Pfifferlinge, Maronen und Morcheln – Pilz-Influencer auf YouTube
Sie betreiben einen YouTube-Kanal für Pilze, haben ein Buch übers Draußensein geschrieben und nehmen uns mit in den Wald: die Macher von Buschfunkistan.

Sie begeistern mit ihrem YouTube-Kanal Buschfunkistan junge Menschen für Wald, Pilze und Co. und erklären, was es mit Morcheln, Farnen und Moosen in den Wäldern um Berlin auf sich hat. Norman Glatzer und Vanessa Braun sind so etwas wie Pilz-Influencer.
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„In den Augen der Natur sind wir Tollpatsche, die über ihren eigenen Übermut stolpern und mit dem Gesicht in einem Fladen landen“, schreiben die beiden in ihrem jetzt erschienenen Buch mit dem Titel „Mittendrin im Draußen“ gleich auf den ersten Seiten. Und stellen damit schon einmal klar, wer der Chef im Wald ist: wir Menschen sicher nicht. Norman Glatzer und Vanessa Braun wollen für einen achtsamen Umgang mit all dem, was da draußen ist, werben. Und vor allem für eine der am meisten unterschätzen Lebensformen sensibilisieren: die Welt der Pilze. Sie ist riesig und voller Geheimnisse.
Wir haben uns mit Norman Glatzer und Vanessa Braun im Wald verabredet. Am Hotel Müggelseeperle geht es von der Straße aus gleich ins Grüne. Norman Glatzer hat einen Korb für besondere Funde dabei. Vanessa Braun trägt eine waldgrüne Mütze. Auf dem sandigen Weg, der von Gundelrebe (Glechoma hederacea) gesäumt ist, heften die beiden beim Gehen ihre Blicke auf den Boden. „In den Wald gehen und nicht nach Pilzen schauen, geht nicht“, sagt Norman Glatzer.
100.000 Abonnenten auf YouTube
Als Glatzer und Braun vor zweieinhalb Jahren ihren Kanal auf YouTube erstellten, hatten sie eine einstellige Zahl von Abonnenten, heute sind es über 100.000 Menschen, die ihre ein bis zwei neuen wöchentlichen Videos schauen. Dabei nehmen sie die Zuschauer mit auf Sammeltouren durch den Wald und erklären, was in den Korb kommt. Oder sie erstellen Pilz- und Pflanzenporträts und wälzen dazu Fachliteratur, Studien und Pilzlexika. Mittlerweile können die beiden sogar von Buschfunkistan leben.
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Wir lassen uns auf dem weichen Waldboden nieder. Um uns herum wachsen kleine rote Pilze, die wunderschön aussehen. Vanessa Braun pflückt einen. „Speitäublinge“, sagt sie und zupft am Stiel des Pilzes. Dann beißt sie ein Stück ab, kaut und spuckt wieder aus. Der Pilz schmeckt scharf, er gilt als giftig. „Pilze sind eine der ältesten Lebensformen“, sagt Norman Glatzer. „Ohne Pilze würde es uns nicht geben.“ Nahezu alle Pflanzen gehen eine Symbiose mit Pilzen ein. Als Kinder seien die meisten Menschen noch begeistert für alles, was die Natur bereit halte. Nach der Schule sei Natur für viele theoretisiert, der direkte Bezug fehle. Das wollen Vanessa und Norman mit ihren Videos ändern.

Benjamin Pritzkuleit
Otto Normalsammler weiß meist nicht viel über Pilze, sie sind ja nur temporär sichtbar, aber längst nicht nur im Herbst, wo es uns noch am ehesten in die Wälder zieht. Ihre Fruchtkörper kommen nur dann zum Vorschein, wenn die Bedingungen stimmen. Pfifferlinge, Maronen und Steinpilz erkennt man im besten Fall noch. Doch es gibt Tausende Arten von Pilzen. Ein unterschätztes Reich, dessen wichtigster Teil, das Myzel, stets im Boden verborgen bleibt.
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Auf ihren Streifzügen durch die Wälder in Berlin und Brandenburg haben die beiden Pilzfluencer erst neulich zwei Pilzarten entdeckt, die sie hier noch nie gesehen haben: den Rosablättrigen Krempentrichterling und den Würzigen Tellerling. Allein die Namen von Pilzen sind oft kleine Kunstwerke: Da stehen Klumpfüße, Gelbfüße, Stummelfüße, Dickfüße, Schleimfüße, Samtfüße, Raufüße, Wasserfüße, Gürtelfüße in unseren Wäldern herum. Von den Pilzen, die auf -kopf enden, ganz zu schweigen, und man kennt sie kaum. Mindestens zweimal in der Woche sind Vanessa und Norman draußen unterwegs. „Das ist dann aber eine schlechte Woche“, sagt Vanessa Braun. Neben Pilzen sammeln sie Wildkräuter, setzen Tees an, trocknen, legen ein und verwerten, was die Natur für Kenner bereithält.

Benjamin Pritzkuleit
Im Kühlschrank der beiden findet sich dann schon mal ein wenig Schleim der Stinkmorchel. „Gut für die Haut“, sagt Vanessa. Die Vielfalt im Wald sei so enorm groß, eine Bereicherung für den Speiseplan. Im Supermarkt gebe es immer das Gleiche. Außerdem sei es für alle erschwinglich, sich von dem zu ernähren, was die Natur biete. Im Gegensatz zu teuren Bioprodukten oder Fair-Trade-Ware.
„Die Waldluft hat eine bessere Bioverfügbarkeit als eine Line Kokain, sie geht direkt ins Blut und wirkt sofort. Und das ganz ohne Nebenwirkungen. Wer mal an einem warmen sonnigen Herbsttag durch einen Mischwald gelaufen ist, in dem sich der Duft von Anistrichterlingen mit dem Duft von Kiefernharz mischt, weiß, wovon hier die Rede ist“, heißt es im Buch.
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Pilze mit dem Duft eines Kartoffelkellers
Wir riechen an diesem Vormittag noch an Gelben Knollenblätterpilzen, nicht ganz so giftig wie die grüne Verwandtschaft, der den Duft eines Kartoffelkellers hat. Wir bestaunen den Birkenporling, aus dem ein magenfreundlicher Tee gebraut werden kann. Und Norman gesteht, dass er zu gerne einmal an einem Bocksdickfuß riechen würde. Ein Pilz, der nach stinkigem Ziegenbock riechen soll. Schlimmer aber als der Tintenfischpilz, der nach Aas riecht, sei es bestimmt nicht.

Benjamin Pritzkuleit
In Deutschland sind die Menschen eher mykophob, sagt Vanessa Braun. In Polen etwa, und manch anderen Ländern habe man einen viel engeren Bezug zum Sammeln und Verwerten von Pilzen.
Pilze mit dem Messer abschneiden?
Was uns zu einer wichtigen Frage führt: Soll man als Sammler im Wald den Pilz mit einem Messer abschneiden? „Das ist dem Pilz eigentlich egal“, sagt Norman Glatzer. Gerade, wenn man über die gängigen Pilzsorten hinaus sammelt, sei es mitunter lebensverlängernd, wenn man die Basis mit erntet. „Manche Pilze kann man nur so sicher bestimmen“, sagt der Pilzsachverständige.
Zauberpilze im Tiergarten
Erst als wir schon wieder zurück am Parkplatz sind, kommen wir noch auf halluzinogene Pilze zu sprechen. Ja, natürlich fragten die User auch nach Zauberpilzen. Auch in unseren Breiten gibt es psychedelisch wirkende Pilze mit dem Wirkstoff Psilocybin. Auf Spielplätzen oder in Parks findet man sie. „Sie lieben Rindenmulch“, sagt Vanessa Braun. Und sie fallen unter das Betäubungsmittelgesetz.
Auf dem Rückweg in die Stadt steht am Straßenrand ein Moped. Der Fahrer ist abgestiegen, um drei große Parasolpilze am Wegesrand mitzunehmen. Ich nicke ihm im Vorüberfahren wissend zu. Es gibt Hoffnung für das Pilzland Deutschland. Und die beste Zeit in den Wäldern rund um Berlin sei sowieso der Oktober, hat Norman Glatzer zum Abschied gesagt.

„Mittendrin im Draußen“ kostet 16,99 Euro und ist im Ullstein-Verlag erschienen.