Safe Place für Obdachlose am Ostbahnhof: Modellversuch will Menschen von der Straße holen
Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln gehen neue Wege in der Arbeit mit Obdachlosen.

Nach Hause kommen, eine Tür hinter sich schließen. Einen Ort haben, an dem man zur Ruhe kommen kann. Privatsphäre ohne Blicke, ohne Kälte, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Drei solcher Orte, Tiny Houses, stehen seit Kurzem auf einem Parkplatz hinter dem Berliner Ostbahnhof.
Ab Montag werden die ersten Bewohner der kleinen, einfachen Häuser einziehen. Über die Stadt verteilt gibt es bereits 60 dieser Little Homes, doch diese hier sind anders.

Wohnen mit Betreuung durch Sozialarbeiter
Die drei bunten Häuser sind Bestandteil eines Modellversuchs, den der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und der Bezirk Neukölln starten. Sie sind Safe Places, sichere Orte an denen Obdachlose temporär Unterschlupf finden. Im Modellversuch werden Sozialarbeiter die Bewohner regelmäßig aufsuchen.
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Das Ziel sei es, die ersten Bewohner innerhalb von zwei bis zweieinhalb Jahren in reguläre Wohnungsangebote zu begleiten, heißt es bei der Vorstellung des Projekts. Ziel des niedrigschwelligen Angebot sei es auch, Menschen zu erreichen, die nicht in die regulären Unterkünfte gehen wollen, auch Menschen mit Haustieren etwa. Ein Ersatz für eine reguläre Unterbringung, oder eine eigene Wohnung, sollen die Tiny Houses jedoch nicht sein.

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Die „Sicheren Orte“ sind Bestandteil des Masterplans zur Überwindung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Berlin bis zum Jahr 2030. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. Wenn es sich bewährt, soll es in ganz Berlin Schule machen.
Die kleinen Häuser am Ostbahnhof, die funktionell sind, nicht idyllisch, sind gut in die Infrastruktur vor Ort eingebunden. Gegenüber arbeitet die Bahnhofsmission mit Obdachlosen, es gibt eine direkte Anbindung an den Nahverkehr. Die Diakonie wird vor Ort die aufsuchende Sozialarbeit übernehmen. Sozialarbeiter waren es auch, die die drei ersten Bewohner ausgewählt haben.
Gewalt, Drogen, Müll sind verboten
Dabei ist der Einzug in eines der drei Häuser an Regeln gebunden. Gewalt, Drogen, Müll und die Bildung von Camps sind verboten. In den Safe Places sollen auch Menschen, die es schon geschafft haben, von der Straße zu kommen, als Partner gewonnen werden und helfen, Brücken zurück in einen normalen Alltag zubauen.
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„Wir brauchen angesichts der Zunahme der Zahl obdachloser Menschen in Berlin neue Ansätze der Sozialarbeit. Dazu gehören die Safe Places“, sagte Andy Hehmke, SPD-Stadtrat für Schule, Sport und Facility Management in Friedrichshain-Kreuzberg bei der Vorstellung des Projekts.

Dennoch sind die Safe Places in der Stadt kontrovers diskutiert, seit Langem wird etwa in Lichtenberg darum gerungen, wo ein solcher Platz entstehen kann. Die Standortfrage spaltet Anwohnerschaften regelmäßig.
In Berlin sind Obdachlosigkeit und Verwahrlosung allgegenwärtig
„Obdachlosigkeit und Verwahrlosung im öffentlichen Raum sind die Probleme, die uns allen als erstes ins Auge springen, wenn wir in Berlin unterwegs sind“, sagt Falko Liecke, Sozialstadtrat in Neukölln. Er wolle es nicht als normal begreifen, dass Menschen unter schlimmsten Bedingungen auf der Straße leben. Doch seien auch nicht alle Menschen, die auf der Straße leben, mit so einem Projekt zu erreichen, ist den Politikern klar.
Alexander lebt in einem Tiny House
Alexander ist einer, der schon seit Längerem in einem kleinen, rollbaren Haus in Buch lebt. Auch ohne, dass Sozialarbeiter dort regelmäßig vorbei schauen ist er zunächst dankbar für den Rückzugsort. Von hier aus könne er beginnen, sein Leben zu sortieren, sagt er.
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Auch Patrick hat einen Teil seines Lebens auf der Straße und dann in einem kleinen, abschließbaren Unterschlupf verbracht. Mittlerweile engagiert er sich im Verein Little Homes, auf der Grünen Woche stellt er die kleinen Häuser vor. Patrick weiß, wie wichtig die Wärme durch die Kerzen im Inneren ist, wie gut es tut, sich morgens einen Kaffee auf dem Kocher zubereiten zu können.

In den gut drei Quadratmeter großen Hütten wird es auch in Nächten mit Minusgraden nicht kälter als 10 Grad. Die Dämmung und die Körperwärme auf engem Raum sorgen dafür, dass keiner erfriert. Im Inneren gibt es eine Matratze, einen Feuerlöscher, eine Lichterkette, eine Chemietoilette und einen Campingkocher. „Etwa 3200 bis 3500 Euro kostet ein Haus, die Holzpreise schwanken“, sagt Sven Lüdecke, der Gründer des Vereins Little Homes. Der Verein baut die Häuser und stellt sie Obdachlosen zur Verfügung. Die Bezirke kooperieren nun mit Little Home e.V., der schon 250 Häuser in ganz Deutschland gebaut hat.
In Berlin leben Schätzungen und Zählungen zufolge mehr als 2000 Menschen auf der Straße, sie sind obdachlos. Die meisten wohnungslosen Menschen in Berlin sind nicht akut von Obdachlosigkeit betroffen. Sie leben nicht auf der Straße, sondern in Gemeinschaftsunterkünften und betreuten Wohnformen. Allein 31.400 Menschen waren Ende Juni 2021 so untergebracht.
Die Aufgabe, Menschen ein würdiges Leben in der Stadt zu ermöglichen ist gigantisch, der kleine Häuser und der Wille, neue Wege zu bestreiten sind ein Anfang.