Geldentwertung 2022 bei 7,9 Prozent

Inflation in der DDR? Mickrige 1,5 Prozent, aber das hatte seinen Preis

Grundnahrungsmittel waren spottbillig, bei höherwertigen Produkten schlug der Staat dagegen zu.

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1986 wird in der Kaufhalle Genslerstraße in Berlin-Hohenschönhausen fleißig gebacken: Die Schrippen kosteten 5 Pfennig pro Stück.
1986 wird in der Kaufhalle Genslerstraße in Berlin-Hohenschönhausen fleißig gebacken: Die Schrippen kosteten 5 Pfennig pro Stück.dpa/ddrbildarchiv.de

7,9 Prozent Inflation im vergangenen Jahr in Deutschland. Da bricht sich im Osten Deutschland häufig der Gedanke Bahn: Sowas gab es in der DDR nicht! Dann wird der 20-Pfennig-Fahrschein für die S-Bahn ins Feld geführt, oder der „Sechser“ für die Schrippe. Gab es also keine Geldentwertung in der DDR?

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Ein Einzelfahrschein für 20 Pfennig. Von 1949 an galt dieser Tarif in Ost-Berlin.
Ein Einzelfahrschein für 20 Pfennig. Von 1949 an galt dieser Tarif in Ost-Berlin.Wikipedia/Ub12vow

Prof. Dr. André Steiner (63) vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, der in den 80er Jahren an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin Wirtschaftsgeschichte studiert hatte, beantwortet diese Frage wie Radio Eriwan: „Im Prinzip ja.“

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Professor Dr. André Schneider ist Autor unter anderem des Buchs „Von Plan zu Plan“, eine Wirtschaftsgeschichte der DDR.
Professor Dr. André Schneider ist Autor unter anderem des Buchs „Von Plan zu Plan“, eine Wirtschaftsgeschichte der DDR.Ulrich Mählert

DDR-Geldentwertung: Unter Honecker bei höchstens 1,5 Prozent

Allerdings habe die Inflation im Vergleich sehr niedrig gelegen, in der von 1971 bis 1989 dauernden Ära Erich Honeckers bei geschätzt höchstens 1,5 Prozent jährlich. Ganz genau sei das aber mangels Daten nicht zu ermitteln. Insgesamt sei es der DDR nicht vollständig gelungen, mit den Mitteln der Planwirtschaft (und damit mit den festgelegten Preisen) die Inflation zu eliminieren.

Der niedrige Wert von 1,5 Prozent sei unter anderem damit zu erklären, dass im statistischen Warenkorb beispielsweise die seit 1958 unveränderten und mit Milliardenbeträgen subventionierten Preise für Grundnahrungsmittel oder die sehr günstigen Mieten einen so großen Anteil hatten, dass Preiserhöhungen beispielsweise für Kleidung oder Schuhe in der Summe nicht so stark ins Gewicht fielen, erläutert Steiner.

Derlei Erhöhungen konnten die Betriebe vor allem durchsetzen, wenn sie wegen teilweise minimalen Änderungen ein Produkt als „neu“ positionieren konnten.

Die festgesetzten Preise trugen zum Warenmangel bei

Mit der Festsetzung der Preise habe sich die SED-Führung laut Steiner „flapsig gesagt ins Knie geschossen“. Denn es lief trotz vergleichsweise niedriger Löhne schlicht zu viel Geld in der DDR um, weil es nicht viel zu kaufen gab. Jedoch konnte sie wegen des zuvor gegebenen Versprechens der Stabilität der Preise, diese aus politischen Gründen nicht einfach erhöhen. Steiner: „Letztlich sind - platt formuliert - in der Planwirtschaft die Güter knapp, in der Marktwirtschaft ist es das Geld.“

Die Kehrseite der Medaille – Knappheit an Waren: Warteschlange im Oktober 1989 vor einer Bäckerei in Rostock.
Die Kehrseite der Medaille – Knappheit an Waren: Warteschlange im Oktober 1989 vor einer Bäckerei in Rostock.imago/Roland Hartig

Die Leute seien herumgelaufen, hätten bis auf absolute Ladenhüter alles Mögliche gekauft „und damit den relativen Mangel noch verschärft“. Vielfach wurden Produkte nur erworben, um sie gegebenenfalls irgendwann gegen andere eintauschen zu können.

Wo die SED-Staatsführung den DDR-Bürgern tief in die Tasche griff

Die SED versuchte, den Geldüberhang, der in einer Marktwirtschaft zu höheren Preisen führen würde, auf verschiedenen Wegen „abzuschöpfen“. So waren gerade höherwertige Produkte überaus teuer.

Der Wartburg 353 kostete bei seiner Einführung 1966 in der Basisversion knapp 17.000 DDR-Mark, 1988 knapp 22.000 Mark. Die Wartezeit auf das Auto lag bei über zehn Jahren, entsprechend teurer wurden Gebrauchtwagen gehandelt.
Der Wartburg 353 kostete bei seiner Einführung 1966 in der Basisversion knapp 17.000 DDR-Mark, 1988 knapp 22.000 Mark. Die Wartezeit auf das Auto lag bei über zehn Jahren, entsprechend teurer wurden Gebrauchtwagen gehandelt.High Contrast/Wikipedia

Bei Brutto-Durchschnittslöhnen der normalen „Werktätigen“ von 1322 DDR-Mark gegen Ende ihrer Existenz schlug ein Zweitakt-Kombi Wartburg 353 S Tourist 1988 mit knapp 24.000 Mark zu Buche, ein Colotron-4000-Fernseher von 1986 (auch für West-Farbe) mit über 6700 Mark, der Kauf des 1985 eingeführte Kassettenrekorder SKR 700 von VEB Stern-Radio Berlin verschlang 1540 Mark.

Werbefoto für den Stereo-Kassettenrekorder skr 700 vom VEB Stern-Radio. Das Gerät kam für 1540 DDR-Mark in den Handel. Dafür musste ein Durchschnittsverdiener mehr als einen Monat arbeiten.
Werbefoto für den Stereo-Kassettenrekorder skr 700 vom VEB Stern-Radio. Das Gerät kam für 1540 DDR-Mark in den Handel. Dafür musste ein Durchschnittsverdiener mehr als einen Monat arbeiten.imago/Archiv Klaus Fischer/Sorge

Seit den 1960er Jahren breiteten sich weitere Abschöpfungs-Einrichtungen über die DDR aus: Wer sich schicker anziehen wollte, konnte einen „Exquisit“-Laden aufsuchen, in dem eine Hose dann aber schon mal über 150 Mark, ein Hemd 120 Mark kostete.

Ein Exquisit-Modesalon in Dresden. Zur Eröffnung Ende 1987 hieß es über das Angebot:  Sportliche Freizeitbekleidung, Obertrikotagen für Damen und Herren, Schals, Tücher, Krawatten und Kosmetik.
Ein Exquisit-Modesalon in Dresden. Zur Eröffnung Ende 1987 hieß es über das Angebot: Sportliche Freizeitbekleidung, Obertrikotagen für Damen und Herren, Schals, Tücher, Krawatten und Kosmetik.imago/SZ/Klaus Thiere

„Exquisit“ und „Delikat“: Hier löhnte der DDR-Bürger heftig

Ein breiteres Angebot an Lebensmitteln wurde in „Delikat“-Geschäften angeboten. Sie waren teurer – immer wieder werden die Dose Ananas für 18 Mark oder die Tafel Schokolade in „West-Qualität“ für 5 Mark genannt – und standen im Ruch, dass sie normale DDR-Produkte aus Konsum oder HO abzogen, um sie in „westlicher“ Aufmachung zu höheren Preisen anzubieten.

Insgesamt hatte die DDR-Bevölkerung trotz der niedrigen Inflation wenig Vertrauen in die „Alu-Chips“: Die westdeutsche D-Mark entwickelte sich zu einer Art Zweitwährung, für die man „schwarz“ viel mehr kaufen konnte, offiziell sogar im Intershop.

Nach Schätzungen, die Professor Steiner allerdings für zu hoch gegriffen hält, entsprach der jahrelang um das Verhältnis 1 : 5 pendelnden Schwarzmarkt-Wert der in der DDR umlaufenden D-Mark 13 Prozent des gesamten Bargeldumlaufs.