Dauerhaft geschlossen

Lindenstraße-Star Christian Kahrmann: „Corona allein hätte ich überlebt“

Christian Kahrmann war Kinderstar in den 90er-Jahren und eröffnete vor neun Jahren ein Café. Im Dezember gab er den Schlüssel zu seinem Lebenswerk wieder ab.

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Schauspieler Christian Kahrmann vor seinem Café Kahrmann’s Own, das seit Ende 2020 dauerhaft geschlossen ist.
Schauspieler Christian Kahrmann vor seinem Café Kahrmann’s Own, das seit Ende 2020 dauerhaft geschlossen ist.Sabine Gudath

Christian Kahrmann ist es unangenehm, dass das „i“ nicht mehr an der Wand ist. Er meint den Buchstaben mitten im Wort „Quality“. Es steht unter dem Namen „Kahrmann’s Own“, seinem Café. Und er hat es abgenommen. Es liegt zu Hause. Für das letzte Foto vor seinem Café hätte er es gern noch einmal angeklebt. Doch seit dem 1. Januar 2021 ist Kahrmann eben nicht mehr Gastronom in der Bötzowstraße 21.

Kahrmann ist deutschlandweit bekannt, weil er zwischen seinem 13. und 20. Lebensjahr die Rolle des Benny Beimer in der Lindenstraße spielte. Jetzt ist er 48 Jahre alt, und hier im Kiez kennt man ihn vor allem wegen seines Cafés. Er wird schnell sentimental, wenn er auf die geschlossene Eingangstür schaut und über die Anfangstage redet. Mal nennt er es sein „Lebenswerk“, mal ein „beendetes Kapitel,“ dann ist er „froh, den Laden los zu sein“.

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Begonnen hatte es für Christian Kahrmann vor rund zehn Jahren, in einem ganz anderen Café in Taggia im Norden Italiens. Seine Schwiegereltern kommen aus Ligurien, jenem Teil Italiens, der für Olivenöl und Wein beliebt ist. Wenn Kahrmann dort ankam, stellte er zuerst seine Koffer ab und setzte sich in ein Café im Ort. „Der Espresso schmeckte jedes Mal fantastisch“, sagt er, „dort in Ligurien ging es mir immer sofort gut.“

In Ligurien ging es mir immer sofort gut.

Christian Kahrmann

Es war eine schwierige Zeit für seine Schauspielkarriere, und Kahrmann wollte ohnehin ein „zweites Standbein“ für sich und seine Familie. Aus seiner Zeit in New York kannte er die großen Cafés mit den Sandwich-Auslagen. Einem Freund fiel Paul Newman ein, jener Hollywood-Schauspieler, der mit Newman’s Own seine eigene Kette erfolgreich gemacht hat. „Genial“, sagte dieser Freund damals zu ihm. „Das musst du auch machen.“

Und so eröffnete im September 2012 das Kahrmann’s Own, 500 Menschen - mindestens - seien damals zur Eröffnung gekommen. Auf dem Logo am Fenster war Kahrmanns Gesicht zu sehen, auf den Servietten auch. Doch berühmt werden wollte er für seinen Kaffee. Er nahm Kurse in einer Barista-Schule und lernte, wie eine gute Röstung entsteht. Er testete die richtige Mischung von Arabica- und Robusta-Bohnen (er mochte 70/30), lernte, wie die beste Crema entsteht (sein Geheimnis) und wie der „nussige Geschmack“ in den „Kaffee-Körper“ kommt (auch ein Geheimnis). Er investierte in eine gute Brühmaschine, stellte mehrere Mitarbeiter ein.

Und: Er bot schon Flat White an, als andere Cafés von dieser australischen Kaffee-Spezialität noch nie gehört hatten. Nur der Trend mit der Hafermilch, der ging ihm auf die Nerven. „Das macht den Geschmack kaputt.“

Schnell wurde das Geschäft „brutal“

Es war eine interessante Zeit, um solch ein Geschäft zu öffnen, standen damals doch Szenecafés im Ruf, das Aussehen des Kiezes stark zu verändern. Die einen echauffierten sich im Sommer 2012: Ein Café in Prenzlauer Berg hatte Poller aufgestellt, weil sie keine Kinderwagen im Innenbereich haben wollten. Andere diskutierten über die Rolle der Schwaben und sonstiger Nicht-Berliner bei der Gentrifizierung im Viertel.

Der gebürtige Kölner schaffte es trotzdem, sein Café in dieser Zeit zum Erfolg zu führen. 1200 Euro Umsatz am Tag, bei nur 2,30 Euro für einen Kaffee.

„Diese Zeit war eine Bombe“, sagt er heute. Er habe das Pastrami-Sandwich nach Berlin geholt. Zumindest hier in der Gegend gab es das sonst nicht. Wie schwierig es allerdings war, diese Stimmung am Laufen zu halten, das merkte Kahrmann erst über die Jahre. Schnell sei das Geschäft „brutal“ geworden. Da waren die Mitarbeiter, die sich an der Kasse bedienten, da waren die „Laptop-Kunden“, die fünf Stunden bei einem Kaffee am Tisch saßen, da kam die Bonpflicht für die Gastronomie und immer wieder eine neue Auflage vom Gesundheitsamt.

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„Corona war für mich nicht das Hauptproblem“, sagt Kahrmann, „Corona allein hätte ich überlebt.“ Denn was dem Café laut Kahrmann letztlich das Genick brach, war nicht das Virus, sondern ein Gerüst, das am 10. Mai aufgestellt wurde. Es verstellte den Eingang und so kamen kaum noch Kunden zu ihm. Zehn Wochen sollte es stehen bleiben, am Ende dauerte es fast doppelt so lange: bis Ende September. Der Sommer war vorbei und Kahrmann konnte sich den nötigen Kostenpuffer für den Winter nicht erwirtschaften. Seinen Vermietern macht er keinen Vorwurf, sie hätten bis zum Ende ein gutes Verhältnis gehabt. Aber am Ende sei es nur noch ein Kampf gewesen: mit Behörden, mit Mitarbeitern — und mit Kunden, die nur ihre Pakete abholen wollten, aber nie etwas bestellten.

Trauriges Corona-Silvester

Kahrmann betont, dass er nicht „pleite“ gegangen sei mit dem Café. Er sei „plus minus Null“ herausgekommen. Der Ort wurde gleich wieder vermietet. Ein junger Koch will hier im Frühjahr ein neues Restaurant starten. Kahrmann hingegen will nie wieder etwas eröffnen, er will sich jetzt wieder auf das Schauspielen konzentrieren, auch wenn er weiß, dass es nicht leicht wird. Kürzlich hatte er eine Gastrolle in „Alles was zählt“, eine Serie auf RTL. Es sei seltsam gewesen, unter Corona-Bedingungen zu schauspielern, mit Mindestabstand, aber er wolle arbeiten.

Sein Silvester sei traurig gewesen. Den Schlüssel habe er wenig Stunden vor Jahresende abgegeben, die Übergabe dauerte zwei Stunden. „Nachts saßen wir nur bei Sekt zusammen“, sagt er, „wir hatten nicht mal daran gedacht, Essen zu machen.“ Behalten wolle er nur die beiden kleinen Mini-Laster, die vor der Tür stehen und das Logo mit seinem Gesicht aufgedruckt haben. „Das sind Sonderanfertigungen“, sagt er, „das bekommt man nicht einfach so.“ Was er jetzt damit wolle? „Rumfahren“, sagt er.

Aber Christian Kahrmann ist im Januar 2021 ohnehin nicht oft draußen. Er spielt zuhause gerade oft das Endzeit-Computerspiel „The Last of Us 2“. Die Straßen hier im Bötzowkiez erinnern ihn an dieses Spiel. Alles sei so leer wie auf dem Playstation-Bildschirm. „Ich bin schon richtig weit“, sagt er. Das Spiel handelt von den letzten überlebenden Menschen nach einer Pandemie auf der Welt. Fassaden sind heruntergekommen, Fenster eingeschlagen, es wird oft geschossen in „The Last of Us 2“.

Mit Blick auf sein Café sagt Kahrmann: „Ja, im Grunde habe ich hier gerade den Vietnamkrieg durchgemacht.“