„Null Prozent Späti“: Hier gibt es alles – außer Alkohol
Der Spätverkauf gilt als Inbegriff einer multifunktionalen Konsumkultur. In Kreuzberg wird die Genuss-Palette nun um den „Null Prozent Späti“ erweitert. Ein Gespräch mit einer der Betreiberinnen über ein Alternativ-Konzept zum Partyhedonismus.

Spätis stehen in der Corona-Pandemie besonders im Blickpunkt. Insbesondere viele junge Hauptstädter zelebrierten dort in den letzten Wochen feuchtfröhlich das Nachtleben. Ständiger Begleiter dabei: Alkohol. Doch in Berlin häufen sich ebenso die Orte, an denen der Verzicht auf Alkoholkonsum gelebt wird. Im Halleschen Haus in Kreuzberg hat am 1. Oktober Berlins erster alkoholfreier Pop-up Späti eröffnet.
„Null Prozent Späti“ heißt das Projekt von Isabella Steiner (31), Katja Kauf (29) und Valérie Chartrain (42). Steiner und Kauf betreiben gemeinsam die Online-Plattform „nüchtern.berlin“, Chartrain wiederum hat mit „Spiritsfully“ eine Bildungs- und Informations-Plattform rund um Spirituosen ins Leben gerufen. Alle drei verfolgen den neuen „Mindful Drinking“-Trend, also bewussteres Trinken. Der „Null Prozent Späti“ soll dabei nur der Anfang einer ganzen Bewegung sein, wie Steiner im Gespräch erklärt.
Warum braucht Berlin einen „Null Prozent Späti“?
Alkohol wird sehr gerne in Gesellschaft getrunken, er verbindet viele Leute miteinander. Bricht man mal für einen Abend aus diesem Muster aus und lehnt einen Drink ab, wird man meist ungläubig angeschaut. Häufig stellt das Gegenüber beispielsweise die Frage, ob man schwanger sei. In vielen Fällen wird man auch einfach mit Worten wie „Komm, ein Drink geht doch!“ überredet. Wir haben beobachtet, dass sich fast jeder unter Druck gesetzt fühlt, wenn er darauf angesprochen wird, warum er abstinent bleiben möchte. Viele wissen wahrscheinlich gar nicht, dass es auch leckere alkoholfreie Drinks gibt, mit denen eine ganz spannende Dynamik entstehen kann. Genau diese Aufklärungsarbeit wollen wir in Berlin mit dem alkoholfreien Späti leisten.
Ist der Späti auch als Antwort auf Berlins Feierwütige zu verstehen, die während der geschlossenen Clubs die Spätis oft zur Partyzone umfunktioniert haben?
Es geht uns nicht darum Alkohol zu verteufeln oder irgendetwas zu ersetzen. Wir wollen inspirieren und Alternativen aufzeigen. Wer an einem Montag oder am Wochenende mal keine Lust hat etwas zu trinken, soll wissen, an welchem Ort er ein gutes nicht-alkoholisches Getränk erhält. Dabei sprechen wir nicht von einer Limonade oder einem Eistee. Es geht uns um gleichwertige alkoholfreie Drinks.
Solche Drinks stellen Sie gemeinsam mit Ihrer Kollegin seit einiger Zeit auf der Online-Plattform „nüchtern.berlin“ vor. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Die Plattform ist entstanden, weil wir beide gerne etwas trinken. Ich fand es dabei immer spannend, meinen eigenen Konsum zu beobachten. Anstelle von Kalorien zu zählen, habe ich gezählt, wie viele Kater ich eigentlich habe. Ich wurde oft dafür belächelt, weil das Thema „alkoholfreies Trinken“ nicht einfach ist. Aber ich musste feststellen, dass mein ganzes Umfeld und ich eigentlich permanent trinken – auch wenn es nur ein Glas Wein oder das Feierabendbier waren. Daraus resultierte die Frage „Was trinke ich, wenn ich nicht trinke?“, die wir mit nüchtern.berlin beantworten wollen.
Welche Erkenntnisse konnten Sie bislang im Umgang der Menschen mit Alkohol gewinnen?
Wir mussten feststellen, dass es diverse Erfahrungen und Backgrounds zum Thema Alkohol gibt. Eine Freundin von mir ist damit aufgewachsen, dass die Eltern alkoholische Getränke eher als etwas Verbotenes ausgelobt haben. Darum hat sie einen völlig anderen Bezug dazu als ich. In meiner Familie wurde eine Flasche Wein oder Sekt meist geöffnet, um etwas zu zelebrieren, um Wertschätzung zu zeigen. Für andere ist Bier total prägnant in ihrem Leben. Und dann gibt es diejenigen, die mit einem Elternteil aufgewachsen sind, das ein Alkoholproblem hatte und die deswegen gar nicht trinken, weil sie nicht auch so werden wollen.

Zurück zum „Null Prozent Späti“: Welche Menschen sollen mit dem Konzept angesprochen werden?
Unser Motto lautet „Berlin ist dicht – wir nicht!“. Wir versprechen uns, dass wir vor allem die Generation zwischen 20 und 40 Jahren erreichen. Grundsätzlich wollen wir aber jeden ansprechen. Wir bieten in unserem Späti auch spezielle Workshops an. Unter dem Titel „Meine alkoholfreie Bar“ zeigt Nicole Klauß am 9. Oktober, wie man mit einfachen Mitteln eine alkoholfreie Homebar einrichten kann. Als Expertin für erwachsene alkoholfreie Getränkebegleitung spricht sie insbesondere auch Genießer an. Am 14. Oktober zeigen die Gründer von ROY Kombucha, wie man selbst zum Kombucha Brauer wird.
Der Späti-Betrieb ist zunächst auf vier Wochen angesetzt, die Öffnungszeiten sind von 10 bis 20 Uhr angesetzt, montags und dienstags ist geschlossen. Welche Idee steckt dahinter?
Zunächst eine pragmatische: Das Hallesche Haus ist an diesen beiden Tagen momentan geschlossen. Wir nutzen die Tage allerdings als Showroom. Wir wollen zwar den Endkonsumenten erreichen, aber auch die Gastronomie. Menschen, die in der Hotellerie und Gastronomie arbeiten sowie Händler, können dann per Terminvereinbarung vorbeikommen, sich unsere Produkte anschauen und verköstigen.
Die Berliner verweilen nicht zuletzt durch die geschlossenen Clubs immer öfter vor Spätis. Ist das auch vor dem „Null Prozent Späti“ möglich?
Ja. Das Hallesche Haus ist perfekt zum Verweilen. Es gibt einen schönen Außenbereich, wo man auch im Herbst noch gut draußen sitzen kann. Natürlich kann man sich bei uns auch drin aufhalten und sich aus unseren Kühlschränken eine alkoholfreie Biersorte nehmen oder sich zu einer alkoholfreien Spirituose beraten lassen.
Welche Produkte findet man im Späti?
Wir decken von alkoholfreien Bieren über Weine und Schaumweine bis hin zu sämtlichen alkoholfreien Spirituosen wie Gin, Wodka oder Rum alle Kategorien ab. Auch Kombucha kann man bei uns kaufen oder aber Dosen, in denen ein alkoholfreier Drink komplett fertig gemixt ist. Insgesamt führen wir über 100 Produkte von mehr als 50 Marken.
In welcher Preiskategorie liegen die einzelnen Getränke?
Bier, Softgetränke und Filler kosten bis zu 3 Euro, Weine und Schaumweine sind zwischen 5 und 15 Euro zu haben. Für Botanicals und Spirituosen zahlt man zwischen 18 und 29 Euro.
Wie sieht die Vision für den „Null Prozent Späti“ nach Oktober aus?
Nächstes Jahr soll Deutschlands erste alkoholfreie Messe stattfinden. Eigentlich hatten wir das für dieses Jahr bereits geplant, allerdings erwies sich die Umsetzung der Messe in Pandemie-Zeiten als zu komplex. Wir wollten aber unbedingt 2020 noch ein Zeichen setzen. Auch wenn es eher ein Boutique-Späti geworden ist, hat der „Null Prozent Späti“ diesen typischen Berliner Späti-Charakter. Und er ist im Prinzip die Pre-Party für unsere geplante Messe.