Ronny Klinghardt und Reiner Beust haben einen Einkaufswagen aus dem Wasser gefischt.
Ronny Klinghardt und Reiner Beust haben einen Einkaufswagen aus dem Wasser gefischt. Foto: Berliner KURIER/Markus Wächter

Viele Menschen gehen gern angeln – und freuen sich, wenn sie dicke Fische aus dem Wasser ziehen. Doch wenn diese Männer angeln gehen, sind sie auf andere Fänge aus: Einkaufswagen, Fahrräder, versenkte Tresore. Die Berliner „Magnet Hunters“ fischen mit Magneten Schrott aus Berlins Gewässern. KURIER hat die Schatzsucher begleitet.

Die Angel-Leine von Reiner Beust gleitet durch das Wasser, kommt dem Ufer immer näher – und dann, ganz plötzlich, spannt sie sich straff. Etwas scheint an der Angel zu hängen. Aber was? Der 38-Jährige ruckelt vorsichtig am Seil, immer wieder, bis Luftblasen an die Spree-Oberfläche steigen. „Daran erkennt man, dass es sich gelockert hat“, sagt er. Er zieht und zieht und zieht. Und dann: Erfolg! Kein Fisch hängt daran, wie man es bei einem Angler erwarten würde, sondern: ein Fahrrad.

Mit solchen Magneten versuchen die Angler, den Schrott aus dem Wasser zu holen.
Mit solchen Magneten versuchen die Angler, den Schrott aus dem Wasser zu holen. Foto: Berliner KURIER/Markus Wächter

Ein Kollege kommt und hilft, gemeinsam hieven sie das Vehikel aus dem Wasser. Es ist mit Schlamm überzogen, Algen hängen in den Speichen, die Metallstangen sind über und über mit kleinen Muscheln bedeckt. Das Rad ist hinüber, ohne Frage – wie lange es auf dem Grund der Spree schlummerte, wird niemand herausfinden können. Es landet auf einem Schrotthaufen, den die Angler am Wegesrand angelegt haben. Mehrere Fahrräder, Einkaufswagen, ein Baustellenschild, Metallplatten und Rohre.

Schrott im Wasser ist gefährlich für Schwimmer

All diese Dinge wurden hier, am Spreeufer unterhalb der East Side Gallery in Friedrichshain, irgendwann versenkt – auf nimmer Wiedersehen. Doch dann kamen die „Magnet Hunters“. Manch einer würde die Männer, die ehrenamtlich Schrott aus den Gewässern der Stadt holen, als moderne Schatzsucher bezeichnen. Doch Schätze liegen bisher keine auf dem Müllhaufen. „Für uns ist es auch schon ein Schatz, dass wir diese Dinge überhaupt aus der Spree holen können“, sagt Angler Ronny Klinghardt (38). „Denn damit befreien wir die Gewässer vom Müll – und tun auch etwas Gute für die Menschen. Gerade an Uferstellen wie hier springen die Leute ins Wasser, obwohl sie es nicht dürfen. Und dabei können sie sich schwer verletzen.“

Oft greifen die Angler auch zum Haken, wenn das Herausfischen größerer Gegenstände mit dem MAgneten nicht funktioniert.
Oft greifen die Angler auch zum Haken, wenn das Herausfischen größerer Gegenstände mit dem MAgneten nicht funktioniert. Foto: Berliner KURIER/Markus Wächter

Klinghardt hat die „Magnet Hunters“ gegründet, gemeinsam mit seinem Sohn Leon (19) und Nachbar Beust. Sie kommen aus Leegebruch, sahen im Internet Videos von Magnetanglern - und begeisterten sich sofort für das Hobby. Regelmäßig gehen sie nun auf Angel-Tour, dokumentieren die Ausflüge auf „Youtube“. Sie fischen mit Magneten, die „Terror“ heißen, „Dicke Berta“ und „The Beast“, letzterer hat eine Zugkraft von viermal 350 Kilogramm. Kaum ein Metallteil kann sich der Ausrüstung der Männer wiedersetzen.

Ihre Angel-Touren dokumentieren die „Magnethunters“ auf Youtube.

Video: Youtube

„Wir haben bereits alles aus dem Fluss geholt, was es so gibt – von der Dose bis zum Motorrad“, sagt Beust. Fahrräder, Einkaufswagen, Tresore, Elektro-Roller, „sogar eine MZ mit Beiwagen war schon dabei.“ Auch Parkbänke werden ins Wasser geworfen. „Es macht keinen Spaß, die rauszuholen.“ Das andere Extrem: Kronkorken, Besteck, Kleingeld. „Rund 19 Euro waren es im letzten Jahr. Das ist nicht die Welt, aber Kleinvieh macht auch Mist“, sagt Beust und lacht. Leon Klinghardt erinnert sich noch an eine Designer-Sonnenbrille, die sie aus dem Wasser zogen. „Sie war im Etui, das nur einen magnetischen Knopf hatte. Das war ein absoluter Glückstreffer.“

Schon wieder ein Fahrrad! Die Angler-Truppe mit der Trophäe.
Schon wieder ein Fahrrad! Die Angler-Truppe mit der Trophäe. Foto: Berliner KURIER/Markus Wächter

Etwas an die Angel zu bekommen ist hingegen kein Glück, vor allem nicht in der Berliner Innenstadt. Die Angler kennen die Hotspots. „In Mitte ist es besonders schlimm“, sagt Ronny Klinghardt. „Dort, wo viele Leute unterwegs sind, wo an den Ufern auch Partys gefeiert werden. Rund um das Bodemuseum ist die Spree voll. Unser Rekord waren hier 12 Elektroroller und 22 Mietfahrräder innerhalb von vier Stunden.“ Warum diese Dinge im Wasser landen, kann er nicht nachvollziehen. „Ich bin früher am Wasser baden gegangen, heute sind scheinbar andere Dinge spannend.“

Ein Teil der Ausbeute des Tages - wie viel Schrott noch auf dem Grund der Spree liegt, lässt sich nur schwer sagen.
Ein Teil der Ausbeute des Tages - wie viel Schrott noch auf dem Grund der Spree liegt, lässt sich nur schwer sagen. Foto: Berliner KURIER/Markus Wächter

Was sie finden, dürfen sie behalten – wenn es länger als ein halbes Jahr im Wasser lag oder der Wert zehn Euro nicht übersteigt. Da das, was an den Angeln hängt, oft nur Schrottwert hat, kommt es selten vor, dass etwas abgegeben werden muss. „Wir stehen auch mit den E-Roller-Verleihern in Kontakt, aber da die Fahrzeuge einfach schrottreif sind, haben die kein Interesse mehr.“ Spannend wird es bei Tresoren, zwölf Stück haben sie bereits gefunden. „Wenn darin persönliche Gegenstände sind, übergeben wir das an die Polizei. Einmal fanden wir einen Safe, in dem noch sämtliche Ausweisdokumente der Besitzer waren, teilweise von 1947“, sagt Beust. 

Der Schrott wird zerlegt, damit er abtransportiert werden kann. Hier: Ronny Klinghardt.
Der Schrott wird zerlegt, damit er abtransportiert werden kann. Hier: Ronny Klinghardt. Foto: Berliner KURIER/Markus Wächter

Die meisten Dinge, die sie finden, landen auf einem Anhänger, dann geht’s zur Schrott-Entsorgung. Etwas Geld gibt es dafür, 100 Euro pro Tonne. „Davon zahlen wir Spritkosten und unsere Magnete.“ Ums Geld geht es den Anglern nicht – sie sehen das Angeln als Hobby, ihre Missionen sind Naturschutz, Sicherheit, Aufklärung. „Als wir damit angefangen haben, war es für mich erschreckend, was alles im Wasser landet“, sagt Leon Klinghardt. „Als ich ein Kind war, konnte ich noch bedenkenlos ins Wasser springen. Das geht heute nicht mehr – denn es ist sicher nicht lustig, auf einem alten Fahrrad zu landen.“