Krasser Hilferuf aus dem Kindernotdienst
Mitarbeiter können Kinder, die Schutz brauchen, nicht immer vor neuer Gewalt schützen.

Sie sind dafür da, Kindern in Not zu helfen. Wenn zu Hause nichts mehr geht, werden Kinder zu ihrem Schutz in Einrichtungen des Kindernotdienstes untergebracht. Doch auch dort herrscht alles andere als heile Welt, wie ein aufwühlender Bericht des rbb zeigt. Die Mitarbeiter des Kindernotdienstes in Kreuzberg können Mädchen und Jungen in ihrer Obhut nicht immer vor Gewalt älterer Kinder schützen. Statt Schutz gibt es Gewalterfahrung und neue Traumata.
Im Haus des Kindernotdienstes in Kreuzberg finden zehn Kinder im Alter bis zu 13 Jahren Zuflucht. Vom Baby bis zum Heranwachsenden wurden hier im vergangenen Jahr 392 Kinder, die in Obhut genommen wurden, betreut.
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Es kommen Kinder, deren Eltern verunglücken, wie eine Mutter, die in Marzahn nach einem Streit vom Balkon stürzte und starb. Oder Kinder, die in ihrer Familie selber Gewalt ausgesetzt sind. Oft überstürzt, mitten in der Naht und ohne Vorbereitung werden sie aus dem Alltag gerissen und zum Kindernotdienst gebracht, wo ein besonders sensibler Umgang mit den Kindern nötig wäre.
Kinder tage- und wochenlang zwischengeparkt
Die traumatisierten Kinder sollen eigentlich nur wenige Tage im Notdienst bleiben, doch in Wirklichkeit beträgt die Aufenthaltsdauer im Schnitt siebeneinhalb Tage. Einige Kinder bleiben gar wochen- oder monatelang, weil sich kein anderer Platz zur Betreuung für sie finden lässt. In einer aktuellen Gefährdungsanzeige, die dem rbb vorliegt, heißt es dazu: Kinder „erleben das als perspektivloses Zwischengeparktsein und von niemandem Gewolltsein.“
Gewaltausbrüche im Kindernotdienst
Immer wieder eskaliere die Situation im Notdienst, kritisieren die Beschäftigten in der Gefährdungsanzeige. Was die Betreuer laut rbb schildern, lässt Außenstehende fassungslos zurück:
Ein Betreuer versuchte demnach mit einem einjährigen Mädchen und einer Sechsjährigen, einen Turm zu bauen. Ein 13-Jähriger zielte mit Tritten auf den Kopf der Einjährigen, und als der Betreuer sie hochnahm, auf den Kopf der Sechsjährigen. Sie habe sich unter den Esstisch zurückzogen und geweint. Als sie nicht aufgehört habe zu weinen, habe der Junge den Küchentisch über den Kopf des Mädchens geworfen. „Die Sechsjährige lief erschrocken und weinend zu mir und versteckte sich hinter meinem Rücken, hinter mir mit der Einjährigen auf dem Arm.“
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Die Situation sei „exemplarisch für die Gefährdung, die seit ein paar Jahren permanent und zunehmend im Kindernotdienst besteht“, steht in der Gefährdungsanzeige. Solche und ähnliche Situationen seien Alltag geworden.
Ein Mitarbeiter, der anonym bleiben will bestätigte dem rbb die Zustände. „Jetzt kommen die kleinen Kinder aus Gewaltsituationen in den Notdienst und erleben dort Gewalt, weil die Kinder, die dort lange sind, sich nicht mehr anders ausdrücken können.“
Mädchen nahm Drogen
Bereits vor einem Jahr hätten Kindernotdienst-Mitarbeiter gewarnt, sie könnten aufgenommene Kinder nicht vor der gewaltvollen Atmosphäre schützen. Ein Junge verletzte sich damals so schwer selbst an einer Scheibe, dass der Notarzt kommen musste, ein Mädchen kollabierte, weil es Drogen genommen hatte.
Viele Kollegen sind krank und können nicht mehr. „Ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass jemand in meinem Dienst stirbt“, soll ein Kollege gesagt haben, der bereits kündigte.
Der Senat will prüfen, ob mehr Personal nötig sei, so die Reaktion auf vergangenen Hilferufe.
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Unbesetzte Stellen im Kindernotdienst
Der rbb zitiert die Jugendverwaltung, laut der von 33,5 Stellen im Betreuungs- und Kriseninterventionsbereich des Kindernotdienstes eine Erzieher-, und zwei befristete Pflegestellen offen sind, außerdem eine Hauswirtschaftsstelle. Sie sollen zeitnah nachbesetzt werden. Bei hohen Krankenständen kämen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter anderer Bereiche als Springer und übernähmen Dienste im Kindernotdienst.
Dass diese offensichtlich nicht reicht, zeigt der akute Hilferuf aus dem Haus, das den Kleinsten Schutz bieten soll, und nun selber am Limit ist.