Stolperstein für Bruno Lüdke
In Köpenick: Mario Adorf ehrt den Massenmörder, der keiner war
Der Schauspieler Mario Adorf und Bundespräsident Frank Walter Steinmeier verlegen in Berlin Stolperstein für Bruno Lüdke, der Jahrzehnte lang als Deutschlands schlimmster Serienkiller galt

Er hat seine Ehre wieder: Bruno Lüdke ist nicht länger der Teufel, der monströse Killer, zu dem ihn die Nationalsozialisten gemacht haben. Gestern wurde Lüdke, dem die Nazis Dutzende Frauenmorde anhängten und dann umbrachten, mit großer Prominenz rehabilitiert: Bundespräsident Frank Walter Steinmeier und Schauspiellegende Mario Adorf kamen zur Verlegung eines Stolpersteins in die Grüne Trift in Köpenick. Im Haus mit der Nummer 32, das heute nicht mehr steht, war Lüdke aufgewachsen, hatte seine Mutter eine Wäscherei betrieben.
Lesen Sie auch: Vom „Winnetou“-Schurken zur deutschen Filmikone>>
Zahlreiche Fotografen, aber auch viele Köpenicker warteten in der kleinen Straße, die für die Zeremonie abgeriegelt wurde, auf Adorf und Steinmeier. Ein Strauß gelber und weißer Rosen stand neben einem Foto von Bruno Lüdke, das ihn neben einem Pferd zeigt. Der geistig eingeschränkte Lüdke hatte als Kutscher in der Wäscherei der Mutter gearbeitet. Neben dem Foto klaffte ein quadratisches Loch im Pflaster des Gehwegs, in das der Stolperstein für Lüdke eingebracht werden sollte.

Meistgelesen
Forscher finden DAS heraus
Studie enthüllt: Wer in diesem Alter in Rente geht, stirbt früher
Blick in die Sterne
Horoskop fürs Wochenende: 23. und 24. September 2023 – für alle Sternzeichen
Chef gegen Assistenten
Trainer-Zoff vorm Spiel in Kiel bei Hertha BSC: Es geht um Dardai
Stromfresser oder nicht?
Wie teuer ist es wirklich, wenn das Ladekabel in der Steckdose bleibt?
Horror-Ende einer Reise
Fahrer stellt Reisebus mit Senioren auf Parkplatz ab und geht
Es war ein Anliegen von Schauspiellegende Mario Adorf, Bruno Lüdke zu rehabilitieren und „ein großes Unrecht“ wiedergutzumachen, wie der Mime in seiner kurzen, bewegenden Ansprache sagte. Deswegen wandte er sich mit seinem Ansinnen an den Bundespräsidenten. Der heute 90 Jahre alte Adorf hatte 1957 in dem Film „Nachts, wenn der Teufel kam“ den vermeintlichen Serienmörder Bruno Lüdke gespielt. Und mit der Rolle seine Weltkarriere begründet, aber damit Bruno Lüdke fälschlicherweise „jahrzehntelang den Ruf des schlimmsten Massenmörders der deutschen Kriminalgeschichte aufgedrückt“, und damit auch Leid über die Familie gebracht, so Adorf.
Er galt als gutmütig und harmlos und wurde von Kindern als der „doofe Bruno“ gehänselt
Bruno Lüdke wurde im April 1908 in Köpenick geboren. Seit einem Sturz in seiner Kindheit war er geistig behindert. Er galt als gutmütig und harmlos und wurde von Kindern als der „doofe Bruno“ gehänselt. Lüdke beging mehrere kleine Diebstähle, wurde dafür aber wegen geistiger Unzurechnungsfähigkeit nie belangt. Doch dadurch geriet er in den Fokus der Nationalsozialisten. Im Mai 1940 wurde Lüdke nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" zwangssterilisiert.

Am 29. Januar 1943 fanden spielende Kinder im Köpenicker Stadtwald die Leiche der 51-jährigen Frieda Rösner. Die Frau war vergewaltigt und erdrosselt worden. Am 18. März 1943 verhaftete die Polizei den Hilfsarbeiter Bruno Lüdke, der den Mord nach tagelangen Verhören gestand. Danach wurde der Mann, der weder lesen noch schreiben konnte, mit kruden Verhörmethoden mit insgesamt rund 80 noch unaufgeklärten Morden konfrontiert, die zwischen 1924 und 1943 in ganz Deutschland verübt worden waren.
Ende Mai 1944 schrieb der Kriminalkommissar Heinrich Franz, Lüdke sei für 53 Fälle als Mörder eindeutig überführt. Doch zu einem Prozess kam es nie. Die Nazis brachten Lüdke bei Menschenversuchen um. Die Lüge von seinen angeblichen Verbrechen wurde in der Nachkriegszeit in den Medien zur Wahrheit gemacht, Lüdkes Diffamierung fand 1957 mit dem Film „Nachts, wenn der Teufel kam“ seinen Höhepunkt. Die Klage seiner Schwestern gegen den Film bügelte ein Hamburger Gericht mit der Begründung ab, Lüdke sei nach Aktenlage ein Serienkiller.

Erst akribische Forschungen brachten vor wenigen Jahren die Wahrheit ans Licht: Bruno Lüdke hatte keinen einzigen Mord begangen, er war selbst Opfer der Nazis geworden. „Als Schauspieler und Darsteller des Bruno Lüdke löste die Entdeckung der Wahrheit ein tiefempfundenes Bewusstwerden der Verantwortung aus“, erklärte Adorf in seiner Rede. Er habe Verantwortung für seine plötzlich fragwürdig gewordene Darstellung des Bruno Lüdke übernehmen wollen. Deswegen sei er nun hier – in Köpenick.
„Bruno Lüdke war kein Täter, er war ein Opfer“, so der Bundespräsident.
Auch Bundespräsident Steinmeier, der noch am Vormittag in Aachen bei einem Gedenkgottesdienst für die Flutopfer geweilt hatte, würdigte Lüdke als Opfer des Nationalsozialismus. Der Mann sei von der Massenpropaganda des Dritten Reiches zum monströsen Massenmörder gemacht worden. „Bruno Lüdke war kein Täter, er war ein Opfer“, so der Bundespräsident.

9000 Stolpersteine gibt es bisher in Berlin, 105 sind es in Treptow-Köpenick. Als der Künstler Gunter Demning, der seit 1996 solche Gedenksteine für die Opfer des NS-Regimes in ganz Europa verlegt, den Stein mit der zehn mal zehn Zentimeter großen Messingplatte für Bruno Lüdke in den Gehweg schlug, stand auch Sven Bauschus dabei. Die Rührung war ihm anzusehen. Bauschus ist einer der wenigen noch lebenden Angehörigen von Bruno Lüdke. Seine Oma war die Schwester von Bruno Lüdke.
„Dieser Stolperstein bedeutet mir und meiner Familie sehr viel“, sagte der 49-Jährige, der sich vor der Zeremonie bei Mario Adorf bedankt hatte. Bauschus erzählte, dass er das Schicksal von Bruno Lüdke erst nach der Wende „bewusst wahrgenommen“ habe. „Die Familie hat immer gewusst, dass Bruno Lüdke kein Mörder war“, erzählt er. Bruno Lüdke sei ein gutmütiger Mensch und noch nicht einmal in der Lage gewesen, eine Fahrkarte zu kaufen. Der Stolperstein sei eine späte Gerechtigkeit für Lüdke – und die Familie.
