Mehr Attacken auf Frauen

Nach der Vergewaltigung im Görlitzer Park: Wie gefährlich ist Berlin?

An manchen Stellen, zu manchen Zeiten und für bestimmte Gruppen zeigt die Stadt ihre hässlichen Seiten.

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Polizeibeamte kontrollieren mit einer Hundertschaft im und um den Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg mutmaßliche Dealer.
Polizeibeamte kontrollieren mit einer Hundertschaft im und um den Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg mutmaßliche Dealer.Christian Mang/imago

Auch der Berliner KURIER muss täglich darüber schreiben, über Gewalt in Berlin. Im Görlitzer Park, in U-Bahnen, in den Freibädern. Ein typisches Großstadtproblem. Natürlich ist es in der Hauptstadt meist ungefährlich. Doch an manchen Stellen, zu manchen Zeiten und für bestimmte Gruppen zeigt die Stadt aber auch ihre hässlichen Seiten. Hat Berlin ein Gewaltproblem?

Im laufenden Jahr hat die Millionenmetropole Berlin bereits mit drei großen Sicherheitsdebatten in den bundesweiten Schlagzeilen gestanden, jeweils verbunden mit dem Streitpunkt Migration. Zu Jahresbeginn ging es um die Silvesterkrawalle von Jugendlichen und jungen Männern in einigen Stadtteilen, die Feuerwerkskörper auf Polizisten und Feuerwehr warfen. Der Sommer startete mit Empörung über Prügeleien und Randale in Freibädern. Nun ist es wieder der Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg. Anlass ist eine Vergewaltigung durch mehrere Männer, die kürzlich bekannt wurde.

Visit Berlin warnt Touristen: Nachts dunkle Parks und Ecken meiden!

Dauerproblem des Parks und Teil der Sicherheitsdebatte sind aber die Drogenhändler. Die Männer stehen vor den Eingängen, an den Wegen, zwischen Bäumen oder in Straßen der Umgebung. An einem Montagabend im August lassen sich im ganzen Gebiet mehr als 100 Männer zählen, die offensichtlich zur Dealerszene gehören, fast alles Flüchtlinge aus Afrika, oft ohne Arbeitserlaubnis.

Manche sprechen Fußgänger oder Radfahrer an: „Hey, wie gehts?“ oder „Möchtest du was?“ Der Ton ist freundlich, angeboten werden Marihuana und härtere Drogen. Die meisten Passanten gehen weiter, manchmal ziehen sich Verkäufer und Käufer zur Übergabe zurück.

Seit fast 20 Jahren ist der Görlitzer Park an der früheren Grenze zu Ost-Berlin für den offensiven Drogenhandel bekannt und berüchtigt. Nachbarn sind genervt, Reiseführer weisen extra darauf hin. Alle paar Jahre kocht das Thema hoch, meist, wenn es neben dem alltäglichen Drogenhandel auch Gewaltausbrüche gibt, wie in diesem Sommer, als eine junge Frau nach Mitteilung der Polizei von mehreren Männern vergewaltigt wurde. Drei Verdächtige wurden gefasst, alle 22 Jahre alt und aus verschiedenen afrikanischen Staaten.

„Ist der Besuch Berlins gefährlich?“, lautet eine häufige Frage von Touristen. Auf diversen Internetportalen wird das thematisiert, auch das offizielle Besucherportal Visit Berlin betont, die Stadt sei zwar „grundsätzlich sicher“, Kriminalität könne aber nicht ausgeschlossen werden und einige Sicherheitsaspekte sollte man beachten. Dazu gehöre auch, „nachts dunkle Parks und Ecken zu meiden“.

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) kündigte einen „Sicherheitsgipfel“ Anfang September an, bei dem auch der Park Thema sein werde. „Die Lage im Görlitzer Park ist inakzeptabel, so wie die Situation dort ist, darf es nicht bleiben.“ Zugleich solle die Sicherheitslage in ganz Berlin durch Maßnahmen verbessert werden.

Polizisten stehen im Juli dieses Jahres vor dem Eingang des Sommerbads in Neukölln. Nach mehreren Gewalt-Vorfällen gelten in einigen Bädern erhöhte Sicherheitsbedingungen.
Polizisten stehen im Juli dieses Jahres vor dem Eingang des Sommerbads in Neukölln. Nach mehreren Gewalt-Vorfällen gelten in einigen Bädern erhöhte Sicherheitsbedingungen.Caroline Bock/dpa

Unstrittig ist, dass in Berlin – mit Abstand die größte deutsche Stadt mit fast vier Millionen Einwohnern – in absoluten Zahlen weitaus mehr Verbrechen verübt werden als etwa in Hamburg oder München. In der vergleichenden Kriminalitätsstatistik der deutschen Großstädte nach Einwohnerzahl liegt Berlin jedoch kurz hinter Frankfurt am Main auf dem zweiten Platz mit 14.135 registrierten Straftaten je 100.000 Bewohner. Es folgen Hannover, Köln und Bremen in ganz ähnlichen Größenordnungen. Den Kontrast bildet München als sicherste Großstadt mit nur rund 5800 Taten auf 100.000 Einwohner.

Vergewaltigungen und Straftaten gegen Frauen nehmen zu

Über die Gefährlichkeit einer Stadt sagen die Zahlen wenig aus. Tatsächlich geht es meist nicht um Gewaltdelikte, sondern um Diebstähle und Betrug. Als Hauptstadt mit vielen Touristen und durch seine Lage ziehe Berlin viele Taschendiebe und organisierte Autodiebe aus Osteuropa an, wie die Polizei betont. Das treibt die Zahlen hoch.

In Berlin sind die Zahlen nach einem Absinken in der Corona-Zeit wieder angestiegen. 2022 verzeichnete die Polizei insgesamt 519.827 Straftaten – 37.700 Fälle bzw. 7,8 Prozent mehr als im Vorjahr. 6944 Straftaten „gegen die sexuelle Selbstbestimmung“, wie es im Amtsdeutsch heißt, wurden erfasst (plus 294), davon 938 Vergewaltigungen, 953 sexuelle Belästigungen und 521 sexuelle Übergriffe.

Höhere Fallzahlen wurden auch bei Raubtaten (insgesamt 5016, plus 944), Körperverletzungen (44.425, plus 5107) und Jugendgewalt (1873, plus 366) registriert. In den öffentlichen Verkehrsmitteln stiegen die Straftaten im vergangenen Jahr um 7,9 Prozent auf 25.862 – darunter 8502 Taschendiebstähle, 5240 Sachbeschädigungen und 4910 Körperverletzungen.  

Die Anzahl der Polizeivollzugskräfte, die Opfer einer Gewalttat wurden, erhöhte sich um 157 auf 8726 (plus 8 Prozent) und die der Feuerwehr und sonstiger Rettungsdienste um 66 auf 307 (plus 27,4 Prozent).

136.570 Tatverdächtige wurden ermittelt. Der Anteil der in Berlin wohnenden Tatverdächtigen sank von 76,5 Prozent auf 72,2 Prozent. Der Anteil der nicht deutschen Tatverdächtigen hat sich von 39,4 auf 41,9 Prozent erhöht.

Für wen die Stadt tatsächlich gefährlich ist, hängt von Orten, Zeiten und der Zugehörigkeit zu Gruppen ab. Problematisch für die Sicherheit etwa in der Innenstadt sind das umfangreiche Nachtleben ohne Sperrstunde für Kneipen und Clubs, die vielen Kioske (Spätis) mit Alkoholverkauf rund um die Uhr und eine sehr tolerante Haltung gegenüber Drogen.

Aggressive Begegnungen zwischen betrunkenen oder unter Drogen stehenden Menschen nachts in den großen U-Bahn- und S-Bahnhöfen kommen in den Polizeimitteilungen häufig vor. Auch die vielen Straßendealer in Kreuzberg und den Kneipengegenden von Friedrichshain sowie die Szene der Drogensüchtigen in Teilen Neuköllns sorgen zumindest für Unsicherheit bei vielen Besuchern.

Frauen berichten hingegen, dass Belästigungen, Beleidigungen, sexuelle Übergriffe und Angriffe keineswegs nur in der vollen Innenstadt vorkommen. „Man geht eigentlich nur mit Scheuklappen schnell zu seinem Ziel“, sagen zwei junge Frauen, die in Weißensee im Norden wohnen und in Mitte ausgehen, in einem aktuellen Bericht des Senders RBB. „Es ist kein Problem von Parks, es ist überall ein Problem: an jeder Haltestelle, an der ich aussteige, in jeder Straße, durch die ich laufe.“

Die Polizei zählt mehr Übergriffe gegen Frauen in der Öffentlichkeit. Von 2019 bis 2022 stiegen die Zahlen der weiblichen Opfer von Körperverletzungen, Drohungen, Sexualdelikten und Raubüberfällen nachts auf Straßen und in Parks von rund 3000 auf 4210. Am meisten passierte in den Kneipen-Bezirken Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg.

Übergriffe gegen Juden und lesbische Paare

Reiseportale raten schwulen und lesbischen Paaren oder Juden schon lange, lieber nicht klar erkennbar durch Verhalten oder Zeichen wie dem Davidstern nachts durch bestimmte Stadtteile zu gehen, weil es immer wieder zu Beleidigungen oder Angriffen kommt.

Der Komiker und Schauspieler Hape Kerkeling berichtete in der Sendung „Maybrit Illner“ kürzlich, dass er mit seinem Mann von Berlin nach Köln gezogen sei. „Die Atmosphäre ist deutlich homophober geworden, und dementsprechend haben wir uns dafür entschieden, Berlin schweren Herzens zu verlassen und nach Köln zurückzugehen, was wir auch bisher nicht bereut haben.“

Nach den Silvesterkrawallen lud der Senat zu einem Jugendgipfel ein und versprach mehr Millionen für Sozialarbeit. Die Freibäder sollen mit Ausweiskontrollen und Videokameras beruhigt werden, das Problem erledigte sich zunächst durch das schlechte Wetter. Der Drogenhandel im Görlitzer Park wird seit knapp 20 Jahren durch Polizeirazzien und Festnahmen, Appelle des von den Grünen regierten Bezirks, Parkmanager und Sozialarbeiter bekämpft und begleitet. Geändert hat sich wenig.

Nun fordern CDU und Polizei Eingangstore, um den Park nachts zu schließen. Der Drogenhandel dürfte sich dann komplett in die umliegenden Wohngegenden verlagern. Zudem sind Teile der Mauer um den Park leicht zu überklettern. Was sich dann nachts drinnen abspielt, wäre von außen gar nicht mehr zu kontrollieren.