Plötzensee, Fischerpinte: Ein Paradies auf Abruf. Wenn der Pächter stirbt, stirbt auch diese Altberliner Idylle
Den Bootsverleih am Plötzensee kennen nur Eingeweihte. Wer einmal da war, will dass er bleibt.

Es gibt Orte in Berlin, über die man nicht in der Zeitung schreiben sollte. Damit sie im Verborgenen einfach bleiben können, wie sie sind. Die Fischerpinte am Plötzensee in Wedding ist so ein Ort. Doch einfach für immer so bleiben wie sie ist – das ist im Fall der Fischerpinte unmöglich. Beim Bootsverleih Wolfgang Düring, wie der Ort offiziell heißt, steht ein Stück altes Berlin auf der Kippe.
Denn die Fischerpinte darf nur ihr jetziger Pächter Wolfgang Düring betreiben. Wenn er stirbt, darf der Imbiss mit Steg nicht neu verpachtet werden, so will es der Bezirk aus Naturschutzgründen. Mit dem 78-jährigen Wolfgang Düring stirbt der Ort – so einfach und so unverständlich ist das.
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Der erste Branchenbucheintrag zum Bootsverleih „Zur Fischerpinte“ am Plötzensee stammt aus dem Jahr 1946. Doch schon vorher gab es hier einen Steg, Boote und Bier unter Markisen. Über Generationen haben sich die Berliner hier im Sommer erholt, wenn die Sonne den Wedding röstete, haben sich ihre Bockwurst bestellt und ihre Weiße getrunken. Vor 34 Jahren kaufte Wolfgang Düring den Bootsverleih für 200.000 Mark. Seitdem hat sich nicht viel verändert.

Düring, weißes Haar, blaue Augen, Zopf und 50 Kippen am Tag, versteht die Welt nicht so recht. Welches dieser Ämter sagt eigentlich, dass er seine Pinte nicht verkaufen darf? Er würde sich mit seinen 78 Jahren nämlich gern demnächst zur Ruhe setzen. Aber dazu reicht die Rente nicht. Hier am Steg muss mit Booten, Bier und Brause im Sommer die Miete für die Wohnung im Winter erwirtschaftet werden. Oder aber ein Verkauf rettet seinen Lebensabend. Früher betrieb Düring mehrere Imbisse in der Stadt, in der Hermannstraße zum Beispiel. Noch viel früher hat er eine Bäckerlehre absolviert und dann als Koch auf dem Hamburger Frachter „Helga Witt“ angeheuert. Sieben Jahre lang bekochte er die Mannschaft an Bord. Reserven fürs Alter? Nada.
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Fischerpinte liegt im Landschaftsschutzgebiet
Doch so einfach ist es nicht mit dem Verkauf des Kleinods am Plötzensee. An fehlenden Interessenten liegt es nicht. Doch das Grundstück am Plötzensee gehört dem Bezirk Mitte und es liegt im Landschaftsschutzgebiet Rehberge. Die Ufer des Plötzensees sind arg gebeutelt, der Bezirk will sie daher in Zukunft besser schützen. Ein Bootsverleih lässt sich mit Naturschutz schwer vereinbaren, lautetet das Argument. Als Wolfgang Düring seinen Betrieb vor einigen Jahren verkaufen wollte, wurde ihm die Regelung mitgeteilt. Weder käme demnach eine „neue Verpachtung noch eine Untervermietung in Betracht“, hieß es damals vom Straßen- und Grünflächenamt. Vielmehr soll Düring den Steg und das Haus auf eigene Kosten abreißen lassen. Kann er aber nicht.

Düring und der Bootsverleih – die zwei können nicht ohne einander. Wenn auch Düring längst nicht mehr jeden Tag auf dem Plastikstuhl mit Kissenberg an der Wasserkante Platz nimmt und die mitunter etwas grimmige Hündin Emmi zurückpfeift.
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Meist schmeißt Bine den Laden. Sie steht hinter der Theke, vor sich die Biere und Toffifeepackungen, hinter sich im Regal die Kurzen. Die Bockwurst kostet 2 Euro fünfzig, das Schultheiss ebenso. Auf die Frage, ob der Wolfgang denn noch einigermaßen fit sei, wiegt sie bedächtig den Kopf. Naja. Bine gibt die Boote raus, macht die Bockwurst warm, greift nach der Trillerpfeife neben der Tür, wenn einer draußen auf dem See rumkaspert. Untermalt wird die Idylle, von der keiner glauben würde, dass nur 100 Meter weiter die Autobahn rauscht, von Schlagermusik aus dem Radio.

Die Enten gründeln neben den Tretbooten, internationales Publikum aus dem nahen Jugendgästehaus mischt sich mit Weddinger Stammpublikum. So wie Rainer und Veronika, die regelmäßig herkommen. Das hier ist unsere Oase, sagt Rainer. "Einfach und schön, da braucht man kein Bali. Wir hoffen, es bleibt so. Überall sonst wird doch alles für Kommerz weggehauen. Wer kann sich denn auf dem Wedding ein Bier für 5 Euro leisten?" Manchmal komme er sich vor, wie aus der Zeit gefallen, sagt Rainer. Hier in der Fischerpinte ticken die Uhren wieder in seinem Takt. Wie lange aber noch, das weiß keiner.
Wolfgang, den sie hier Wolle nennen hat schon zwei Mal Lymphdrüsenkrebs überstanden, jetzt macht ihm sein Rücken zu schaffen. „Hab den Segelflieger gemacht“, sagt er und meint einen Sturz am Morgen. „Ich bin zäh“, sagt Wolfgang. 105 wolle er werden.„ Na denn mach mal“, sagt Bine.
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Auch Bine sähe es gern, wenn es eine Perspektive für die Pinte gäbe. Dass die Fischerpinte bleiben muss, das ist nicht nur den Gästen hier eine Herzensangelegenheit. Schon über 700 haben auf der Unterschriftenliste unterzeichnet. Ein Einwohnerantrag fordert, dass der Bezirk sich für den Erhalt des Bootsverleihs stark macht.

Besonders die Linke in Mitte findet, dass die Verbindung von Mensch und Natur auch in diesem Gebiet funktioniert, und hat einen Antrag in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gestellt, den Betrieb weiterhin zu erlauben. So heißt es im Antrag: „Die Interessen des Naturschutzes und der Kiezbewohner*innen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.“ Der Plötzensee müsse weiterhin ein Freizeitangebot für alle Menschen haben, insbesondere für diejenigen, die sich teure Urlaube nicht leisten können und auf Erholung zu Hause angewiesen sind!
Umweltstadträtin will neu prüfen
Mittes Umweltstadträtin Almut Neumann (Grüne) sagte im rbb, dass auch sie sich unter Umständen einen Weiterbetrieb vorstellen könne, wenn Umweltbelange durch Auflagen abgesichert würden. „Ich würde daher noch einmal in eine fachliche Prüfung gehen wollen“, so die Stadträtin.
Das klingt, als könne es dauern. Dabei wäre es wichtig, schnell Lösungen zu überlegen, damit nicht am Ende doch der mit dem dicksten Geldkoffer gewinnt und eine Lounge einrichtet. Oder - noch schlimmer - die Rolladen irgendwann unten bleiben und die Fischerpinte verfällt. Ruinen in reizvoller Landschaft gibt es in Berlin und Brandenburg genug. Denn auch wenn die Zeit hier stehen geblieben scheint, mit Schöller-Eis-Schild und verblichenen Klebesternchen an den vergitterten Scheibe: keiner weiß, wie lange es das Paradieschen vom Plötzensee noch gibt. Ein bisschen Wehmut paddelt hier immer mit.
