Versammlungen hat.“ Da müssten sich Landes- und Bundespolizei gegenseitig helfen.

Mehr als 1000 Protestaktionen gegen Corona-Maßnahmen vermerkte das Bundesinnenministerium Montag vor einer Woche bundesweit und 188.000 Teilnehmer. Diesen Montag wieder: Tausende in Berlin, mindestens 21.000 in Thüringen, eingekesselte Demonstranten in Rostock. Lange schienen die Proteste vor allem ein ostdeutsches Ding - aber längst ähneln sich die Szenen in Hamburg oder Düsseldorf, Freiburg oder München.

In Rostock beschlagnahmt die Polizei einen „Schießkugelschreiber“ mitsamt Munition

In Rostock standen rund 3000 Maßnahmen-Gegner etwa 1000 Polizisten gegenüber. Als die Beamten einen Aufzug der Demonstranten zu stoppen versuchten, warfen einige Flaschen und Böller auf die Polizisten. Die Beamten setzten Pfefferspray ein und nahmen elf Menschen fest. Bei Durchsuchungen fanden sie selbstgebaute Pyrotechnik sowie einen „Schießkugelschreiber“ mitsamt Munition. „Das Vorhandensein einer schussbereiten Waffe sowie Munition ist eine äußerst gefährliche und besorgniserregende Entwicklung“, erklärte der Leiter der Polizeiinspektion Rostock, Achim Segebarth.

Die Veranstaltungen würden immer kleinteiliger, die „Spreizung“ mache es den Behörden immer schwerer, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Deutschlandfunk. Demonstrieren könne man doch in angemeldeten Versammlungen. „Dafür muss ich nicht die Sicherheitsbehörden versuchen auszutricksen.“

Die Montagsdemo auf der Straße Unter den Linden: Die Polizei schätzte die Zahl der Teilnehmer auf 800.
Die Montagsdemo auf der Straße Unter den Linden: Die Polizei schätzte die Zahl der Teilnehmer auf 800. Imago/Friedrichs

Angemeldet werden die „Spaziergänge“ deshalb nicht, weil dann auch Auflagen erteilt werden können, etwa die Einhaltung von Abständen oder eine Maskenpflicht. Aber spazieren gehen darf jeder. Könnte man die Menschen nicht einfach laufen lassen? „Teils wird zunächst wirklich nur spaziert“, räumt Radek ein. „Aber es liegt ja in der Natur des Versammlungsrechts, dass man signalisieren will, wofür man demonstriert. Irgendwann kommt der Punkt, wo Parolen gebrüllt werden.“ Er nennt es perfide, dass Corona-Auflagen und der Infektionsschutz der Beamten bewusst missachtet würden.

Schlagen, Spucken, Provokationen mit Kindern: Wer geht da überhaupt auf die Straße?

„Wir treffen immer mehr gewaltbereite Teilnehmer, das Aggressionspotenzial steigt“, sagt die Rostocker Polizeipräsidentin Anja Hamann. Anfang Januar berichtete die Magdeburger Polizeiinspektion von Flaschenwürfen auf Beamte und dem Einsatz von Pyrotechnik. In Lichtenstein bei Zwickau verletzten gewaltbereite Demonstranten 14 Beamte. Vor einer Woche wurden neun Polizisten verletzt, so etwa in Bautzen, Braunschweig, Gera und Magdeburg. „Es wird gespuckt, körperlich attackiert, die Kollegen werden einer Infektionsgefahr ausgesetzt, Erwachsene gehen mit Kindern auf ihren Schultern dicht an die Polizeiketten heran, um zu provozieren“, weiß auch Gewerkschafter Radek.

Schlagen, Spucken, Provokationen mit Kindern: Wer geht da überhaupt auf die Straße? Die Frage stellt sich seit Monaten immer wieder neu. Inzwischen häufen sich Warnungen vor einer Unterwanderung durch Extremisten. Innenministerin Faeser spricht von einer Instrumentalisierung der Proteste. Diese zielten teils gar nicht auf die Corona-Maßnahmen, sondern gegen den Staat.

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, sieht unter Corona-Demonstranten sogar eine neue Szene von Staatsfeinden, die Kategorien wie Rechts- oder Linksextremismus sprengen. „Sie lehnen unser demokratisches Staatswesen grundlegend ab“, sagte Haldenwang der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Zunehmend sei die Polizei Feindbild. „Einsatzkräfte werden nicht nur bei den Protesten, sondern auch im virtuellen Raum zunehmend angefeindet und beispielsweise als „Söldner“ oder „Mörder des Systems“ diffamiert.“

Die Polizei war am Montagabend, wie hier am Fernsehturm, wieder im Großeinsatz.
Die Polizei war am Montagabend, wie hier am Fernsehturm, wieder im Großeinsatz. Imago/Friedrichs

Mit Extremisten habe man rein gar nichts zu tun, betonten hingegen die Organisatoren von #friedlichzusammen bei einer Demonstration am Wochenende in Berlin. Ausdrücklich distanzierten sie sich von „Nazis, Antisemiten, Holocaust-Leugnern und allen extremistischen Weltanschauungen“. Sie wandten sich gegen Beschränkungen für Ungeimpfte wie 2G oder 3G und gegen eine mögliche Impfpflicht. Bilder der Demo zeigten friedliche Menschen in Daunenmänteln. Transparente warnten aber auch hier vor angeblich manipulierten Medien und einer angeblichen „Diktatur“.

Solche Diktatur-Vergleiche wiederum regen nicht nur die Berliner Pfarrerin Aljona Hofmann auf. Sie spricht für die Gethsemanekirche, zu DDR-Zeiten ein Treffpunkt der demokratischen Opposition. „2022 ist nicht 1989“, betonte Hofmann vor einigen Tagen in einem Tweet und berichtete von Störungen bei Andachten „durch Pöbeleien bis hin zum Hitlergruß“. Immer wieder montags mobilisiert die Initiative Gethsemanekiez gegen „Diktatur-Verharmloser und Corona-Protestler“.

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Solche Gegeninitiativen gibt es nun vielerorts. In Sachsen gründeten sich „Bautzen gemeinsam“ oder „#Wir lieben Freiberg“ gegen rechtsextreme Proteste. In Jena demonstrierten am Montag Dutzende Menschen unter dem Motto „Ausspaziert“ und trafen auf etwa gleich viele Gegner der Corona-Maßnahmen. Ähnliche Gemengelage schon am Wochenende in Freiburg in Baden-Württemberg: Erst 2500 Menschen gegen Corona-Verharmlosung, dann 6000 Menschen gegen Impfzwang.

Mittendrin steht die Polizei. „Dass es Demonstrationen und Gegendemonstrationen gibt, ist kein neues Phänomen“, sagt Radek. „Wir als Polizei müssen erkennen: Wer sind die, die den Staat provozieren wollen?“