Nachdem die Klimaschutzgruppe Letzte Generation die Stadtautobahn A100 in Berlin blockiert hat, platzt einem Mann der Kragen - im Würgegriff zerrt er einen der Aktivisten mit Gewalt von der Straße.
Nachdem die Klimaschutzgruppe Letzte Generation die Stadtautobahn A100 in Berlin blockiert hat, platzt einem Mann der Kragen - im Würgegriff zerrt er einen der Aktivisten mit Gewalt von der Straße. Paul Zinken/dpa

Für Politiker wie den SPD-Ministerpräsidenten von Brandenburg, Dietmar Woidke, ist die Sache klar: Die „Letzte Generation“ sei eine kriminelle Vereinigung. Mehrere Staatsanwaltschaften prüfen derzeit einen dahingehenden Anfangsverdacht, die Berliner Staatswaltschaft widerspricht dieser Einschätzung deutlich: Das „dauerhafte Lästig-werden“ der Aktionen, mit der Klimaaktivisten Autofahrer nerven, habe nichts zu tun mit einer kriminellen Vereinigung – Kriterium für eine solche: sie müsse terrorismusähnlich sein.

Es häufen sich Videos und Fotos von Gewaltexzessen gegen Klimaaktivisten der Letzten Generation

Beobachter, die die Protestcamps der Letzten Generation besucht haben, berichten einhellig, dass dort gewaltfreie Wege vermittelt wurden, Verkehr zu blockieren und auch aufgebrachte Reaktionen von Autofahrern, Passanten oder Sicherheitskräften nicht zu eskalieren. Dennoch tauchen immer mehr Bilder von Gewalt im Zusammenhang mit den Klimaprotesten auf. Sie haben eines gemeinsam: Nirgendwo sind Klimaaktivisten zu sehen, die körperliche Gewalt gegen Andersdenkende ausüben. Umgekehrt häufen sich die Videos und Fotos von Szenen, in denen Klimaaktivisten übel geschlagen, getreten und sogar gewürgt werden. 

Bei einer Blockade der Gruppe Letzte Generation tritt ein Mann gegen einen Aktivisten.
Bei einer Blockade der Gruppe Letzte Generation tritt ein Mann gegen einen Aktivisten. Paul Zinken/dpa

Am Freitagmorgen war ein dpa-Reporter zugegen als auf der Stadtautobahn mehreren genervten Kraftfahrern der Kragen platzte. Noch bevor sich Aktivisten an die Fahrbahn heften konnten, zerrten mehrere Männer die Protest-Teilnehmer rabiat von der Straße. Es sind nicht die ersten Bilder, die derartige Wut-Aktionen dokumentieren. Doch sie irritieren: Denn wenn die Klima-Aktivisten kriminell sein sollen, warum sind es dann die anderen, die zuschlagen, treten, an ihren Körpern zerren?

Letzte Generation beklagt „Schmerzgriffe“ der Polizei, aber sind die Aktivisten wirklich Opfer? 

Die Letzte Generation erschwert die Antwort auf diese Fragen dadurch, dass sie auch die Anwendung von staatlicher Gewalt, die aus Sicht der Polizei verhältnismäßig zur Beendigung von Klimakleber-Aktionen eingesetzt wird, als „Schmerzgriffe“ anprangert - und sie in einem Atemzug mit „Gewaltexzessen von Autofahrenden“ gleichsetzt.

Wer sind die Täter, wer sind die Opfer? Je nach Sichtweise legen sich die Beteiligten ihre Argumente zusammen. So rechtfertigen die Klimaaktivisten Gesetzesübertretungen mit höheren Zielen. Wütende Autofahrer wiederum sehen sich dadurch legitimiert, dass sie ja gegen „Kriminelle“ vorgehen. Aber selbst wenn Klimakleber Angehörige einer „kriminellen Vereinigung“ wären, was die Berliner Staatsanwaltschaft bestreitet, darf niemand das Recht in seine Hand nehmen, Leute schlagen und treten, von denen sie sich genervt oder behindert fühlen.

Denn das Gewaltmonopol liegt bei der Polizei, die Ausübung von Gewalt ist geregelt, auch wenn Polizeikräfte immer wieder für den Einsatz exzessiver Gewalt kritisiert werden. Für Selbstjustiz gibt es keine Rechtfertigung, Wut und Ungeduld können Recht nicht ersetzen. Vorwerfen kann man der Letzten Generation schon, dass sie eben solche überzogenen Reaktionen mit ihren Aktionen bewusst provozieren, aber inwiefern das kriminell sein soll oder nicht, klärt sich nicht mit Fäusten auf der Straße.