Kilian Kerner (43), Modedesigner.
Kilian Kerner (43), Modedesigner. Sabine Gudath

Es gibt kaum etwas weniger Glamouröses als den grau gekachelten S-Bahnhof Grünau. Doch gar nicht weit entfernt von diesem unwirtlichen Ort  hat Modedesigner Kilian Kerner sein neues, behagliches Domizil gefunden. Auf 200 Quadratmetern lebt und arbeitet der 43-Jährige seit Kurzem im Grünen. Nach Jahren in Pankow und Friedrichshain ging es im Sommer nach Grünau: „Ich bin auf‘s Land gezogen“, sagt Kerner, als er an einem sonnigen Morgen die Tür zu seinem neuen Showroom öffnet.

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Umzug von Pankow nach Grünau 

Im Obergeschoss des Hauses bauschen sie sich schon und glitzern: Die Kleider und Kreationen, die Kilian Kerner am Dienstag bei der „Berliner Fashion Week“ auf dem Laufsteg im Telegrafenamt (Monbijoustraße 11) in Mitte vorstellen wird. Zum 23. Mal ist er dabei, eine verlässliche Mode-Konstante im Berliner Fashion-Zirkus. Bunt, voller Glamour und teilweise sehr aufwendig genäht wird die Kollektion sein.

Sie trägt den Titel „Ikonen“. „Es geht um Ikonen der Neuzeit, um meine ganz persönlichen Ikonen – Menschen, die ich bewundere und die mich inspirieren.“, sagt Kerner. Kate Moss und Harry Styles sind das, Timothée Chalamet und die beste Freundin Jella Haase, Viola Davis und Serena Williams, auch Justin Bieber und Heidi Klum.

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Sexy, verspielt, ein wenig verrucht, sinnlich und sportlich, elegant, leger seien die Entwürfe. Kerner vereint Gegensätze. Den Kopf dafür bekommt er in Grünau frei.

Kilian Kerner: Bitte keine Denkverbote und Sprachzwänge 

„Ich wollte einfach kein Stadtmensch mehr sein. Hier gibt es gleich um die Ecke Pferde und Schafe. Die Leute sind freundlich, man grüßt sich bei Einkaufen“, sagt Kilian Kerner. Bis zum Alex braucht er trotzdem nur eine halbe Stunde. Wenn man mag, ist die Stadt ganz nah. „Ich mag aber selten“, so Kerner - einer, der von sich auch sagt, er sei wenig gesellig.

Die ganze Party-Meute in Mitte? Eher anstrengend, deswegen gibt es diesmal auch keine After-Show-Party. Lieber Auftanken in der Natur. Das Gefühl, morgens aus der Tür in einen Garten zu treten und im Grünen zu arbeiten, will er nicht mehr missen. „Ich liebe das Ländliche.“

Wird er jetzt alt, frage ich und fürchte schon, er sei zu eitel für die winzige Provokation. Doch Kilian Kerner will von Denk- und Frageverboten bitte überhaupt nichts wissen. „Hier darf alles gesagt werden.“ Überhaupt sei es doch geradezu erschreckend, welche Formen die allgegenwärtige Doppelmoral und Sprachdogmen gerade annähmen.

Kilian Kerner mit Models bei der KXXK Fashion Show im Rahmen der MBFW auf der Berlin Fashion Week Spring/Summer 2020. 
Kilian Kerner mit Models bei der KXXK Fashion Show im Rahmen der MBFW auf der Berlin Fashion Week Spring/Summer 2020.  www.imago-images.de / Kern 

Das Thema Gendern etwa: „Wer es möchte, soll es machen, ich mache es nicht“, stellt Kerner klar. Wer Offenheit von anderen einfordere, müsse im Gegenzug auch bereit sein, sie ebenso zurück zugeben. „Wir alle sind so unheimlich egoistisch geworden.“

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Der gefühlte Zwang, der in vielen Diskussionen um Winnetou, Geschlecht und kulturelle Aneignung stecke, der missionarische Eifer vieler Aktivisten, der nerve ihn zusehends. „Natürlich brauchen wir viel und noch mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz für alle Spielarten des Menschen, ob trans-, homo-, oder bisexuell, egal welcher Herkunft. Doch immer wieder nimmt das hysterische Formen an, die der Sache nicht gut tun“, sagt Kerner.

Zu viele Do‘s und Dont’s  lassen selbst Wohlgesonnene irgendwann entnervt die Augen verdrehen, sagt er. „Sollen wir uns alle nur noch mit unseren Pronomen vorstellen? Nein! Wieso um Himmels willen definieren wir uns alle plötzlich nur noch über das Geschlecht? Wer das für sich in Anspruch nehmen möchte, soll es gern tun, ich verstehe und akzeptiere das. Ich möchte aber nicht in einen Raum treten und meine Pronomen nennen." 

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Kilian Kerner hat derweil sowieso andere Dinge zu tun: Kerner tanzt wie gewohnt auf vielen Hochzeiten. Ab dem 6. September gibt es eine neue Sonnenbrillen-Kollektion bei Fielmann, für die Fashion Week kooperierte er zum ersten Mal mit Liebeskind, außerdem war er kürzlich als Gast-Juror in der polnischen Version von Germanys Next Topmodel unterwegs. Heidi Klum ist nicht umsonst eine seiner Ikonen. Auf ihre TV-Show lässt Kerner nichts kommen. „In den letzten Jahren hat sich da viel entwickelt. Aber es ist wie oft: Du kannst es eigentlich nicht richtig machen. Mal ist es zu divers, dann wieder nicht.“ Wenn man auf Heidi Klum träfe, sei es immer amüsant und lustig.

Der Berliner Modedesigner Kilian Kerner (43) hat eine Sonnenbrillen-Kollektion für Fielmann entworfen.
Der Berliner Modedesigner Kilian Kerner (43) hat eine Sonnenbrillen-Kollektion für Fielmann entworfen. Sabine Gudath

Doch dann wird Kerner wieder ernst und erinnert sich an eine ehemalige Mitbewohnerin. Schon vor zwanzig Jahren machte sie sich auf den schweren Weg, als Mann im Körper einer Frau glücklich zu leben. „Wer auch das  Leiden an der eigenen Identität mitbekommen hat, geht sensibler mit dem Thema um. Es war selbstverständlich, dass ich nie mehr Jana zu ihm sagte, sondern nur noch Jan und ihn als Mann sehe und verstehe.“

Wer aber aus seinem Trans-Leben eine einzige PR-Nummer mache, missbrauche das Wort. „Lasst uns wieder mit mehr Ruhe und Besinnlichkeit an die Dinge heran gehen“, sagt Kilian Kerner. Die hat er am Rande der Stadt gewonnen.