Am ersten Tag ging nur die Antifa „flanieren“
Protest gegen die Corona-Demo Unter den Linden belebte die Szene für eine gute halbe Stunde

Am offiziell ersten Tag der autofreien Friedrichstraße wurde es unerwartet voll - aber nicht mit den gewollten Flaneuren: Kurz vor 13 Uhr stürmten einige hundert Antifa-Demonstranten aus der Jägerstraße in die Friedrichstraße, die gegen die Corona-Demo ein paar hundert Meter weiter nördlich protestierten. Es gab ein paar Schubsereien mit der Polizei, eine Absperrung wurde auf die Friedrichstraße gezogen, ein Müllcontainer umgekippt.
Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne), die um 13 Uhr einige Worte zu der Sperrung sagen wollte, die bis Ende Januar 2021 andauern soll, sagte den Eröffnungsakt ab: „Es ist kein normaler Tag, bei der aufgeheizten Stimmung ist es nicht angemessen, hier ein anderes Zeichen zu setzen.“ Sie hoffe, dass der Versuch gelingt, die Einkaufsstraße attraktiver zu machen. Sie shoppe auch in der Friedrichstraße, und werde es jetzt wohl öfter tun - mit dem Fahrrad: „Das ist modernes Einkaufen.“

Vor dem Erscheinen der meist schwarz gewandeten Corona-Gegendemonstranten, die zwischen Jäger- und Taubenstraße an Polizeiketten steckenblieben und nach einer guten halben Stunde abmarschierten, war es recht ruhig in der Friedrichstraße. Auf dem gelb markierten Mittelstreifen waren einige Radler unterwegs, dem Augenschein nach auch nicht schneller als mit Tempo 20 wie vorgeschrieben. Auf den Gehwegen bewegten sich vorwiegend Touristen und etliche Leute, die zur Corona-Demo wollten.

Leute, die sich die Auslagen in den Geschäften oder in dem halben Dutzend Pavillons auf der Straße ansehen wollten, waren rar. Die Weihnachts-Deko im Pavillon des Bürgelhauses passte auch nicht zum Sonnenschein. Bänke der Parklets blieben weitgehend leer, an den Cafétischen auf der Fahrbahn war schon mehr los.

Einer, der auf bessere Zeiten durch die Autolosigkeit zwischen Leipziger und Französischer Straße hofft, ist Vincent Veltjens, Store Manager im Möbelgeschäft BoConcept. Man sei seit zwölf Jahren an der Friedrichstraße, habe Aufstieg und Niedergang erlebt. Zwischen 2018 und 2020 sei das Besucheraufkommen im Laden um 80 Prozent zurückgegangen. Aber als im Oktober 2019 die Straße ein Wochenende lang für Autos gesperrt war, habe man 1200 statt sonst 200 Menschen im Laden gehabt: „Da war etwas los, was man von einer Einkaufsstraße auch erwartet.“

Riccarda Retsch (35) aus Friedenau ist begeistert: „Ich bin leidenschaftliche Radlerin, und es ist megatoll, ohne Angst hier entlangzufahren und nach links und rechts gucken zu können.“ Sie wünscht sich, dass auch die Schönhauser Allee für Autos gesperrt wird und die Parkplätze unter der Hochbahn in der Gitschiner Straße einem Radweg weichen.

„Ich glaube, dass die Sperrung ein Vorteil für die Geschäfte wird“, findet Christopher Simon (34) aus Mitte. „Mit noch ein paar Cafés mehr kann die Friedrichstraße eine Flaniermeile werden, die sich von den Einkaufszentren absetzt. Jedenfalls ist der Mehrwert durch die Sperrung größer als wenn sie für ein paar Autos offen ist.“

Skeptischer ist da Uwe Münchow (62) aus Kreuzberg, der seinen Yorkshireterrier Maya (6) im Lastenfahrrad chauffiert. „Auf eine Art ist die Sperrung in Ordnung, aber ich erwarte Umsatzeinbußen bei den Geschäften. Man sollte das Auto nicht aus der Stadt verdrängen. Die Verkehrsberuhigung hat schon in der Bergmannstraße nicht funktioniert, so etwas geht an der Realität vorbei.“
