Streit um Homeoffice: Wird das Arbeiten von zu Hause zur Pflicht?
Der Regierende Bürgermeister wirft Unternehmen vor, im harten Lockdown ihre Mitarbeitern zu wenig von zuhause arbeiten zu lassen. Firmen und Verbände wehren sich. Doch wie sieht es in der Praxis aus?

Es waren harte Worte, die der Regierende Bürgermeister Michael Müller an die Adresse der Berliner Wirtschaft richtete. Nach seiner Auffassung müssten die Firmen in der derzeitigen Corona-Krise noch mehr Verantwortung zeigen als bisher und überall ihre Beschäftigten, da wo es ginge, ins Homeoffice schicken. Die Unternehmen dürften nicht weiter so tun, „als hätten wir kein Problem“. Firmen und Wirtschaftsverbände weisen diese Kritik zurück. „Überall, wo es möglich ist, würde man Mitarbeiter von zuhause aus arbeiten lassen“, erklärten sie. Doch wie sieht das in der Praxis aus?

Mit Beginn der Pandemie im vergangenem Frühjahr gehört auch das Arbeiten von zuhause mittlerweile zum Alltag vieler Arbeitnehmer in Deutschland. Nach dem ersten Lockdown kehrten bereits in den Sommermonaten so manche Beschäftigten wieder in ihre Firmen zurück. Doch gerade jetzt, wo die Infektionszahlen noch immer drastisch steigen, müssen im derzeitigen harten Lockdown auch die Firmen erneut Disziplin zeigen und ihre Mitarbeiter wieder ins Homeoffice schicken, um die Pandemie einzudämmen. „Das ist ein zwingendes Gebot“, sagt Achim Berg, Präsident des Digitalverbandes Bitkom.
Laut einer aktuellen Umfrage des Verbandes würden seit Dezember 2020 bundesweit jeder vierte Berufstätige ausschließlich im Homeoffice. Das entspreche 10,5 Millionen Berufstätigen. Wie viele es in Berlin sind, dafür gibt es keine verlässlichen Zahlen. Das aktuellste Material, dass es dazu vorliegt, ist eine Umfrage der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) vom Sommer des vergangenen Jahres unter den knapp 300.000 Mitgliedsfirmen. Danach hatten sich 65,8 Prozent sich verstärkt für das Homeoffice ausgesprochen, für 13,4 Prozent käme die Heimarbeit kaum oder überhaupt nicht infrage. 23 Prozent der Firmen sprach sich dafür aus, künftig die Möglichkeit des Homeoffices auszubauen.
Müllers Kritik eine „Phantomdebatte“
Zum derzeitigen Stand erklärt IHK-Präsidentin Beatrice Kramm, „dass Unternehmer ein sehr vitales Interesse daran haben, dass die Beschäftigten sicher sind und sicher arbeiten können“. Sie bezeichnete Müllers Kritik als „Phantomdebatte“. „Wer seine Mitarbeiter ins Homeoffice schicken kann, tut dies auch – oder organisiert die Präsenzarbeit so, dass Ansteckungsrisiken minimiert werden. Denn nicht jede Tätigkeit kann ohne Weiteres ins Homeoffice verlagert werden“, sagte Kramm dem KURIER. „Zudem gibt es auch eine Reihe von Beschäftigten, die zumindest gelegentlich lieber im Büro als zuhause arbeiten möchten.“ Die IHK-Präsidentin weist daraufhin, dass wer kritisiere, mit gutem Beispiel vorangehen müsse. „Auch bei der Homeoffice-Fähigkeit der Berliner Verwaltung scheint im Übrigen noch Luft nach oben zu sein“, sagt Kramm.
Ähnlich sieht es auch Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB). Der Regierende Bürgermeister könne in seiner Kritik „die vielen tausend Betriebe in der Hauptstadtregion nicht über einen Kamm scheren“, erklärt er. „Die Unternehmen handeln hier sehr verantwortungsvoll und ermöglichen vielen ihrer Mitarbeitern beim Thema Home Office ein großes Maß an Flexibilität. Drei von vier Unternehmen haben zumindest für Teile der Belegschaft Regelungen zum mobilen Arbeiten“, sagte Amsinck dieser Zeitung. „Es liegt im ureigenen Interesse der Firmen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Infektionen geschützt sind.“

So wird bei den über 500 Mitarbeitern im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in der Wissenschaftsstadt Adlershof „ganz konsequent das Arbeiten im Homeoffice durchgesetzt“, so Sprecher Andreas Schütz. „Und das schon seit dem die Pandemie im vergangenen März begann“, sagt er. Ausnahmen gebe es ab und zu nur in den Laboren, wenn Mitarbeiter auf Grund von laufenden Versuchen dort tätig sein müssten. „Aber auch da gelten strenge Hygienevorschriften, die konsequent eingehalten werden müssen, um niemanden zu gefährden“, sagt Schütz.

Das Bürohochhaus der Deutschen Bahn AG am Potsdamer Platz sei fast verwaist, berichtet eine Bahn-Sprecherin. Etwa 20.000 Beschäftige hat das Unternehmen in Berlin. „Die Bekämpfung der Pandemie hat bei uns einen hohen Stellenwert. Daher wurden Mitarbeiter, da wo es möglich ist, darum gebeten, ihre Arbeit im Homeoffice zu erledigen“, sagt sie. Die Ausnahmen seien die Werkstätten, technische Einrichtungen wie Stellwerke. „Und in den Zügen und auf den Bahnhöfen ist die Präsenz unserer Mitarbeiter natürlich nach wie vor notwendig“, sagt die Sprecherin.
Die Lichtenberger Grünen-Politikerin Laura Sophie Dornheim stimmt der Kritik des Regierenden Bürgermeisters zu. Vor Tagen hatte sie auf Twitter eine Umfrage gestartet, in der sie von Arbeitnehmern wissen wollte, ob ihre Firmen Homeoffice zulassen. Dabei erfuhr Dornheim, dass so manche Unternehmen auch im harten Lockdown auf die Anwesenheit der Beschäftigten bestehen. „Das wird mit Aussagen wie, ‚die Mitarbeiter würden im Homeoffice ja nur Urlaub machen‘, begründet“, sagt sie. Die Politik müsse handeln. „Es kann nicht sein, dass Restaurants bis zu 10.000 Euro Bußgeld drohen, wenn sie öffnen, Arbeitgebern aber keine Strafen drohen, wenn sie Mitarbeiter ins Großraumbüro zitieren.“
So wird hinter den Kulissen bereits über eine „Begründungspflicht“ diskutiert. Dem Vorschlag zufolge müssten Arbeitgeber für jeden Mitarbeiter eine nachvollziehbare Rechtfertigung liefern, der nicht im Homeoffice arbeitet. Damit würde das Arbeiten aus der eigenen Wohnung überall dort, wo es möglich ist, indirekt zur Pflicht.