Schicksal Querschnittslähmung entzweit Nachbarschaft

Kampf um einen Aufzug: „Ohne Hilfe wird es mein Mann nicht schaffen!“

Im beschaulichen Friedenau hat das tragische Schicksal des Familienvaters Norbert Bülow (57) ein ganzes Mehrfamilienhaus in Streit versetzt.

Teilen
Birgit Bülow vor dem Mehrfamilienhaus in Friedenau, in dem sie mit ihrem Ehemann Norbert seit 1995 lebt.
Birgit Bülow vor dem Mehrfamilienhaus in Friedenau, in dem sie mit ihrem Ehemann Norbert seit 1995 lebt.Gerd Engelsmann

Es war ein sonniger Morgen im Mai 2019, als Norbert Bülow (57) seine tägliche Strecke mit dem Fahrrad zur Arbeit fuhr. Doch diesmal kam er nicht an. Weil ein Auto ihm die Vorfahrt nahm, stürzte er schwer und brach sich den sechsten und siebten Halswirbel. Seitdem ist der Familienvater aus Friedenau querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl. Sein schweres Schicksal hat inzwischen eine ganze Nachbarschaft entzweit und wird auch in den sozialen Netzwerken thematisiert. Ausgelöst durch einen Behinderten-Aufzug, der in das Mehrfamilienhaus, in dem die vierköpfige Familie seit 1995 lebt, eingebaut werden muss, weil Norbert Bülow sonst nicht nach Hause kann.

Der Eingang des Hauses ist nicht barrierfrei.
Der Eingang des Hauses ist nicht barrierfrei.Gerd Engelsmann

Er liegt seit dem Unfall im Unfallkrankenhaus in Marzahn, seit 16 Monaten schon. Normalerweise hätte er längst aus der Klinik entlassen werden können, so sagt seine Frau Birgit Bülow (57). Doch weil der Aufgang zu seiner Eigentumswohnung im dritten Stock nicht barrierefrei ist, kann er die Klinik nicht verlassen. „Wir wissen nicht, wie er in unsere Wohnung kommen soll“, sagt sie bedrückt. Ihren schwer kranken Mann in ein Heim zu geben, komme für sie nicht infrage, eine barrierefreie Wohnung in einem anderen Stadtteil ebenfalls nicht, da sie gerade jetzt auf ihr soziales Netzwerk angewiesen sei.

Birgit Bülow hat alles geplant. Sie arbeitet in einem Architekturbüro. Für den Einbau des Aufzugs hat sie eine Machbarkeitsstudie gemeinsam mit ihren Kollegen entworfen sowie einen Finanzierungsplan (200.000 Euro). Die Kosten, auch für den Rückbau des Aufzugs, sollte Norbert Bülow ihn nicht mehr in Anspruch nehmen müssen, wollen sie selbst übernehmen, so sagt Birgit Bülow. Da ihr Mann eine 24-Stunden-Pflege benötige, könnte die Pflegekraft dann ein Zimmer in ihrer Wohnung beziehen, die weitgehend barrierefrei sei.

Norbert (links) liegt seit 16 Monaten im Krankenhaus.
Norbert (links) liegt seit 16 Monaten im Krankenhaus.Privat

Doch bislang hat Birgit Bülow noch nicht einmal eine Baugenehmigung beantragt. „Das Problem ist, dass nicht alle Nachbarn dem Einbau zugestimmt haben“, sagt sie. Ihre Nachbarn sind, bis auf eine Mieterin im Hause, alle selbst Eigentümer der Wohnungen, und für die Installation des behindertengerechten Aufzugs benötigt es ein hundertprozentiges Zustimmungsergebnis. Manche hätten ihr gegenüber Befürchtungen geäußert, dass der Aufzug laut sein könnte und es beim Einbau Baulärm und Baustaub geben könnte. Birgit Bülow, die mit ihrem Mann seit fast 25 Jahren verheiratet ist, macht das wütend. Sie sagt: „Norberts Schicksal kann jeden treffen. Ich verstehe nicht, warum sie ihm nicht helfen. Offensichtlich haben sie ihn schon vergessen.“

Norberts Schicksal kann jeden treffen

Norbert war bis zu dem Tag seines Unfalls ein lebensbejahender und aktiver Mensch, der gern Fahrrad fuhr und regelmäßig nach Südtirol zum Wandern in die Berge reiste, so erzählt seine Frau. An jenem Morgen im Mai radelte er von Friedenau nach Wedding zu seinem Arbeitsplatz als IT-Sachbearbeiter bei Bayer. Doch in Höhe des Bundeskanzleramts in Mitte endete seine Fahrt und er wachte erst im Krankenhaus wieder auf. „Er weiß nicht mehr viel, aber sicher ist, dass ihn ein Auto angefahren hat und er sich durch den schweren Sturz die Wirbel verletzte“, sagt Birgit Bülow. Seitdem könne ihr Mann nicht mehr gehen und auch nicht allein essen und trinken. Das Sprechen und Atmen falle ihm schwer und funktioniere nur über ein Tracheostoma (Anm. der Redaktion: eine chirurgische Öffnung der Luftröhre).

Im Juli musste Norbert Bülow einen weiteren Schicksalsschlag erleiden. Die Klinik habe auf eine Lösung gedrängt, weil sie ihren Mann nicht dauerhaft aufnehmen könnten. Daraufhin habe sie sich mit einem Pflegedienst beraten, der es ihr ermöglichte, ihren Mann nach Hause zu holen. Sie wollten es, bis das Aufzugproblem geklärt sei, zunächst mithilfe einer mobilen Treppenstieghilfe probieren. Doch bereits einen Tag später passierte das nächste Unglück: „Da der Transport sehr mühsam ist und der Pfleger noch nicht so geübt war, hat er meinen Mann samt Gerät die Treppe herunterfallen lassen“, sagt Birgit Bülow. Dabei zog sich Norbert Bülow so schwere Kopfverletzungen zu, dass er erneut ins Unfallkrankenhaus Marzahn  musste und dort zwei Wochen im Koma lag. „Norbert hat noch immer neurologische Ausfälle. Es hat ihn wieder wieder auf null zurückgeworfen“, erklärt seine Frau.

Bislang haben sich die Fronten verhärtet

Seitdem ist klar, dass Norbert Bülow nur wieder nach Hause kann, wenn der behindertengerechte Aufzug da ist. Doch ob er jemals gebaut werden kann, hängt davon ab, wie sich die Situation in der Hausgemeinschaft entwickelt. Bislang haben sich die Fronten verhärtet und der Konflikt ist bereits öffentlich geworden. Um auf das Drama um Norbert aufmerksam zu machen, haben Birgit Bülow und ihre beiden erwachsenen Söhne eine Art „Pixi-Buch“ mit Illustrationen über sein tragisches Schicksal und Flyer entwerfen lassen und sie in den Haushalten in ihrer Nachbarschaft verteilt. Außerdem hat die Familie sogar eine Homepage www.norbert-will-nach-Hause.de sowie eine Seite bei Facebook erstellt. Dort haben auch Menschen, die in den Streit gar nicht involviert sind, ihre Meinung kundgetan.

Während Familie Bülow viel Solidarität erfährt, wird über die Nachbarn scharf gerichtet. „Wie können Menschen nur so selbstgerecht sein“ und „Irgendwann bekommt man im Leben alles wieder zurück“, schreiben sie. Gegenüber dem KURIER will sich im Haus selbst niemand mit Namen öffentlich äußern, aber anonym: Die Situation werde nicht korrekt und sehr einseitig abgebildet, äußert sich ein Nachbar. Das Problem sei, dass man jede Sachlichkeit verloren habe. Die Söhne der Familie hätten sogar schon bei einem Nachbarn vor die Tür gespuckt. „Das Schicksal von Norbert berührt uns alle sehr. Ich habe ihn auch in der Klinik besucht“, sagt er. Deshalb habe man einen Mediationsversuch in Erwägung gezogen. Da er 2000 Euro kosten soll, habe man die Eigentümer darüber abstimmen lassen, sei aber gescheitert. „Ausgerechnet Familie Bülow hat sich enthalten. Das hat uns schon sehr verwundert“, sagt er. Trotzdem wolle man Norbert zuliebe nun noch einen zweiten Versuch starten. Birgit Bülow habe sich enthalten, wie sie sagt, weil sie keinen Erfolg gesehen habe und ihr die Kosten des Mediationsverfahren sehr hoch erschienen.

Während sich die Nachbarn nicht einigen können, liegt Norbert Bülow noch immer im Krankenhaus. Er ist der Leidtragende des Konflikts. Ihr Mann habe sich mit einer persönlichen Videobotschaft an die Nachbarn gewandt, um ihnen seine Schwierigkeiten noch einmal deutlich zu machen. „Ohne Hilfe der anderen wird er es nicht schaffen. Deshalb bittet er um Hilfe“, sagt Birgit Bülow.