Die Corona-Rolle rückwärts: Was die Absage der Ruhetage für Berlin bedeutet
Wer die Beschlüsse zur Osterruhe schon umsetzte, muss nun wieder umdisponieren. Doch viele Berliner waren weitsichtig und hatten abgewartet.

Der Beschluss, über Ostern fünf Ruhetage einzulegen, hatte eine ähnlich kurze Halbwertszeit wie eine Flasche Piccolo. Angela Merkel kassierte Mittwochmorgen den Ruhetags-Beschluss wieder, nur gute 24 Stunden nach der Verkündung. Gründonnerstag und Karsamstag bleiben nun Arbeitstage und werden nicht einmal Irgendwie-Feiertage. Der Beschluss sei in der Kürze der Zeit nicht umzusetzen gewesen, sagt die Kanzlerin. Nicht alle sind darüber glücklich. Zurück bleibt bei den einen Erleichterung und bei anderen ein dicker Pandemie-Kater.
Kommando zurück heißt es für alle, die den nächtlichen Einfall zur Pandemiebekämpfung schon in die Tat umsetzen wollten. Rolle rückwärts für Frisöre, die Termine absagten, für Ärzte gilt jetzt: Stoppt den Aufnahmestopp und die Terminverschiebung! Und dann sind da ja noch diejenigen, die in Ruhe abwarteten, wie sich die turbulente Großwetterlage konkret auf ihren Alltag niederschlagen würde. Die haben noch mal Glück gehabt.
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Allgemeinmedizinerin Ewelina Lemke betreibt in Steglitz-Zehlendorf eine Hausarztpraxis. Die 49-Jährige ist erleichtert, dass die Regelung zu den zusätzlichen Ruhetagen zurückgenommen wurde. „Sicherlich hätten meine Mitarbeiter einen weiteren freien Tag verdient, aber die Patienten denen ich hätte absagen müssen, standen bei den Überlegungen im Mittelpunkt.“
20 Termine hat die 49-Jährige für Donnerstag vereinbart. Doch erfahrungsgemäß kommen gerade an den Tagen vor den Feiertagen wie an Ostern und Weihnachten mehr Menschen spontan in die Arztpraxen. „Die Menschen kommen wegen akuter Beschwerden, ich hätte sie alle nach Hause schicken müssen“, so Ewelina Lemke. „Ich bin froh, dass ich noch nicht abgesagt hatte, ich wollte auf eine verbindliche Regelung der Kassenärztlichen Vereinigung warten.“ Bevor keine Klarheit herrscht, wollte die Ärztin nicht für Unruhe bei den Patienten sorgen. Dies erwies sich als weitsichtig. Die Praxis bleibt nun am Donnerstag offen.
Schneller in der Umsetzung der Osterruhe war Friseurin Natalja Haberling, die einen Salon in der Baumschulenstraße betreibt. Am Mittwochvormittag, während Angela Merkel sich gerade in einer Pressekonferenz erklärt und die Menschen für die entstandenen zusätzliche Verunsicherung um Verzeihung bittet, erzählt sie, dass sie gerade mit den Terminumbuchungen fast durch ist.
Frisör will trotzdem schließen
Während sie durch die grauen Haare einer Kundin fährt, kommt die Nachricht vom Kommando zurück auch vor dem Spiegel in der Baumschulenstraße an. „Ich schmeiße nicht alles noch mal um. Nein, ich komme am Donnerstag nicht“, sagt Natalja Haberling aufgebracht. Die Entscheidung, die zunächst geplanten Ruhetage aufzuheben, sei für die Betriebe schlimmer, als wäre alles beim Alten geblieben. „Supermärkte sollte man offenlassen. Aber für die anderen ist Planbarkeit wichtiger“, ist die Selbstständige überzeugt.
Betriebswirtschaftliches Chaos durch Absage der Osterruhe
Von einem „betriebswirtschaftlichen Chaos“ spricht auch Jan Kopatz, Obermeister der Friseurinnung Berlin. „Es ist ein Schock für alle Betriebe“, sagt er. Mehr könne er momentan nicht sagen. Sein Herren-Friseursalon wird zumindest am Sonnabend geschlossen bleiben. Dieser freie Tag komme seinen Mitarbeitern zugute, die in den letzten Wochen extrem gefordert waren.
Für die Kosmetikerin und Inhaberin der Beauty-Bar Kosmetiklounge in Friedenau, Ebru Hücuptan (50), bedeutet das Hin und Her viel Stress. „Wir mussten nicht nur die wenigen Termine, die wir noch haben, verlegen, es verursacht auch wieder zusätzliche Verunsicherung bei unseren Kunden.“
Industrie erleichtert, Handwerk entspannt
Aus der Industrie ist vor allem Erleichterung über das Zurückrudern von der Ruhe zu spüren. „Einen Fehler einzuräumen, zeugt von Größe“, sagt die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller. Die Autoindustrie hatte zuvor vor den Folgen eines „Oster-Lockdowns“ gewarnt. Plötzliche Betriebsstilllegungen seien für eine international vernetzte Wirtschaft nicht darstellbar, hatte Müller am Dienstagabend nach einem Autogipfel mit Merkel erklärt.
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Auch IHK-Präsidentin Beatrice Kramm begrüßt die Rücknahme als einzig richtige Entscheidung. Dennoch habe der undurchdachte Vorschlag großen Vertrauensschaden angerichtet. Das zeigten auch Hunderte ebenso empörte wie ratlose Anrufe bei der Corona-Hotline der IHK. „Immerhin ist anzuerkennen, dass es Mut kostet, eine falsche Entscheidung zurückzunehmen. Was wir jetzt brauchen, ist eine echte Strategie zur Pandemiebekämpfung, die über immer wieder verlängerte Lockdowns hinausgeht.“
Kein Paket-Stau bei DHL
Bei der DHL in Berlin übte man sich am Mittwochvormittag ebenfalls in Krisenmanagement. Zwar hatte man für die Lager und Verteilzentren einen Stau ausgeschlossen, da diese bei einem landesweiten Feier- oder Ruhetag auch nicht mit Paketen beliefert würden. Sorgen hatte man sich allerdings wegen dringend benötigter Sendungen mit Medikamenten oder Masken gemacht. Die können nun wie gehabt an Kunden ausgeliefert werden.
Auch in der Berliner Handwerkskammer begegnete man der großen Verwirrung um die Ruhetage mit Gelassenheit. Man habe im vergangenen Jahr gelernt, mit neuen Situationen umzugehen. Allerdings räumt der Sprecher auch ein, dass die Pandemie das Geschäft baunaher Handwerksbereiche weit weniger dramatisch beeinträchtigt hätte als in der Gastronomie oder dem Friseur-Handwerk. „Die Auswirkungen von Corona sind überschaubar.“ Ein Marzahner Handwerksmeister sagt dazu: „Wenn wir nicht arbeiten dürfen, holen wir das nach. Kein Problem.“
Gerichte sagten Sitzungen ab
In den Berliner Gerichten hingegen sollen schon mehrere Sitzungen für Gründonnerstag ausgesetzt worden sein, heißt es aus Anwaltskreisen. Das sorgt für Unverständnis unter den Juristen. Leider ließe sich nicht genau ermitteln, wie viele Termine tatsächlich betroffen seien, aber jetzt seien sie aufgehoben und es ließe sich nichts mehr daran ändern. Diese Entscheidung habe gravierende Folgen für einen Rechtsstaat, betonte ein Strafverteidiger. „Eine von Gewaltenteilung getragene funktionsfähige Justiz ist eines der wichtigsten Güter, die wir in der Bundesrepublik haben und bräuchten“, so der Anwalt. Lisa Jani, Sprecherin der Berliner Strafgerichte, betonte: „Es mag bereits zu einigen Aufhebungen gekommen sein, da sowohl am Land- als auch Amtsgericht vorsorglich auf die Regelung hingewiesen wurde und die Richter darauf vorbereitet sein sollten.“ Jedoch sei es nicht zu reihenweise Aufhebungen gekommen, betonte sie.