Sören Benn (Linke) ist alter und neuer Bezirksbürgermeister von Pankow. Aber woher kamen die Stimmen?&nbsp;<br><br>
Sören Benn (Linke) ist alter und neuer Bezirksbürgermeister von Pankow. Aber woher kamen die Stimmen? 

Paulus Ponziak

Am Donnerstagabend hat die Bezirksverordnetenversammlung von Pankow Sören Benn zum Bürgermeister gewählt. Der 53-Jährige von den Linken bekam 29 von 55 Stimmen. 24 Abgeordnete stimmten mit Nein, es gab zwei Enthaltungen. Die Wahl war geheim. Und das sorgt jetzt für wilde Spekulationen. 

Die Zählgemeinschaft aus Linken und SPD war offenbar erfolgreich. Aber: Beide Fraktionen kommen zusammen auf insgesamt 23 Stimmen. Sechs Vertreter anderer Parteien müssen also für Benn gestimmt haben. Ohne diese Stimmen hätte es nicht zur Mehrheit gereicht. Nach Informationen der Berliner Zeitung waren es alle fünf Abgeordneten der Pankower AfD, die Sören Benn auf den Bürgermeistersessel geholfen haben. 

Vor einer Woche hatten SPD und Linke überraschend die Verhandlungen mit den Wahlsiegern von den Grünen abgebrochen. Zur Begründung hieß es ziemlich kryptisch: „Das grüne Personal konnte keine klaren politischen Prioritäten für den Bezirk Pankow formulieren.“

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Pankow: Sören Benn empört über Behauptungen

Bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung am 26. September 2021 hatten die Grünen in Pankow erstmals in ihrer Geschichte mit 24,7 Prozent gewonnen. Die Linke kam auf 19,7, die SPD auf 17,1 Prozent.

Dass die stärkste Partei nicht den Bürgermeister stellt, das gab es in Pankow noch nie. Möglich ist das überhaupt nur durch eine Gesetzesänderung, die die Große Koalition in Berlin Ende der Neunzigerjahre beschlossen hatte, um PDS-Bürgermeister in den Ost-Bezirken zu verhindern. Bis dahin galt: Die Partei, die die meisten Stimmen bekommt, stellt den Bürgermeister. Nun aber heißt es in § 35, Punkt 4, Absatz 2 des Bezirksverwaltungsgesetzes, „dass gemeinsame Wahlvorschläge von mehreren Fraktionen als Wahlvorschläge einer Fraktion“ gelten.

Sören Benn sagte der Berliner Zeitung wertete seine Wiederwahl gegenüber der Berliner Zeitung „als Ergebnis seiner Arbeit“. Auf die Frage, ob ihm möglicherweise AfD-Stimmen zum Sieg verholfen hätten, reagierte er empört. „Warum sollte eine rechte Partei einen linken Bürgermeister wählen?!“

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Geheime Wahl in der Pankower BVV.&nbsp;
Geheime Wahl in der Pankower BVV.  Paulus Ponziak

Kurze Zeit später erklärte Daniel Krüger von der AfD-Fraktion aber, dass Abgeordnete seiner Partei sehrwohl für Benn gestimmt hätten. Ohne sie wäre die erforderliche Mehrheit nicht zustande gekommen. Er begründete die Entscheidung, ihn zu wählen mit dem „merkwürdigen Demokratieverständnis der Linken“, die den Machtanspruch erhoben, ohne die Wahl gewonnen zu haben. „Ich bin jetzt 30 Jahre Kommunalpolitiker und habe noch nie erlebt, dass jemand ohne Mehrheiten Bürgermeister wird“, sagte Krüger. Er habe aber auch für Benn gestimmt, weil er als Stadtrat fünf Jahre mit ihm zusammengearbeitet habe. „Wir haben politisch unterschiedliche Positionen, aber wir brauchen eine funktionsfähige Verwaltung und es muss ja irgendwie weitergehen.“

Sören Benn mochte das auch am Morgen des 5. November nicht glauben: Statements nach einer Wahl ließen sich weder verifizieren noch widerlegen. „Ich bleibe bei der Motivfrage, bei der nach Plausibilität. Wem nützt welcher Spin?“

Grüne wollten CDU und FDP überzeugen

In den Tagen vor der Wahl hatten die Grünen noch versucht, die FDP und die CDU auf ihre Seite zu ziehen, um so eine Mehrheit zu bekommen. Vergeblich. CDU-Fraktionsvorsitzende Denise Bittner sagte der Berliner Zeitung: „Wir haben sehr intensiv mit den Grünen über eine Zählgemeinschaft verhandelt, uns aber dagegen entschieden.“ Aus inhaltlichen Gründen, aber auch, weil sie für die Mehrheit noch eine AfD-Stimme gebraucht hätten. „Das kommt für uns nicht in Frage“, sagte Bittner. Sie sagte auch: „Sören Benn unterstützen wir nicht.“ FDP-Fraktionsvorsitzender Thomas Enge sagte der Berliner Zeitung am Donnerstagabend nach der Wahl: „Von uns kamen keine Stimmen für Benn.“

Cordelia Koch (Grüne) muss sich mit dem Stellvertreter-Posten begnügen.&nbsp;<br><br>
Cordelia Koch (Grüne) muss sich mit dem Stellvertreter-Posten begnügen. 

Paulus Ponziak

Cordelia Koch, Spitzenkandidatin der Grünen und eigentliche Gewinnerin der Wahlen, stellte unmittelbar nach Verkündung des Bürgermeisterwahlergebnisses den Antrag, als Stellvertreterin gewählt zu werden. Sie bekam ebenfalls 29 Ja-Stimmen, genau so viele wie Benn. Da wusste sie allerdings noch nichts von dem AfD-Bekenntnis.

Später übten die Grünen heftige Kritik an den Linken - obwohl beide Parteien gemeinsam mit der SPD auf Landesebene gerade über eine Fortsetzung ihrer 2016 gebildeten Koalition verhandeln. „Als Wahlverlierer sich von Rechtsextremen ins Amt verhelfen zu lassen, das macht man nicht“, twitterte Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner am Freitag. „Wer sich sehenden Auges von Nazis abhängig macht, macht sich von Nazis abhängig. Das gilt auch für die @LinkePankow!“, twitterte der Grünen-Landesvorsitzende Werner Graf. 

Berlins Grünen-Vorsitzende Nina Stahr forderte den Rücktritt Benns: „Demokraten brauchen demokratische Mehrheiten jenseits der AfD“, erklärte sie am Freitag. „Dass Sören Benn es hat darauf ankommen lassen, dass es die Stimmen der AfD gewesen sein könnten, die ihn zum Bürgermeister gemacht haben, stellt einen Dammbruch dar. Es ist nun seine Aufgabe durch seinen Rücktritt bei der Reparatur des Damms zu helfen, und zwar schnellstmöglich.“

Die Linken reagierten mit Empörung. „In Anbetracht von Gesprächen, die wir vor der Abstimmung mit allen demokratischen Verordneten geführt haben, waren wir uns sicher, die erforderliche einfache Mehrheit zu erreichen“, erklärte die stellvertretende Berliner Landesvorsitzende und Pankower Bezirksvorsitzende Sandra Brunner. Aufgrund entsprechender Signale im Vorfeld gehe ihre Partei davon aus, dass Benn „mit Unterstützung von Einzelverordneten aus dem demokratischen Lager“ gewählt worden sei. „Ohne diese - glaubwürdigen - Signale hätte Sören Benn nicht kandidiert.“