Sophie Lüttich am Stausee an der Burgruine Oheb unweit der Stadt Sec.
Sophie Lüttich am Stausee an der Burgruine Oheb unweit der Stadt Sec. Foto: berlinfreckles

Am 7. Juli 2020, einem Dienstag, schrieb Sophie Lüttich noch eine Mail, trödelte ein bisschen in der Wohnung und verabschiedete sich dann von ihrem Mann. Am Frankfurter Tor trat sie in Wanderschuhen und mit Rucksack schließlich vor die Tür und machte den ersten Schritt in Richtung Südosten. Ihr Ziel: Wien. In vier Wochen und in 700 Kilometern Entfernung würde die dann 43-Jährige am 7. August einen Termin beim Frisör haben. Ihr langer brauner Zopf soll ab.

Die Mutter dreier Kinder wird in Wien ihre Haare spenden, damit Perücken für Kinder, die durch Krankheit oder Unfall ihre Haare verloren haben, daraus entstehen können. Unterwegs will sie außerdem für jeden gelaufenen Kilometer 10 Euro sammeln, um sie an gemeinnützige Projekte zu geben. Zurück nach Berlin geht es für Sophie Lüttich dann mit einem raspelkurzen Pixie-Cut.

Nicht für jeden Frisörbesuch schnürt Sophie Lüttich ihre Wanderstiefel. Um genau zu sein, ist dies ihre erste mehrtägige Wanderung überhaupt. Nachdem Sophie Lüttich mit ihren Kindern in Berlin vor fünf Jahren eine Dokumentation über Haarspenden für Perücken gesehen hatte, ließ sie schon einmal ihre Mähne kappen. Die Haare schickte sie damals per Brief an den Verein Haarfee in Wien. Aus vier bis fünf Zöpfen entsteht dort jeweils eine Perücke für Kinder. Nach dem Verlust der eigenen Haare nach einer Chemotherapie, schweren Verbrennungen oder der Krankheit Alopecia areata verlieren Kinder oft auch ihr Selbstwertgefühl. Sie werden gehänselt und sogar ausgegrenzt. Ein normales Leben ist kaum möglich. Helfen könnten Echthaarperücken, doch diese kosten 1500 bis 3000 Euro – für viele zu teuer. Hier hilft der österreichische Verein. 

Als Sophies Haare langsam wieder wuchsen, war klar: Das nächste Mal würde sie ihre Haare selber an der Donau abliefern. „Als Bloggerin will ich meine Reichweite nutzen, um auch etwas zu erreichen“, erzählt Sophie am Telefon. Mittlerweile ist sie kurz vor Wien, nur noch ein Tag mit einer letzten Etappe von ätzenden 30 Kilometern trennt sie vom Ziel und es regnet in Strömen.

Wenn sie zurückblickt, kann sie es selbst kaum glauben, dass sie, die so gar keine Wandermutti ist, es wirklich bis hierher geschafft hat. „Am ersten Tag bin ich von Friedrichshain über Oberschöneweide gerade mal nach Schmöckwitz gekommen. Frustrierend, ich war noch nicht mal aus Berlin raus“, erzählt sie lachend. „Und dann bin ich jeden Tag einfach wieder losgelaufen.“ Unterwegs begegnen ihr immer wieder Menschen, die helfen, an ihrem Geburtstag darf sie ganz allein in einem Schloss übernachten. Ein Fluss, der in Tschechien unvorhergesehen anstelle des eigentlichen Wegs auftaucht, wird kurzerhand überquert. „Nasse Füße werden überbewertet“, weiß Sophie Lüttich jetzt. Und gegen Riesenblasen helfen Badelatschen, im Spreewald zur Heuernte ließ es sich auch prima barfuß wandern.

Ein Fluss, wo ein Weg sein sollte. Um lange Umwege zu vermeiden, watete Sophie Lüttich kurzerhand hindurch. 
Ein Fluss, wo ein Weg sein sollte. Um lange Umwege zu vermeiden, watete Sophie Lüttich kurzerhand hindurch.  Foto: berlinfreckles

Donnerstagabend mit Sekt am Stephansdom. So hat sich Sophie Lüttich genau an ihrem zehnten Hochzeitstag mit ihrem Mann im Ziel verabredet. Einmal Pasta beim Italiener und Vino zur Feier des Tages soll es geben. Am Freitag um 14 Uhr ist der Zopf fällig. 

Sophie Lüttich weiß, dass das achtwöchige Sabbatical, das ihr Arbeitgeber, der Kitaträger Fröbel, genehmigte, sich gelohnt hat. Schon jetzt sind auf der Wanderung bei der Plattform bettergplace.org 15.000 Euro zusammengekommen. Das Geld geht unter anderem an das Kinderhospiz Sternenbrücke in Hamburg, das Projekt Stark für Mütter des Müttergenesungswerks, die Gemüseackerdemie Berlin, die Arche Kinderstiftung und ein Projekt von Save the Children Deutschland e.V. für Kinder auf der Flucht.