Putin und der Tod der Kinder: Ukrainischer Botschafter zeigt die Opfer
Andrij Melnyk wirbt um Unterstützung im Kampf gegen die russische Armee und für die Zivilbevölkerung

Es waren nicht nur beschriebene Seiten, die Andrij Melnyk zum Rednerpult des Abgeordnetenhauses mitnahm: Es waren ausgedruckte Fotos, die den Worten des ukrainischen Botschafters besondere Wucht verliehen. Fotos von Kindern, die in Putins Krieg gegen sein Land den Tod durch russische Waffen fanden.
Melnyk, der als erster Botschafter jemals das Wort im Berliner Parlament ergreifen durfte, begann mit der für die Situation des Landes beispielhaften Schilderung der Lage in Mariupol, deren Eroberung durch Putin 2014 gescheitert war. Einer Stadt, die sich erholt habe, und die seit zwei Wochen „wie im Mittelalter“ einer Blockade unterliegt. In der es für Hunderttausende kein Essen und keinen Strom gibt, die Schnee sammeln, um Wasser zu bekommen, die in Kellern dauerndem Beschuss ausgesetzt sind.

Der allgemeinen Beschreibung folgte das konkrete Entsetzen: Fotos, die das Sterben des 18 Monate alten Kyrylo dokumentieren. Am 4. März in Mariupol durch Beschuss verwundet, konnten seine jungen Eltern das Kleinkind noch ins Krankenhaus bringen.

Andrij Melnyk: „Sie flehten, bitte stirb nicht, verlass uns nicht. Aber der liebe Gott hatte andere Pläne, Kyrylo ist im Himmel.“ Danach: „Tränen, Tränen, Tränen.“

Die grenzenlose Trauer eines Elternpaars

Deutschlands Russland-Politik ist gescheitert, sagt der ukrainische Botschafter
Melnyk, der weitere kindliche Opfer aus seinem Land anführte, wurde anschließend in Richtung der Politik sehr deutlich. Putin sei gerade auch in Deutschland zu lange hofiert worden. Er hätte schon bei den russischen Angriffen auf Aleppo gestoppt werden müssen, jetzt gebe es viele „gräßliche Aleppos“ in einem Vernichtungskrieg gegen die Ukrainer und die Ukraine als Staat und Kulturnation.
Putin, du bist ein Mörder. Du wirst in der Hölle schmoren in alle Ewigkeit.
Andrij Melnyk, ukrainischer Botschafter in Deutschland
Die deutsche Russland-Politik sei komplett gescheitert, Deutschland müsse das aufarbeiten, damit sich das „politische Fiasko“ nicht wiederhole. 15 Minuten dauerte die Rede, in der Melnyk um Unterstützung in einem Kampf warb, den die Ukraine „auch für Sie, für Ihre Freiheit“ führe, und ihm eine Minute stehenden Applaus brachte.
In der nachfolgenden Runde der Fraktionsvorsitzenden war viel von Solidarität, Gefühlen, persönlicher Betroffenheit, Dank an die freiwilligen Helfer und Wünschen die Rede. Kai Wegner (CDU) fiel durch vielfach als unpassend empfundene Angriffe auf den Senat auf, Kristin Brinker (AfD) warnte vor der Gefahr eines Atomkriegs.
Detailliert auf in Melnyks Rede enthaltenen „Aufgabenzettel“ ging nur die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) ein, soweit Berlin sich angesprochen fühlen müsse – nicht für Fragen der ukrainischen Verteidigungsfähigkeit. Ja, den zwei Sattelzügen mit medizinischen Hilfsgütern würden weitere folgen.
Ja, Berlin werde eine „Luftbrücke 2.0“ als Versorgungskorridor unterstützen, wenn auch auf der Schiene: Sie habe schon mit Sigrid Nikutta darüber gesprochen, der Chefin von DB Cargo. Die ersten Güterzüge sollen noch diese Woche rollen.
Ja, man werde sich über eine zentrale Gedenkstätte für die acht Millionen ukrainischen Weltkriegsopfer und 2,5 Millionen Zwangsarbeiter austauschen.
Ja, sie habe schon mit Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) über die Einrichtung einer zweisprachig deutsch-ukrainischen Europaschule gesprochen. Und ja, man werde versuchen, bei Berlins Kultureinrichtungen dafür zu werben, Werke ukrainischer Künstler zu zeigen oder aufzuführen.

Giffey forderte vom Bund – auch der Bundeswehr – und den anderen Ländern mehr Hilfe, mit der Situation fertig zu werden: Jeden Abend müssten weitere 1000 Betten für ukrainische Flüchtlinge bereitstehen, man wolle alles tun, dass niemand in einer Turnhalle untergebracht werden muss. Immer mehr Flüchtlingsunterkünfte würden reaktiviert, und man arbeite daran, die Kinder in die Schulen zu bringen.
Flughafen-Gebäude Tegel wird Ankunftszentrum für Flüchtlinge, um den Hauptbahnhof zu entlasten
Am Wochenende soll der Ex-Flughafen Tegel als „Ankunftszentrum“ eröffnen, um die Menschen zu empfangen, zu registrieren, gegebenenfalls in Berlin unterzubringen oder in andere Bundesländer zu schicken. Die Arbeitsagentur soll über Beschäftigungsmöglichkeiten informieren.
Am Ende zeigte Giffey Rührung, als sie an den Botschafter einen Wunsch aussprach, den sie von einer Berliner Ukrainerin gehört hatte: „Ich wünsche Ihnen einen friedlichen Himmel.“