Ein dpa-Fotograf war zur Stelle, als ein aufgebrachter Verkehrsteilnehmer am Freitag bei einer Blockade der Letzten Generation auf der Autobahn 100 eine Aktivistin von der Straße zerrte.
Ein dpa-Fotograf war zur Stelle, als ein aufgebrachter Verkehrsteilnehmer am Freitag bei einer Blockade der Letzten Generation auf der Autobahn 100 eine Aktivistin von der Straße zerrte. Paul Zinken/dpa

Tagtäglich erleben Autofahrer in Berlin und anderen Großstädten die wiederkehrende Situation: Sie müssen zu einem Termin und kommen nicht weiter, weil vor ihnen die Straße blockiert ist. Als wären Baustellen und Berufsverkehr nicht genug, nerven Klimaaktivisten, die ihre Hände nicht mehr nur auf die Fahrbahn, sondern inzwischen auch an Fahrzeuge kleben.

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Wütende Autofahrer gehen rabiat gegen Klima-Kleber vor – können sie sich auf Notwehr berufen?

Immer häufiger sind inzwischen auch Szenen zu sehen, in denen wütende Autofahrer das Recht in ihre eigenen Hände nehmen: Klima-Kleber wurden von der Fahrbahn gezerrt, getreten oder geschlagen. Sie sehen sich dabei von der Auffassung einiger Juristen bestärkt, die ein derartig robustes Vorgehen mit „Notwehr“ begründen.

Notwehr wird im Strafgesetzbuch (StGB) § 32,2  folgendermaßen definiert: „Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.“ Wer eine Tat begehe, „die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig“.

Staranwalt behauptet: Autofahrer dürfen Klimaaktivisten sogar verletzten. Aber stimmt das wirklich?

Eine typische Notwehrsituation ist ein Angriff, den jemand abwehrt, dabei den Angreifer verletzt. Auch das ist juristisch nicht unumstritten: Wenn das „erforderliche“ Maß an Gewalt überschritten wird, sprechen Juristen von „Notwehrexzess“.

Wie weit das Recht auf Notwehr reicht, entscheiden Gerichte im Einzelfall. Dennoch gibt es Juristen wie den Medienanwalt Ralf Höcker, die einen sehr weit gefassten Begriff von Notwehr verbreiten. Höcker behauptet ohne jede Einschränkung, „ Autofahrer dürfen #Klimakleber selbst von der Straße zerren. Sie müssen nicht auf die Polizei warten.“ Mehr noch: „Verletzungen, z.B. an den Handflächen der #Klimaaktivisten, sind hinzunehmen und ändern nichts am Notwehrrecht des Autofahrers.“

Berliner Staatsanwaltschaft widerspricht: Genervte Autofahrer müssen auf die Polizei warten

Tatsächlich steht Höcker mit dieser Auffassung nicht alleine da, doch andere Juristen widersprechen vehement, so auch die Berliner Staatsanwaltschaft. Diese vertritt die Auffassung, „es dürfte immer zumutbar sein, ein paar Minuten auf Eintreffen der Polizei zu warten“.

Die Berliner Staatsanwaltschaft widersprach jüngst auch der Auffassung von Brandenburger Kollegen, die die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung verfolgen wollen. Hierfür sieht die Berliner Staatsanwaltschaft die Voraussetzungen nicht erfüllt.

Rabiaten Autofahrern könnte Nötigung oder sogar gefährliche Körperverletzung vorgeworfen werden

Selbst wenn sich die Rechtsauffassung, es handle sich bei Klimaaktivisten um eine kriminelle Vereinigung, durchsetzt, die offenbar auch Berlins neue Justizsenatorin Badenberg teilt, würde dies die Rechtslage wohl kaum wesentlich ändern: Denn im Einzelfall müssten Autofahrer nachweisen, worin die konkrete Notwehrsituation bestanden hat und warum ihnen kein anderes Mittel blieb, als so vorzugehen, wie sie es taten.

Wenn Klimaaktivisten dabei bedrängt oder gar verletzt werden, kommt ein weiterer möglicher Straftatbestand ins Spiel: derjenige der Nötigung (§ 240), der mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren Haft geahndet werden kann. Der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke vertritt die Auffassung, in solchen Fällen müsse immer das mildeste Mittel zum Einsatz kommen, also zunächst die Polizei gerufen werden. „Wenn Autofahrende die Demonstrierenden wegtragen, liegt grundsätzlich eine strafbare Nötigung und bei Verletzungen der Hände eine Körperverletzung, beim Einsatz von Werkzeugen wie Messern sogar eine gefährliche Körperverletzung vor.“

Ermittlungen gegen Autofahrer, die Klimaaktivisten bedrohten oder Gewalt einsetzten

Die B.Z. zitiert einen Anwalt mit der Klarstellung, es sei nicht erlaubt, Klimaaktivisten zu beleidigen oder etwa mit Wasser zu übergießen. In einer Grauzone bewegen sich demnach Autofahrer, die bei einer Blockade Demonstranten etwa von ihrem Autodach zerren würden.

Mehrere wütende Autofahrer, die rabiat gegen Klimademonstranten vorgingen, sehen sich inzwischen im Fokus von Ermittlungen. So zwei Rüpel-Autofahrer, die vergangenes Jahr Schläge androhend einen Stock an den Kopf eines Aktivisten hielten und ihn anschließend von der Fahrbahn zerrten. Mehrere Staatsanwälte, unter anderem in Berlin, prüfen derzeit Videoaufnahmen, in denen Autofahrer bewusst auf Klimaaktivsten zufuhren oder sie gewaltsam von der Fahrbahn zerrten.