In einem Waldstück in der Wuhlheide in Berlin begeben sich Aktivisten in schwindelerregende Höhen, um dort den Bau einer neuen Straßenverbindung zu verhindern.
In einem Waldstück in der Wuhlheide in Berlin begeben sich Aktivisten in schwindelerregende Höhen, um dort den Bau einer neuen Straßenverbindung zu verhindern. Paul Zinken/dpa

Protestiert wird in Berlin nicht nur mithilfe von Sekundenkleber. Seit dem vergangenen Samstag protestieren Umweltschützer in der Wuhlheide gegen den geplanten Bau einer Entlastungsstraße im Bezirk Treptow-Köpenick in Berlin – und das auf Bäumen!

Die Demonstranten in der Wuhlheide, die sich als queerfeministische Aktivisten bezeichnen, richten sich gegen die sogenannte Tangentiale Verbindung Ost (TVO). Sie haben Bäume besetzt, Baumhäuser errichtet und Hängematten in luftiger Höhe gespannt. Mit dieser Aktion möchten die Baumbesetzer verhindern, dass für den Bau der Entlastungsstraße etwa 15,8 Hektar Wald im Bezirk Treptow-Köpenick gerodet werden.

Die geplante „Tangentiale Verbindung Ost“ soll in Zukunft den Berliner Stadtteil Biesdorf im Osten mit Köpenick verbinden. Der nördliche und südliche Teil der Verkehrsstrecke, bekannt als Märkische Allee und Spindlersfelder Straße, ist bereits in Betrieb. Nun steht das Mittelstück im Fokus. Dieser Abschnitt soll teilweise durch die Wuhlheide führen und die Lücke zwischen der Märkischen Allee und der Straße An der Wuhlheide schließen. Dadurch sollen insbesondere die Bezirke Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Treptow-Köpenick vom Durchgangsverkehr entlastet werden.

Klimaschützer protestieren gegen vierspurige Straßenverbindung

Die zuständige Senatsverwaltung plant den Bau der rund 6,5 Kilometer langen vierspurigen Straßenverbindung mit Gesamtkosten von 351 Millionen Euro, heißt es auf  RBB24. Anwohner fordern seit Jahren die Fertigstellung dieser Straße, da sich der Verkehr vor ihren Haustüren staut. Vor allem die Köpenicker Straße, die Treskowallee und die Straße Am Tierpark sollen entlastet werden. Trotz dieser langjährigen Forderungen hat sich der Baubeginn immer weiter verzögert. Bereits vor über 60 Jahren, zu Zeiten der DDR, gab es erste Planungen für das Projekt.

Im aktuellen Koalitionsvertrag von CDU und SPD in Berlin heißt es nun: „Wir werden die Planungen und den Bau der Tangentialverbindung Ost (TVO) vorantreiben, das heißt, das Planfeststellungsverfahren erfolgreich abschließen und noch in dieser Legislaturperiode mit dem Bau der TVO beginnen.“

Demnach ist geplant, zumindest bis 2026 mit dem Bau zu beginnen. Weitere Einzelheiten zu dem Projekt sind im Koalitionsvertrag nicht festgelegt. Die vorherige Koalition hatte auch eine Schienen-TVO (Nahverkehrstangente) und eine parallele Radschnellstraße geplant.

Die Aktivisten haben ein mehr als 20 Fußballfelder großes Waldstück besetzt. Sie wollen so den Bau der TVO (Tangentiale Verbindung Ost) durch die Wuhlheide verhindern.
Die Aktivisten haben ein mehr als 20 Fußballfelder großes Waldstück besetzt. Sie wollen so den Bau der TVO (Tangentiale Verbindung Ost) durch die Wuhlheide verhindern. Paul Zinken/dpa

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kritisiert, dass im aktuellen Koalitionsvertrag „kein Wort“ darüber zu finden ist, so der RBB. Aus diesem Grund lehnt die Umwelt- und Naturschutzorganisation den Bau der TVO ab. Angesichts der Klimakrise fordert Tilmann Heuser, Geschäftsführer des BUND Berlin, dass das Geld stattdessen in Maßnahmen für den klimaneutralen Umbau Berlins investiert werden sollte. Zudem würde die Tangentialverbindung die vorhandene Flora und Fauna in der Wuhlheide erheblich beeinträchtigen.

Torpedieren Klimaschützer das bedeutendste Stadtentwicklungsprojekt im Osten Berlins?

Im Rahmen einer Bürgerversammlung im Januar dieses Jahres informierten Meike Niedbal, zu dieser Zeit Staatssekretärin für Mobilität, und Lutz Adam, der Leiter der Tiefbauabteilung der Senatsverwaltung, über den aktuellen Stand der Planungen und das weitere Vorgehen. Sie kündigten an, dass im dritten Quartal 2023 die Planungsunterlagen bei der entsprechenden Anhörungsbehörde eingereicht werden sollen. Damit würde das Planfeststellungsverfahren in Gang gesetzt.

Frühestens nach zwei Jahren könnte dieses Verfahren abgeschlossen sein, und anschließend könnte die Umsetzung des Projekts beginnen. Der ehemalige Senator für Stadtentwicklung, Andreas Geisel (SPD), bezeichnete das Vorhaben in diesem Zusammenhang als „das bedeutendste Stadtentwicklungsprojekt im Osten der Stadt“.

Die Zuständigkeit für das Projekt liegt mittlerweile in der Verantwortung der CDU. Die Tangentialverbindung Ost (TVO) wird jedoch weiterhin als „ein wichtiges, seit langem geplantes Straßenneubauprojekt“ angesehen, wie Sara Lühmann, die Sprecherin der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt, dem RBB auf Anfrage mitteilte.

Lühmann präzisierte, dass wie bei anderen Infrastrukturbaumaßnahmen auch bei diesem Projekt Eingriffe in die Natur unausweichlich seien. Die Planung der TVO sei bewusst in einem aufwendigen Verfahren mit insgesamt zehn verschiedenen Trassenkorridoren immer wieder optimiert worden, um die Eingriffe im gesamten Gebiet und insbesondere in der Wuhlheide so gering wie möglich zu halten.

Klimaschützer sind nicht die Einzigen, die protestieren

Die derzeitige bevorzugte Variante sei diejenige mit den minimalsten akzeptablen Auswirkungen auf Natur und Grundstücke. Die Eingriffe würden hauptsächlich in den Randbereichen der Waldgebiete stattfinden. Zur zeitlichen Abwicklung äußerte sich die Sprecherin nicht.

Seit mehr als 15 Jahren setzt sich der Verband Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN) für den Bau der TVO ein. Ihr Ziel ist es, die Siedlungsgebiete im Südosten Berlins von dem starken Verkehrsaufkommen zu entlasten. „Die Grünen haben zuletzt den Fortschritt blockiert“, erklärte Peter Ohm, Vizepräsident des VDGN, gegenüber dem RBB.

Ein Transparent mit der Aufschrift „All Cars are Barricades“ (Alle Autos sind Barrikaden) hängt an einem Baumhaus in einem Waldstück in der Wuhlheide.
Ein Transparent mit der Aufschrift „All Cars are Barricades“ (Alle Autos sind Barrikaden) hängt an einem Baumhaus in einem Waldstück in der Wuhlheide. Paul Zinken/dpa

Nun ist die CDU in politischer Verantwortung und steht voll und ganz hinter der Tangentiale. Die Aufnahme des Projekts in den Koalitionsvertrag ist ein deutliches Signal. Ohm fügte hinzu, dass es bereits vor der Wahl von Kai Wegner ein klares Bekenntnis zu dem Vorhaben gab: „Die Politik ist seit Jahren mit dem Thema vertraut, mit wenigen Ausnahmen sind alle für die Straße.“ Dennoch rechnet er mit Klagen, auf die die Politik jedoch vorbereitet sei.

Der Klimapolitische Sprecher der Linke-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Ferat Koçak, ist gegen den Bau der Entlastungsstraße: „Alle sprechen von einer klimafreundlichen Stadt, und dennoch soll dieses absurde Projekt durchgeführt werden. Bis zu 15,8 Hektar wertvoller Wald, was 22 Fußballfeldern entspricht, sollen zerstört und die Bodenfläche versiegelt werden, während der motorisierte Individualverkehr weiter ausgebaut wird.“

Berlins Linke unterstützt die Klimaschützer

Zuvor hatte die Linke bereits kritisiert, dass im Koalitionsvertrag nur die Straßen-TVO behandelt wird und andere Aspekte vernachlässigt werden. Ohm wies darauf hin, dass der Radschnellweg mittlerweile in die Planungen der TVO integriert worden sei. Daher sei es nicht erforderlich, ihn gesondert zu erwähnen. Zusätzlich sei auch eine Trasse für den Bahnverkehr vorgesehen. Allerdings könnten Straße und Schiene nicht gemeinsam in einer integrierten Planung berücksichtigt werden.

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Zurzeit befinden sich noch etwa 30 Personen im Camp südlich des S-Bahnhofs Wuhlheide. In Spitzenzeiten waren es 100 bis 200 Menschen, wie ein Sprecher der Berliner Polizei auf Nachfrage dem RBB mitteilte. Bisher verlief alles friedlich. Die Polizei war nicht dauerhaft vor Ort, schaute jedoch regelmäßig im Rahmen ihrer Streifentätigkeit vorbei.

Die Entscheidung darüber, wie es in der Wuhlheide weitergeht, liegt laut dem Polizeisprecher bei der Hausrechtsinhaberin, nämlich der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. Die will sich die Situation vor Ort ansehen.

„Die Situation wird auch in den kommenden Tagen weiterhin von den Berliner Forsten beobachtet und bewertet“, fügte Lühmann hinzu. Die Umweltschützer gehen derweil davon aus, dass das Camp bald geräumt wird, wie sie auf Twitter mitteilten. Die Berliner Polizei beobachtet derzeit die Lage.

Der Biesdorfer Abgeordnete Christian Gräff (CDU) teilte in dem Zusammenhang mit: „Viele Umweltschützer waren bereits bei den Protestaktionen im Hambacher Forst aktiv und haben auch dort Tunnel gegraben. Leider ist denen die Situation vor Ort gänzlich unbekannt. Ich würde mir wünschen, dass die Umweltschützer die Situation im Ganzen betrachten. Dazu gehört u. a. auch, sich das tägliche Staugeschehen z. B. in Biesdorf und Karlshorst anzusehen. Leider lehnen die Umweltaktivisten bisher jeglichen Dialog ab.“

Und weiter: „Ich bleibe bei meiner Haltung! Ich erwarte vom Senat, dass die Planung und der Bau der TVO ohne weitere Verzögerungen forciert wird. Der Beginn des Planfeststellungsverfahrens im Jahr 2023 ist notwendig und muss kommen. Zehntausende Anwohner haben ein Recht auf Entlastung“, so Gräff.