Rückkehr einer vielgeliebten Berlinerin: Die Heilige Gertraude steht wieder am Spittelmarkt!
Die 125 Jahre alte Skulptur war 2017 von der Gertraudenbrücke entfernt worden, weil sie in den Spreekanal zu stürzen drohte.

Gertraude ist wieder da: Die Skulptur der Heiligen wurde (fast) an ihrem alten Standort am Spittelmarkt aufgestellt, von dem sie 2017 still und heimlich verschwunden war. Jetzt ist sie geputzt, restauriert, mit schützendem Wachs überzogen und schön wie 1896, als sie auf die damals neue und jetzt alte Gertraudenbrücke gestellt worden war.
Wehmut des Restaurators über die Trennung von seiner großen Freundin
Der Restaurator Bernd M. Helmich hatte die Figur mit drei Kollegen seit März von bis zu drei Millimeter dicken Kalkablagerungen befreit, die bei Feuchtigkeit Korrosionsschäden an der Bronze verursachten. Er war fast ein wenig wehmütig, als er mit einem Kranführer und einer Mitarbeiterin die drei Tonnen schwere Skulptur auf einen Interims-Betonsockel neben der Brücke zirkelte.

Er war der 3,60 Meter großen Heiligen sehr nahe gekommen, als der Kalksinter mit Skalpell und Freilegemesser abgetragen wurden, und war überaus angetan: „Die Skulptur ist eine ganz feine Arbeit, sowohl bildhauerisch als auch handwerklich.“ Er glaube nicht, dass jemand heute noch ein Werk abliefern könne, wie es dem Bildhauer Rudolf Siemering und die Kunstguss-Spezialisten aus Lauchhammer (Oberspreewald-Lausitz) 1895 gelang.
Eine ganz feine Arbeit
Bernd M. Helmich, Restaurator
Insgesamt sei die Gertraude in einem guten Zustand gewesen, sagt Helmich, es blieb nur ein Rätsel, wie Teerklumpen ins Innere gekommen seien. Die 1896 auf der Brüstung der damals neuen Gertraudenbrücke aufgestellte Figur musste nur in kleinen Teilen ergänzt werden. Drei verlorene Lilienblüten wurden nachgegossen – und ein Strick. An ihm führt der Wanderbursche, dem Gertraude zu trinken gibt, eine Gans.

Gertraude, auch als Gertraud oder Gertrud bekannt, war eine adlige fränkische Nonne, die im 7. Jahrhundert dem Kloster Nivelles im heutigen Belgien als Äbtissin vorstand. Sie war für ihre Fürsorge für Kranke berühmt, schützt als Heilige vor Ratten- und Mäuseplagen und ist unter anderem Schutzpatronin der Reisenden und Spinnerinnen. So erklärt sich auch das Denkmal der Heiligen: Sie kümmert sich rührend um dem Wanderer, zu ihren Füßen krabbeln Mäuse, und sie hat einen Spinnrocken in der Hand. Die Lilien verweisen auf den 17. März, den Tag der Heiligen, wenn der Frühling einkehrt.

Da der Bildhauer Siemering nicht wissen konnte, wie die historische Gertraude aussah, nahm er seine deutlich jüngere Frau Martha (mit dem schönen Mädchennamen Brausewetter) als Modell.

Bis zum Frühjahr 2017 stand die Figur auf der steinernen Brüstung der Brücke. Das Landesdenkmalamt ließ sie abmontieren, weil die Brüstung nicht mehr tragfähig war. Gertraude drohte in den Spreekanal zu stürzen. Von der Demontage wusste nur niemand, und Anwohner schlugen Alarm bei der Polizei. Sie fürchteten, Metalldiebe hätten die Gertraude gestohlen.
Jahrelang stand Gertraude im Depot, bevor die Restaurierung begann
Danach stand sie jahrelang in einem Depot, bis die Verwaltung sich entschieden hatte, was mit ihr geschehen soll. Deshalb konnten Helmig und seine Mitarbeiter erst 2021 mit der Arbeit beginnen. Wann die Skulptur wieder auf die Brüstung gestellt werden kann, ist ungewiss. Möglicherweise noch vor 2025 soll die Brücke saniert werden. Bis dahin wird sie von ihrem Betonsockel auf ihren alten Standort blicken.

Bei der Aufstellung gab es eine kleine Freuden-Demonstration von Gertrauden-Fans und der Interessengemeinschaft Leipziger Straße. Die Archäologin Claudia Melisch, die gefühlt den gesamten Untergrund der historischen Doppelstadt Berlin-Cölln umgegraben hat, machte begeistert Handyfotos. Sie findet es „enorm wichtig, dass sie aus der Versenkung wieder aufgetaucht ist. Ich freue mich riesig.“ Denn „nichts außer der Skulptur erinnert daran, dass am Standort der wichtigsten Geschichtszeugin der Umgebung einstmals das auf der Spreeinsel gelegene Cölln endete.“

Die Leute liebten ihre Gertraude, die auch noch einen Hinweis gibt, warum der Spittelmarkt so heißt, wie er heißt: Vor Jahrhunderten stand etwa an der heutigen Einmündung der Beuth- in die Axel-Springer-Straße das Gertraudenspital. Die Berliner verballhornten „Spital“ in Spittel.

Der Stadthistoriker Benedikt Goebel ist gleichfalls erfreut, hält die Wiederaufstellung aber für lange überfällig: „Es ist das volkstümlichste Denkmal Berlin.“ Deshalb sei es auch ärgerlich, dass die Skulptur jetzt eingezäunt ist: „Wer die Mäuse zu ihren Füßen streichelt, so geht der Glaube, hat immer Geld und in Liebesdingen die Aussicht auf eine gute Partie.“ Das werde nicht mehr funktionieren.

Viel schlimmer findet er, dass Gertraude auch in Zukunft an einer innerstädtischen Art Autobahn stehen wird. Denn Pläne, den Verkehr des Zuges Leipziger / Gertraudenstraße über die jetzt Fußgängern vorbehaltene historische Gertraudenbrücke zu führen, hat der Senat gekippt. Sie soll irgendwann in den nächsten Jahren saniert, die daneben liegende, vielspurige Autobrücke aus DDR-Zeiten ersetzt werden. Goebel urteilt: „Ein monströses Bauwerk, schrecklich für Mitte und schädlich für die Stadt.“

Die Erklärung des Senats, man brauche weiterhin diese zweite Überführung neben der alten Brücke für die geplante Straßenbahn, lässt er nicht gelten: „Die historische Brücke trug die Tram, und die heutigen Züge sind nicht schwerer.“ Wie zum Beweis der Tragfähigkeit zaubert Gerhard Boß ein Foto hervor, dass der ehemalige Pfarrer der Gertraudengemeinde bei einer Parade nach dem 2. Weltkrieg gemacht hatte: Panzer rollen über das Bauwerk.