Im Bezirkswahlamt Lichtenberg in Hohenschönhausen werden die Stimmen der vergessenen Wahlbriefe gezählt.
Im Bezirkswahlamt Lichtenberg in Hohenschönhausen werden die Stimmen der vergessenen Wahlbriefe gezählt. dpa/Jörg Carstensen/dpa

Es war die große Panne der wiederholten Berlin-Wahl am vergangenem Sonntag. In Lichtenberg blieben einfach 466 Wahlbriefe liegen, die von der Poststelle des Bezirksamtes nicht in das Wahlamt gebracht wurden. Am heutigen Mittwoch wurden  nun die vergessenen Stimmzettel öffentlich ausgezählt. Mit einem verblüffenden Ergebnis. Denn die Nachzählung sorgt für ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Punkt 9.30 Uhr nahmen die Frauen und Männer an einem großen Tisch Platz,  der im Bezirkswahlamt im gegenwärtig geschlossenen Bürgeramt Hohenschönhausen an der Egon-Erwin-Kisch-Straße steht.

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Jeder der Helfer hat vor sich auf dem Tisch Schildchen mit den Namen der Parteien gestellt, wo dann die Stimmzettel zugeordnet wurden, abhängig davon, wo darauf das Kreuzchen stand.  Man arbeitete konzentriert. Dennoch: Das Nachzählen musste schnell erfolgen – noch am Mittwoch soll das Ergebnis dem Bezirkswahlausschuss übermittelt werden. Denn am kommenden Montag will man das Gesamtergebnis der Wahl für den Bezirk Lichtenberg bekanntgeben.

Aber auch andere lauerten auf das Ergebnis. Schließlich liegen im derzeitigen Berliner Gesamtergebnis der Wahl nur 105 Stimmen zwischen der SPD (Platz 2) und den Grünen (Platz 3). Daher hätte die Auszählung der vergessenen 466 Wahlbriefe vielleicht entscheidend sein können, ob sich nun doch Bettina Jarasch mit den Grünen auf Platz 2 vorschieben könnte.

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Vize-Bürgermeister Kevin Hönicke (SPD)
Vize-Bürgermeister Kevin Hönicke (SPD) Benjamin Pritzkuleit

Denn bekämen die Grünen noch Stimmen dazu, die ein Vorbeiziehen der Partei an der SPD ermöglichen, könnte Spitzenkandidatin Bettina Jarasch bei einer Koalition mit der SPD und den Linken das Amt der Regierenden Bürgermeisterin besetzen – und nicht die noch amtierende Franziska Giffey. Die SPD-Politikerin kann derzeit auf ein Verbleiben im Amt pochen, sollte es zur Neuauflage von Rot-Grün-Rot kommen.

Doch Experten hielte schon vorher einen derartigen Stimmenzugewinn bei der Lichtenberger Nach-Auszählung für kaum möglich. Der Bezirk gilt nicht gerade als Grünen-Hochburg.

Lichtenbergs Bezirkswahlleiter Axel Hunger: Er muss nun zwischen zwei Kandidaten per Los entscheiden, wer von ihnen ins Abgeordnetenhaus zieht. 
Lichtenbergs Bezirkswahlleiter Axel Hunger: Er muss nun zwischen zwei Kandidaten per Los entscheiden, wer von ihnen ins Abgeordnetenhaus zieht.  Jörg Carstensen/dpa

Nachzählen ergibt ein Kopf-an-Kopf-Rennen - CDU könnte einen Sitz verlieren

Gegen Mittag stellte sich zunächst etwas ganz anderes heraus. Die Nachzählung ergab: Im Wahlkreis 3 (u.a. Alt-Hohenschönhausen) gibt es jetzt ein Kopf-an-Kopf Rennen bei den Direktmandaten. Das ging nach dem Wahlabend an den CDU-Mann Dennis Haustein. Er hatte mit 4218 Erststimmen zehn mehr als Claudia Engelmann von den Linken.

Jetzt liegen beide Politiker gleichauf. Bezirkswahlleiter Axel Hunger muss wohl per Los entscheiden, wer ins Abgeordnetenhaus einzieht. Das soll kommenden Montag geschehen, wenn der Bezirkswahlausschuss in Lichtenberg tagt.

Möglich ist aber auch, dass im Zweifelsfall die Stimmen aus dem Wahlkreis 3 noch einmal nachgezählt werden, so der stellvertretende Bezirkswahlleiter Thomas Zeidler. Im Falle des Auslosens  hätte die CDU einen Sitz weniger im Abgeordnetenhaus, wenn das Losglück an die Linke-Kandidatin ginge. 

Linke-Kandidatin Claudia Engelmann
Linke-Kandidatin Claudia Engelmann Linke-Kreisverband Berlin-Lichtenberg

Das hatte aber  keine Auswirkung auf  den Machtpoker zwischen SPD und Grüne. Denn am Nachmittag stand nach dem Auszählen der Zweitstimmen fest: An der Rangfolge wird sich nichts ändern, in der die Parteien aus der Abgeordnetenhauswahl hervorgingen. Von den ausgezählten 466 Zweitstimmen entfielen 88 auf die SPD und 80 auf die Grünen. Damit würde sich der knappe 105-Stimmen-Vorsprung der SPD sogar um acht auf 113 vergrößern.

Ob der Verlust des Lichtenberger CDU-Mandates durch ein Losverfahren die Sitzverteilung im Abgeordnetenhaus verändern könnte, ist noch unklar. Das Landesparlament hat mit Überhangs- und Ausgleichsmandate nach dem vorläufigen Ergebnis der Wiederholungswahl 159 Sitze. Davon gehen 52 an die CDU und je 34 an SPD und Grüne auf den Plätzen zwei und drei.

Überhang- und Ausgleichsmandate, was ist das denn?

Wie beim Bundestag wird in Berlin in einer Mischung von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht gewählt.
Bei der Mehrheitswahl entscheiden die Wähler mit der Erststimme, welcher Kandidat für ihren Wahlkreis ins Parlament einzieht.
Die Verhältniswahl (mit der Zweitstimme) bestimmt darüber, wie stark die Parteien im Abgeordnetenhaus vertreten sind. Da geht es um die Prozentzahlen, auf die an Wahltagen um 18 Uhr alle starren.
Hat nun eine Partei mehr Wahlkreiskandidaten mit der Erststimme ins Parlament gebracht als ihr nach Zweitstimmen zustehen, spricht man von Überhangmandaten
Die müssen ausgeglichen werden, damit das per Zweitstimme ermittelte Verhältnis bei den Sitzen im Abgeordnetenhaus wieder stimmt. Alle anderen Parteien erhalten deshalb Ausgleichsmandate, bis das Verhältnis wieder stimmt – denn den Wählern in einem Wahlkreis kann man ja nicht einfach ihren direkt gewählten Abgeordneten wegnehmen.

Würde die CDU den einen Sitz  verlieren, könnte dies aufgrund von Überhangs- und Ausgleichsmandate zu Veränderungen bei der Sitzanzahl von Grünen und SPD führen. Entschieden wird sich das wegen der komplizierten Verteilungsmechanismen erst am 27. Februar, wenn das amtliche Endergebnis verkündet wird. Im Machtpoker zwischen SPD und Grüne ist das aber nicht entscheidend, da zählen nur die erworbenen Stimmen.

CDU-Kandidat Dennis Haustein
CDU-Kandidat Dennis Haustein CDU-Kreisverband Berlin-Lichtenberg

Vergessene Wahlbriefe stammen aus fünf Wahlkreisen

Die 466 vergessenen Briefe mit den Stimmzetteln stammten von Wählern aus den Lichtenberger Wahlkreisen 2 bis 6. Das sind die Gegenden in Alt-Hohenschönhausen, Karlshorst, Rummelsburg oder Landsberger Allee. Dort gingen die meisten Stimmen an die CDU, SPD und die Linke.

Die Wahlbriefe wurden rechtzeitig abgeschickt, heißt es aus Bezirksamt. Von der Poststelle sollten sie kurz vor dem Wochenende in das Wahlamt in Hohenschönhausen zugestellt werden. Aber das passierte nicht.  „Der Fehler liegt nicht bei der Deutschen Post, sondern bei der Poststelle des Bezirks“, hatte der Lichtenberger Vize-Bürgermeister Kevin Hönicke (SPD) getwittert. Zuvor hatte er erklärt, die Post hätte die Wahlbriefe zu spät zugestellt.

Postsprecher Johannes Nedo teilte dem KURIER mit: „Wir haben alle Wahlbriefe, die uns rechtzeitig übergeben wurden beziehungsweise die wir am späten Samstag in einer Sonderkastenleerung (zwischen 18 bis 21 Uhr) eingesammelt haben, noch am Sonntag in einer Sonderzustellung an alle Wahlämter zugestellt."

Am Mittwoch, nach der Auszählung, erklärte Hönicke: „Diese Wahlunterlagen befanden sich über das Wochenende in plombierten Kisten verwahrt in behördlichen Räumlichkeiten innerhalb des Bezirksamts.“ Derzeit prüfe das Bezirkswahlamt die Wahlprotokolle aller Lichtenberger Wahllokale. „Sollte es zu begründeten Auffälligkeiten kommen, kann es zur Überprüfungen der abgegebenen Stimmen kommen. Hierbei handelt es sich um einen Routineprozess, der bei jeder Wahl durchgeführt wird.“