Jetzt tut's langsam richtig weh!

Nach Mietendeckel-Urteil: Degewo und Co verlangen Rückzahlungen von Hunderten Mietern

Laut Senatsbeschluss sollen die landeseigenen Unternehmen eigentlich keine Nachforderungen stellen. Die Gesellschaften begründen den Schritt damit, dass sie das Geld nur für Wohnungen kassieren, die sie für Dritte verwalten.

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Die Mieter sollten nachzahlen, was sie zuvor eingespart hatten: Haus am Weddinger Vinetaplatz 8.
Die Mieter sollten nachzahlen, was sie zuvor eingespart hatten: Haus am Weddinger Vinetaplatz 8.Foto: Gerd Engelsmann

Die landeseigenen Wohnungsunternehmen sollen nach dem Mietendeckel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf Nachforderungen abgesenkter Mieten verzichten – doch das gilt offenbar nicht uneingeschränkt. Bewohner eines Hauses am Vinetaplatz in Wedding, die einen Vertrag mit der landeseigenen Degewo geschlossen haben, erhielten jedenfalls die Aufforderung, die zuvor abgesenkte Miete nachzuzahlen. „Unser Haus hat Mitte Mai Schreiben mit der Rückforderung der ausgefallenen Mietsumme erhalten“, berichtet ein Bewohner. „Die Nachforderungen wurden mit der Juni-Miete eingezogen.“ Mehr als 1300 Euro habe er nachzahlen müssen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte den Mietendeckel mit der am 15. April veröffentlichten Entscheidung vom 25. März für nicht verfassungsgemäß und damit für nichtig erklärt. Vermieter haben damit das Recht, wieder die alte Miete zu kassieren und die Differenz zwischen abgesenkter und ursprünglich vereinbarter Miete nachzufordern. Der Senat machte allerdings schnell klar, dass die sechs landeseigenen Unternehmen mit ihren mehr als 330.000 Wohnungen auf Nachforderungen verzichten. „Dass die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften keine Rückforderungen erheben, ist selbstverständlich“, erklärte Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke). Am 1. Juni beschloss der Senat, dass die landeseigenen Unternehmen die abgesenkten Mieten erst ab 2022 schrittweise auf das ursprüngliche  Niveau anheben.

Sprecher verweist auf Hilfsfonds des Senats

Die Degewo erklärt ihre Nachforderung für das Haus in Wedding damit, dass die „Liegenschaft“ Eigentum einer Fondsgesellschaft ist, für die die Degewo „treuhänderisch tätig“ sei.  Die Degewo dürfe als Treuhänderin „keine Beschlüsse zum Nachteil des Fremdvermögens fassen“ und habe daher die Hausverwaltung Gewobe, ein Tochterunternehmen der Degewo, ermächtigt, Nachforderungen zu stellen, so Degewo-Sprecher Paul Lichtenthäler. Mieter, die nicht in der Lage seien, den Nachforderungsbetrag in voller Höhe zu zahlen, verweist er auf die „Sicher-wohnen-Hilfe“ des Senats.

Dass die von der Degewo vermietete Wohnung nicht dem landeseigenen Unternehmen gehört, ist dem Mieter, der den KURIER informierte, nicht aufgefallen. „Ich bin davon ausgegangen, dass das eine Degewo-Wohnung ist“, sagt er. Er sei froh gewesen, eine Wohnung bei einer landeseigenen Gesellschaft zu bekommen und nicht bei einem privaten Vermieter. Dass er nun mit einer Nachforderung konfrontiert wurde, habe ihn „überrascht“. Im Mietvertrag findet sich auf der ersten Seite nur ein versteckter Hinweis auf die Eigentümerschaft. So wurde der Kontrakt von der Degewo „als Treuhänder der im Degewo-Fonds IX zusammengefassten Einleger (Zertifikatinhaber)“ geschlossen, wie es in dem Dokument heißt.

Vier von sechs Unternehmen betroffen

Wie viele Wohnungen von der Degewo für Dritte verwaltet werden, will das Unternehmen auf Anfrage zwar nicht mitteilen, aber die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung tut es: Laut Jahresabschluss 2020 habe die Degewo 6282 Wohnungen für Dritte verwaltet, so Behördensprecherin Katrin Dietl. Ob und für wie viele Wohnungen Nachforderungen in Betracht kommen, hänge von den jeweiligen Mehrheitseigentümern und deren Beschlusslage ab.

Die Degewo ist nicht die einzige landeseigene Gesellschaft, die Nachforderungen für Wohnungen stellt, die für Dritte nur verwaltet werden. Die Stadt und Land teilt auf Anfrage mit, dass sie über eine Tochter für 509 von 4482 verwalteten Mietwohnungen Nachzahlungen verlangt habe. Die Gewobag erklärt, dass sie über eine Tochter für 311 von 6947 Wohnungen Rückzahlungen in Rechnung gestellt habe. Und die Howoge forderte nach eigenen Angaben für sechs von 17 Wohnungen solche Zahlungen. Gesobau und Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) erklären, dass sie keine solcher Unterkünfte haben.

Senator bezeichnet Verärgerung der Mieter als verständlich

Stadtentwicklungssenator Scheel räumt ein, dass der Verzicht auf Nachzahlungen nicht für alle Wohnungen gilt. „Die Durchsetzbarkeit der durch den Senat beschlossenen Regelungen zum Umgang mit dem Mietendeckel erstreckt sich bedauerlicherweise nicht auf Objekte, die durch die landeseigenen Wohnungsunternehmen für Dritte verwaltet werden“, sagt er. „Für die Mieter:innen ist das offenbar teilweise nicht nachvollziehbar. Für die Verärgerung habe ich daher volles Verständnis.“