Die Reinickendorfer Ärztin bei der Behandlung eines Patienten.
Die Reinickendorfer Ärztin bei der Behandlung eines Patienten. Volkmar Otto

Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen eine Allgemeinmedizinerin in Reinickendorf. Anfang Januar wurden ihre Praxisräume von der Kriminalpolizei durchsucht. Der Vorwurf: Sie soll in drei Fällen, Patienten ungerechtfertigt Atteste über Maskenbefreiungen ausgestellt haben. In Deutschland ist das kein Einzelfall. Immer wieder wird während der Pandemie gegen Mediziner ermittelt, weil sie falsche Maskenatteste oder auch Impfpässe ausgestellt haben sollen. Der KURIER sprach mit der 50-jährigen Medizinerin über die Anschuldigungen. Sie fühlt sich zu Unrecht beschuldigt.

„Ich habe seitdem keine Nacht mehr ruhig geschlafen, aber nicht weil ich mir etwas vorzuwerfen habe, sondern weil ich fassungslos bin, dass man mir derart misstraut“, sagt die Ärztin, die wegen der laufenden Ermittlungen gegen sie, namentlich nicht genannt werden möchte. Sei sei sehr verletzt, dass man ihr quasi unterstelle, sie würde Gefälligkeitsdienste erfüllen. Sie sei als Ärztin stets auf der Seite ihrer Patienten und versuche jede Krankengeschichte ernst zu nehmen. Sie „würde auch niemals etwas für Geld tun.“ 

Der Medizinerin wird vorgeworfen, ihren Patienten Maskenatteste ausgestellt zu haben, ohne dass bei ihnen Vorerkrankungen vorlagen.
Volkmar Otto
Der Medizinerin wird vorgeworfen, ihren Patienten Maskenatteste ausgestellt zu haben, ohne dass bei ihnen Vorerkrankungen vorlagen.

In dem Durchsuchungsbeschluss der Berliner Staatsanwaltschaft, der dem KURIER vorliegt, heiß es unter anderem: „Es liegen Zweifel an der Richtigkeit der Atteste vor, da die Formulierung „aus medizinischen Gründen unzumutbar“ wenig Aussagekraft bezüglich der medizinischen Indikation hat und eine globale Befreiung vom Tragen des Mundnasenschutzes ausgesprochen wird.“

Bei keinem der Zeugen seien Vorerkrankungen bekannt, die die Befreiung von der Maskenpflicht aus gesundheitlichen Gründen nahelegten. Die Staatsanwaltschaft wollte sich auf Nachfrage des KURIER nicht weiter äußern. Nur so viel: „Die richterlich angeordnete Durchsuchung der Praxisräume erfolgte aufgrund des Anfangsverdachts des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse“, äußerte sich Staatsanwältin Mona Lorenz.

Hausärztin wusste erst nicht, was die Kripo wollte

Insgesamt geht es um drei Fälle, in denen die Strafverfolgungsbehörden ermitteln. Es sei unter anderem um Schüler gegangen, die nicht imstande waren, im Unterricht oder sogar im Sportunterricht länger eine Maske zu tragen, weil sie unter dem Mundnasenschutz Atemnot und Schwindel bekommen hätten.

Ein weiterer Patient im Rentenalter habe unter Panikattacken gelitten, wenn er die Maske im alltäglichen Leben, wie bei der Physiotherapie oder in der U-Bahn tragen sollte, erklärt die Medizinerin. Sie vermutet, dass sie wegen ihrer Atteste von der Schulbehörde und einer Physiotherapiepraxis bei der Polizei angezeigt worden sein könnte und somit der Stein ins Rollen gekommen sei. Für sie vollkommen unverständlich, wie sie betont: „Ich habe mit den Patienten gesprochen und ihre Ängste sehr ernst genommen. Sie haben Vertrauen zu mir. Wer ist für sie da, wenn nicht ihr Arzt oder ihre Ärztin“, sagt sie. 

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Die 50-jährige schildert, wie sie es empfunden hat, als an jenem Tag plötzlich die Kripo bei ihr vor der Tür stand:  Sie sei gerade in einem Patienten-Gespräch gewesen, als ihre Mitarbeiterin aufgeregt in den Behandlungsraum gekommen sei und ihr mitteilte, dass die Polizei in der Praxis sei und sie sprechen wolle. Sie habe zunächst gar nicht gewusst, worum es gehe und habe die Beamten darum gebeten, erst ihren Patienten weiter zu behandeln. „Als sie mir anschließend den Durchsuchungsbeschluss zeigten, stand ich total unter Schock“, erinnert sie sich. Sie habe nichts zu verbergen und ihnen die Akten, um die es ging, bereitwillig herausgesucht und mitgegeben. Auf diese Weise konnte sie die Durchsuchung abwenden.

Doch der Vorfall habe ein befremdliches Gefühl bei ihr hinterlassen. „Ich bin seit 1996 als Ärztin in Berlin tätig, seit 2009 als niedergelassene Hausärztin und davor im Deutschen Herzzentrum. Ich habe meinen Job bislang immer als Berufung gesehen, weil ich anderen Menschen helfen möchte und samstags biete ich noch zusätzlich eine offene Sprechstunde an, in der ich obdachlose Menschen behandele. So etwas habe ich noch nicht erlebt, dass man meine Praxis durchsuchen will.“

Die Medizinerin impft in ihrer Praxis auch gegen Covid-19

In diesen Tagen sei eine hochschwangere Frau bei ihr gewesen, die allergisch auf Masken reagierte und im ganzen Gesicht Ausschlag hatte. Es habe schlimm ausgesehen und sie hätte ihr gern vorübergehend eine Befreiung ausgestellt. Doch sie habe ihr aus Angst vor Konsequenzen nicht helfen können. „Das hat mich sehr traurig gemacht“, sagt die Mutter dreier Kinder. Sie fühle sich auch von der Ärztekammer nicht richtig vertreten. Sie habe erwartet, dass sie hinter ihr stünden. Stattdessen würden sie ihr auch noch Probleme machen. „Sie schrieben mir, dass ich den beiden Kindern keine Maskenbefreiungen ausstellen dürfte, da ich kein Kinderarzt sei und sie zudem psychische Probleme hätten.“

Die Medizinerin impft auch in ihrer Praxis gegen Covid-19 und ist selbst geimpft. Sie nehme Corona sehr ernst und sei ganz gewiss keine Gegnerin, aber es gebe Situationen, in denen die Schutzmaßnahmen nicht für jeden Menschen umsetzbar seien und auch überdacht werden müssten, weil sie zum Teil widersprüchlich und nicht sinnvoll seien. „Wenn ich zum Beispiel eine Haarentfernung im Gesicht durchführen lasse, muss ich eine Maske tragen, wenn ich das Geschäft betrete. Bei der Behandlung selbst, kann ich aber keine tragen. Das ist doch absurd“, betont sie.

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Außerdem habe sie bei einem Patienten die Immunität getestet und fest gestellt, dass er nach der zweiten Impfung genügend Antikörper habe. Dennoch habe sie ihm den Booster geben müssen, weil keine Atteste anerkannt seien. „Das Gefühl nicht mehr helfen zu können, mache ihr sehr zu schaffen“, sagt sie.

Der Berliner Fachanwalt für Medizinrecht, Volker Loeschner, sieht strafrechtlich keinen Anfangsverdacht auf die sich der Durchsuchungsbeschluss stützen könnte. „Ob eine Person krank ist oder schwer atmen kann, ist oft eine subjektive Betrachtung“, sagt er.  Aus diesem Grund sehe er auch keinen Vorsatz zur Täuschung. Selbst wenn sich herausstellte, dass die Ärztin fahrlässig ein falsches Gesundheitszeugnis ausgestellt habe, sei das straffrei. Der Arzt darf den Beschwerden im Rahmen der Anamnese glauben.

Der KURIER fragte bei der Ärztekammer Berlin nach, ob der Fall dort bekannt ist: Die Ärztekammer könne zu laufenden Verfahren keine Auskünfte geben, teilte Sprecher Ole Eggert mit und ließ verlauten, dass der Ärztekammer mehrere Strafverfahren in Berlin zu Maskenattesten als auch zu Impfbescheinigungen bekannt seien.  „Welche Maßnahmen durch die Strafverfolgungsbehörden jeweils veranlasst werden, wissen wir nicht“, sagte er. 

Für ärztliche Atteste zu Maskenbefreiungen gibt es hohe Hürden

An ärztliche Atteste zu Maskenbefreiungen gibt es inzwischen hohe Anforderungen. „Zu den Personen, denen eine Mund-Nasen-Bedeckung aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar ist, zählen zum Beispiel Menschen mit Hörbehinderung (zur verbesserten Kommunikation)“, erklärt Markus Hüttmann, Sprecher der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD).

In der entsprechenden Leitlinie der Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin werde Hausarztpraxen bei entsprechende Anfragen geraten, dass eine Befreiung von der Maskenpflicht zwar aus gravierenden medizinischen Gründen möglich, aber nur in absoluten Ausnahmefällen gerechtfertigt sei. Asthma bronchiale sei zum Beispiel bis auf schwere Verläufe kein Risikofaktor und rechtfertige auch nach Stellungnahmen lungenärztlichen Fachgremien keine Ausnahme von der Maskenpflicht.