Leander Haußmanns „Stasikomödie“ ist da! SO haben Sie die DDR noch nie gesehen
Ursprünglich sollte die „Stasikomödie“ schon zum 30. Jahrestag der deutsch-deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 2020 in die Kinos kommen. Dann aber kam Corona ...

Gala-Teppich für Leander Haußmann. Nicht in Rot, in Orange! Nach „Sonnenallee“ (1999) und „NVA“ (2005) liefert der Film- und Theaterregisseur jetzt den dritten Teil seiner DDR-Trilogie ab.
Das Werk heißt ganz unbescheiden „Leander Haußmanns Stasikomödie“ und erscheint um einiges später als geplant. Die letzte Klappe fiel schon am 1. November 2019. Ursprünglich sollte die Komödie ja rund um die Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag der deutsch-deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 2020 in die Kinos kommen. Immerhin, während der Pandemie konnte Haußmann, der Regie führte und auch das Drehbuch schrieb, seinem Film den nötigen Schnitt verpassen.
Die „Stasikomödie“ feierte am Donnerstag im Berliner Delphi Filmpalast am Zoo Weltpremiere. Dass der Abend quirlig und dennoch geschmeidig wurde, dafür sorgte der Constantin-Film-Verleih aus München – es war eine Fanveranstaltung mit viel Nostalgie, die frühsommerlichen Temperaturen hatten die Stimmung der Gäste ohnehin gehoben.
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Haußmann und sein Schauspielerensemble wurden auf dem orangefarbenen Teppich gefeiert wie Stasi-Häftlinge, die man im Knast vergessen und erst jetzt, 32 Jahre nach der Wende, entlassen hatte. Zur Weltpremiere kamen auch Haußmanns frühere Intendantenkollegen Frank Castorf und Claus Peymann. Außerdem Roland Jahn, der letzte Leiter der Stasiunterlagenbehörde, und die Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe.
Auch Frank Castorf kam zur Premiere von Haußmanns Stasikomödie

Es gab Umarmungen, viele Fotos. Die geschäftsführenden Produzenten Nico Hofmann und Martin Moszkowicz zeigten sich erleichtert, dass der Streifen doch noch das Licht der Welt erblickte. Detlev Buck im Nadelstreifen-Look gab sich betont lässig. Für ihn ist der Auftritt nicht der erste in einem Haußmann-Film. „Das ging mit ‚Sonnenallee‘ los und setzte sich dann nahtlos fort“, so der Regisseur und Schauspieler, der bei fast allen großen Haußmann-Filmen eine Rolle übernahm.
„Stasikomödien“-Hauptdarsteller David Kross sagte dem KURIER: „Ich wurde 1990 geboren und wusste bisher nichts über die DDR. Wer etwas über dieses Land wissen möchte, dem sage ich: Schaut euch die ,Stasikomödie‘ an!“ Auch Hauptdarstellerin Antonia Bill freute sich, dass das lange Warten auf die Premiere ein Ende hatte. Am Schluss gab es Jubel und Applaus für den Film und vor allem für die Darsteller.
Haußmanns Stasikomödie spielt im Berliner LSD-Viertel
Worum geht’s in „Leander Haußmanns Stasikomödie“? Es geht um die „negativ-dekadente“ DDR-Schriftsteller- und Künstlerszene im Prenzlauer Berg, genauer: um die Beobachtung des LSD-Viertels, also der Lychener Straße, der Schliemannstraße und der Dunckerstraße.
Zeitlich sind wir in den 80er-Jahren. Ludger Fuchs (als junger Mann: David Kross) wird von der Stasi auf die rebellische Szene angesetzt – als Spitzel, der die feindlichen Kräfte zersetzen soll. Dumm nur, dass er sich hopplahopp in die schöne Natalie (Deleila Piasko) verguckt. Verkuppelt wird er vom Führungsoffizier dann allerdings auch noch mit einer anderen Frau.

Es kommt, wie es kommen muss: Ludger findet die schräge Hinterhof-Bohème auf einmal gar nicht mehr so negativ und dekadent, sondern erregend und cool. Er will mitmachen und macht auch mit. Erst Jahrzehnte später kommt die Spitzel-Geschichte von Ludger ans Licht … Ähnlichkeiten mit Sascha Anderson, einem echten Prenzlauer-Berg-Spitzel der 80er-Jahre, sind übrigens denkbar, aber nicht zwingend.
Wer spielt mit? Was zurzeit Rang und Namen hat im deutschen Kino. Bis in die Nebenrollen ist alles prominent besetzt: Darunter sind David Kross (in den Jugendszenen) und Jörg Schüttauf (in den Heute-Szenen) als Stasi-Spitzel Ludger, Antonia Bill beziehungsweise Margarita Broich als unterschätzte Ehefrau Corinna, Deleila Piasko als Hippie-Mädchen Natalie, Henry Hübchen als dauersaufender, dauerqualmender Stasi-Offizier, natürlich Detlev Buck mal wieder als übereifriger Ordnungspolizist in fescher Uniform, Alexander Scheer als Drag-Queen „und Love-Interest von Barkeeper Karsten Speck“, dazu Tom Schilling als ein gewisser sehr neugieriger Herr Dietrich und – geradezu herausragend – Bernd Stegemann als Stasi-Chef Erich Mielke.
Die Stasikomödie von Leander Haußmann ist verdammt lustig
Warum sollte man „Leander Haußmanns Stasikomödie“ unbedingt sehen? Zwar zeigt der Film die DDR nur so, wie sie gewesen sein könnte, das aber mit Akkuratesse und in liebevoller Absicht. Formal ist die Haußmann-Komödie tadellos umgesetzt, mit visueller Lust, schrägen Pointen, Liebe zum Detail, einem Sinn für Timing, beseelten Charakteren, einem starken Ensemble und einer Geschichte, die streckenweise verdammt lustig ist – auch wenn es hier und da, wie immer bei Haußmann, melancholische Untertöne gibt.

Das Finale ist dann ein bisschen unentschieden: Farce, Slapstick, Satire oder Groteske – ganz genau weiß der Regisseur nicht, wo er mit seiner Geschichte hin will, das ruiniert aber nicht den Gesamteindruck.
Sollte man überhaupt Komödien über das Ministerium für Staatssicherheit drehen? Wenn man sich traut ... Die Messlatte liegt hoch. Ein Meister der satirischen Inszenierung totalitärer Verhältnisse war der Berliner Regisseur Ernst Lubitsch (1892–1947). Bis heute unvergessen ist seine Anti-Nazi-Komödie „Sein oder Nichtsein“ aus dem Jahr 1942.
Dass Leander Haußmann – er war in den 80ern Student an der Ost-Berliner Schauspielschule Ernst Busch – einen verspielten, heiteren und in manchen Momenten geradezu umwerfend poetischen Blick auf die Verhältnisse der DDR werfen kann, bewies er bereits mit „Sonnenallee“ und „NVA“. Hier allerdings gelingt es ihm nicht immer, den Verdacht auszuräumen, sein Film verharmlose die Mielke-Spitzel. Was ist damit gemeint?
In der Stasikomödie wimmelt es von zynischen, aber doch eher harmlosen Exemplaren des Mielke-Biotops
In einer Film-Doku über eine geheime DDR-Reise der Punkrock-Band Die Toten Hosen saß kürzlich Hosen-Frontmann Campino mit einem ehemaligen Stasi-Mann zusammen und ließ sich erklären, wie Künstlerobservation in der Zone funktionierte. Der einstige Hauptamtliche hatte offensichtlich null Humor und zeigte keinerlei Reue. Er wirkte auch nicht harmlos und schon gar nicht trottelig. Im Gegenteil: Der Mann war im höchsten Grad von einer technizistischen Unmoral geprägt und ein typischer Vertreter amtlicher Arbeitsteilung.
Im Film von Haußmann – keine Spur davon. Dort haben wir es zwar mit zynischen, aber doch eher harmlosen Exemplaren des Mielke-Biotops zu tun (Henry Hübchen nuschelnd und mit schmuddeligen Kunstzähnen!). Durch die Bank weg wirken die meisten Offiziere ziemlich tollpatschig und klamaukig. Und weil Haußmann findet, dass, „wenn diese Jungs bei der Stasi mehr Liebe und Zuwendung bekommen hätten“, alles nicht so schlimm gekommen wäre, baut er dann auch noch eine Liebesgeschichte ein, die den Film – zumindest gegen Ende hin – dramaturgisch auseinanderfallen lässt.
Warum hat Leander Haußmann den Film gedreht? Ganz klar, er sagt: „Ich denke, der einfachste Weg, Diktaturen, Autokraten und Geheimdienste zu entlarven, zu entwaffnen und letzten Endes zu besiegen, ist das Lachen. Der Humor und seine Vertreter sind in der Regel immer die ersten, die über die Klinge springen, wenn es der Demokratie an den Kragen geht. Denn die Komödie ist das demokratischste Genre überhaupt. Nichts fürchtet eine Diktatur mehr, als nicht ernst genommen zu werden.“
Die Stasiakte von Stasikomödien-Darsteller Henry Hübchen war ziemlich dünn
Wie stehen die Schauspieler zur Mielke-Organisation? Henry Hübchen meldete sich kurz vor der Premiere zu Wort. Der Deutschen Presse-Agentur sagte der 75-Jährige: „In meinem Freundeskreis damals haben wir die Stasi eher verlacht. Sie war eben nicht nur ein angstmachendes Organ, zumindest für mich nicht. Für andere war es anders.“ Seine Stasiakte sei ziemlich dünn und voller Allgemeinplätze gewesen. Hübchen gehörte in der DDR zu den profiliertesten Schauspielern seiner Generation.
Wissenswertes vom Set: Die DDR musste für den Film nachgebaut werden. Viele Prenzlauer-Berg-Szenen wurden im polnischen Breslau gedreht. Dort fanden die Filmemacher ein Viertel, dessen Häuserzeilen „eine erstaunliche Ähnlichkeit“ mit dem Berliner Szeneviertel hatten.

Lothar Holler sollte in baulicher Hinsicht schließlich zwei große Komplexe für den Haußmann-Film schaffen: „Zum einen das sogenannte LSD-Viertel, bestehend aus der Lychener Straße, der Schliemannstraße und der Dunckerstraße, die wilden Wohnquartiere mit Hinterhöfen, Clubs, illegalen Ateliers, den Böden, Kellern, Bars, Kneipen und Kirchen – eine lebendige Urbanität, in der sich jegliche Kreativität traf, aufgehoben fühlte und ihren Humus fand. Zum anderen die Gegenkraft, also der Staat mit seinen Organen zur Disziplinierung, Kontrolle, Rekrutierung, Ausbildung und Schulung mit dem Ziel der Zersetzung und Unterwanderung. Das war gruselig, gefährlich und kurios, einfältig, abstrus und skurril in der Durchführung. Kurz: der Schmierstoff der Komödie mit ernsthaftem Hintergrund.“
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Leander Haußmanns Stasikomödie kommt am 19. Mai in die deutschen Kinos
Was in Breslau nicht nach DDR aussah, ist entsprechend verändert worden. Die Macher erklärten: „Das Motiv ,Strausberger Platz‘, das ebenfalls in einer Breslauer Straße gedreht wurde, erwies sich als besondere Herausforderung. Lothar Holler und sein Team integrierten einen Gemüseladen, einen Plattenladen und einen Friseursalon in die vorhandene Straßenstruktur. Trabis und Wartburgs, aber auch Möbelwagen, Mopeds, Fahrräder, Ampeln und Verkehrsschilder wurden aus den Depots und den Garagen zahlreicher Sammler nach Breslau transportiert, um die Straßen zu beleben.“
Viel Arbeit hatte übrigens auch Kostümbildnerin Janina Brinkmann. Sie musste mit ihrem Team fast 700 Kostüme herstellen, kaufen oder aus dem Fundus herbeischaffen.
Wann ist das Werk zu sehen? Der 116 Minuten lange Streifen kommt am 19. Mai in die deutschen Kinos. Er besitzt bereits jetzt das Prädikat „Besonders wertvoll“ von der FBW-Jury (Deutsche Film- und Medienbewertung). Auch der KURIER empfiehlt: Horchen und gucken! Unbedingt.
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