Montag ist Überraschungs-Tag: Warum es gut tut, jede Woche einmal die Kontrolle abzugeben
Nach einigen Jahren Pause hat KURIER-Autor Florian Thalmann die wöchentliche „Überraschungspremiere“ im Kino für sich entdeckt.

Wann haben Sie außerhalb der Arbeit das letzte Mal die Kontrolle abgegeben – und andere Menschen über die Gestaltung Ihrer Freizeit entscheiden lassen? Ich mache das jetzt jeden Montag … und erlebe Kontrollverlust im Kleinformat. Wie und wo das geht? Im Kino! Denn: Nach einigen Jahren Pause habe ich die wöchentliche „Überraschungspremiere“ wieder für mich entdeckt. Die gibt es in zahlreichen Kinos in ganz Deutschland. Das Prinzip: Jede Woche wird ein Film vor der offiziellen Kino-Einführung gezeigt. Welcher es ist, weiß man vorher nicht. Hört sich komisch an, macht aber viel Spaß … und erweitert den Horizont.
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Sneak Preview im Kino: Jede Woche eine kleine Überraschung
Schon vor ein paar Jahren, als ich noch studierte, ging ich regelmäßig zur sogenannten „Sneak Preview“, damals noch in einem anderen Kino. Ich genoss es, mich einfach für einen Abend in ein Filmtheater zu setzen und mich vollkommen überraschen zu lassen. Denn: Wer ins Kino geht, sucht sich einen Film aus, den er gern sehen möchte – es ist der Sinn des Besuchs. Aber: Das engt den Blick ein, denn damit lernen wir viele andere Filme gar nicht erst kennen.
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Tatsächlich kann ich mich zwischen all den Vorstellungen, die ich damals sah, an kein wirklich schlechtes Erlebnis erinnern. Sondern nur an viele sehr gute Filme, die ich mir freiwillig niemals angeschaut hätte. Durch Zufall besuchte ich nun vor ein paar Wochen das recht neue UCI-Kino am Mercedes-Platz – und dort gefiel es mir so gut, dass ich beschloss, die alte Überraschungsfilm-Tradition wieder aufleben zu lassen. Mit meinem Freund geht es nun jeden Montag in das Kino. Wir wissen nicht, was kommt, wir geben die Kontrolle über unseren Abend völlig ab.
In die heutige Zeit passt es fast noch besser. Denn: Als ich als Student die Überraschungs-Vorstellungen besuchte, konnte man von der Vielfalt der Streaming-Anbieter heute nur träumen. Wir schauen nicht mehr nur Fernsehen, sondern sind auf Netflix unterwegs, suchen Filme auf Amazon Prime, nutzen die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender, aber auch Angebote wie „RTL+“ und „Joyn“. Die Folge: Manchmal diskutieren wir so lange darüber, was wir abends schauen könnten, dass wir danach gar keine Lust mehr haben. Das Angebot ist einfach zu groß.
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Früher musste man sich mit dem Fernsehprogramm anfreunden – und wenn ein Film kam, den man mochte, zeichnete man ihn auf, um ihn später anschauen zu können. Doch heute ist die Vielfalt beinahe quälend. Nie würden wir das, was wir konsumieren, dem Zufall überlassen. Schade eigentlich! Zwischendurch habe ich versucht, davon wegzukommen. Ich kaufte uns in einem Laden für dämliche Geschenke – ein Geschäft, in dem es Dinge gibt, die niemand braucht, für Leute, die alles haben – eine kleine Videokassette aus Pappe. Darin sind zwei Rollen mit kleinen Eintrittskarten, eine für Liebesfilme und Komödien und eine für Action-Streifen, Horrorfilme und Thriller.
Auf jedem Ticket steht der Name eines Films. Die Idee: Wenn man nicht weiß, was man schauen möchte, zieht man sich je nach Stimmung ein Ticket, leiht sich den Film in der Online-Mediathek. Quasi ein kleines Überraschungs-Kino für zu Hause. Zugegeben: Beim ersten Versuch lief ein japanischer Actionfilm, der so brutal war, dass die Kassette seitdem im Regal einstaubt, weil wir uns nicht dazu aufraffen können, das nächste Ticket zu ziehen. Immerhin holen wir uns jetzt im Kino die wöchentliche Überraschungs-Dosis.
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Jeden Montag freue ich mich und bin gespannt, was kommt. Vor zwei Wochen erschien das Arthaus-Logo auf der Leinwand, es folgte ein französischer Streifen über das schicksalhafte Leben einer Ballett-Tänzerin, „Das Leben ein Tanz“ – nie und nimmer wäre ich freiwillig ins Kino gegangen, um diesen Film zu sehen. Aber: Schlecht war es nicht! Letzte Woche dann „Chase“, ein recht spannender Action-Streifen mit Gerard Butler. Ich weiß nicht, ob ich den unter normalen Umständen geguckt hätte.
Beim Überraschungsfilm kann man eher gewinnen als verlieren
Und heute? Wir werden es sehen. Natürlich geht es ins Kino – wir setzen uns, lehnen uns zurück und geben die Kontrolle an den Filmvorführer ab. Dazu gibt es einen kleinen Sekt, etwas Popcorn. Und wenn am Ende partout nichts Gutes läuft? Dann habe ich anderthalb Stunden Zeit verschwendet, ein Opfer, das zu verkraften ist. Allerdings bin ich sicher, dass ich beim Überraschungsfilm eher gewinnen als verlieren kann – und deshalb kann ich es nur jedem empfehlen.
Florian Thalmann schreibt eigentlich jeden Mittwoch im KURIER über Tiere – und manchmal auch montags über Berliner und Brandenburger Befindlichkeiten.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com