Großprojekt U5: Berlins neue U-Bahn-Strecke wird eröffnet
Der Zeitplan für die Eröffnung der U5 steht fest. Das Großprojekt ist halbwegs im Zeit- und Kostenrahmen geblieben. Trotzdem gab es Herausforderungen.

So viel steht fest: Eine große Eröffnungsparty wird es nicht geben. „Wegen Corona wird die Feier sehr klein ausfallen“, sagt Ute Bonde, Finanz-Geschäftsführerin der BVG Projekt GmbH. Ein Treffen mit wenigen Gästen in rund 14 Meter Tiefe im U-Bahnhof Unter den Linden – mehr wird nicht möglich sein.
Doch eines ist klar: Kurz danach soll auf dem neu gebauten Abschnitt der U-Bahn-Linie U5 in Mitte der Verkehr beginnen. Vom Mittag des 4. Dezember an, so ist es geplant, fahren die Züge aus Hönow über den Alexanderplatz hinaus weiter bis zum Hauptbahnhof. Für die Fahrgäste bedeutet die neue Ost-West-Strecke zusätzliche Direkt- und Umsteigeverbindungen.

Der Aha-Effekt kam, als Ute Bonde vor einigen Wochen mal wieder im Tunnel war. „Ich sah zum ersten Mal, wie eine U-Bahn über unsere Strecke fuhr. Eine richtige U-Bahn! Erst da wurde mir wirklich bewusst: Wir haben es geschafft. Die neue U5 funktioniert“, so die 53-jährige Finanzchefin. „So richtig kann ich es mir immer noch nicht vorstellen, dass alles fertig ist“, sagt ihr Mitstreiter Jörg Seegers, der den Weiterbau der U5 als technischer Geschäftsführer seit sechs Jahren begleitet hat.

Und doch: Der Countdown für die Eröffnung der 2,2 Kilometer langen Strecke hat begonnen. Bei Schulungsfahrten machen sich 480 Fahrerinnen und Fahrer mit den Anlagen vertraut. „Anschließend wird noch einmal durchgeputzt“, sagt Jörg Seegers. Und dann ist es so weit: „Die ersten regulären Züge sollen am 4. Dezember gegen 12 Uhr auf dem U-Bahnhof Unter den Linden halten“, berichtet Markus Falkner, Sprecher der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). „Ab zirka 12.10 Uhr wird nach dem Regelfahrplan gefahren“ – tagsüber mindestens alle fünf Minuten.
Schon in der ersten Nacht erlebt die Neubaustrecke einen durchgehenden Nachtverkehr. Eine Fahrt von Hönow bis zum Hauptbahnhof, dem neuen Endpunkt im Westen, dauert laut Plan 41 Minuten. Wurden im Regelverkehr bislang 17 Züge für die U5 benötigt, sind es nach der Verlängerung 20.
„Und dann hat es geknallt“
Berlin bekommt drei neue U-Bahnhöfe, die nobler wirken als die übrigen 173 Stationen. Im U-Bahnhof Rotes Rathaus bedecken rund 3.000 anthrazitfarbene Betonwerksteinplatten, geschliffen und poliert, die Wände – wie es der Entwurf des Architekten Oliver Collignon vorsieht. Golden eloxierte Buchstaben zeigen den Stationsnamen an. Die Decke ruht auf sieben pilzförmigen Stützen.
Im U-Bahnhof Museumsinsel, rund 16 Meter unter dem Spreekanal gelegen, strahlen bereits 6662 Lichtpunkte als Sterne auf nachtblauem Himmel. Sie erinnern an das Bühnenbild von Karl Friedrich Schinkel für Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ von 1816, das den Architekten Max Dudler inspiriert hat. Der U-Bahnhof Unter den Linden, Umsteigestation zur U6, wirkt dank der Lichtdecke wie eine helle Halle. Für den Boden haben die Architekten Ingrid Hentschel und Axel Oestreich weißen Terrazzo ausgewählt, der mit dem dunklen Muschelkalk aus dem fränkischen Kirchheim kontrastiert.
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Jörg Seegers findet es schade, dass es am 4. Dezember keine große Eröffnungsfeier geben wird. Denn eigentlich gebe es am Namenstag der Heiligen Barbara, Schutzpatronin der Bergleute, mehrere Gründe für eine Party, an der auch Bauleute und Planer teilnehmen sollten. „So hat es auf der U-Bahn-Baustelle keinen einzigen tödlichen Unfall gegeben“, sagt der Technik-Chef. „Außerdem haben wir mit der U5 gezeigt, dass es in Deutschland auch Großprojekte gibt, die halbwegs im Zeit- und Kostenrahmen bleiben.“
2010 wurde der symbolische erste Spatenstich gesetzt. Lange Zeit hieß es, dass die Neubaustrecke im östlichen Stadtzentrum 2019 in Betrieb geht – mit rund einem Jahr mutet die Verzögerung nun verhältnismäßig gering an. Nach der jüngsten offiziellen Kostenschätzung, die von 2013 datiert, sollte das Projekt 525 Millionen Euro kosten – hier wird die Abweichung voraussichtlich ebenfalls überschaubar ausfallen.
„Wir gehen davon aus, dass wir diese Summe nur um wenige Prozentpunkte übertreffen werden“, sagte Stephanie Niehoff, Sprecherin der BVG Projekt GmbH. „Eine genaue Summe können wir im kommenden Jahr nennen, nach Fertigstellung des U-Bahnhofs Museumsinsel“ – der anfangs einige Monate lang ohne Halt durchfahren wird.
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Das Großprojekt U5 lief glimpflicher ab als der Bau des Flughafens BER. Doch das heißt nicht, dass die Planer keine BER-Momente erlebten. So blockierte 2013 ein riesiger Findling mit 3,50 Meter Kantenlänge die Ausschachtungsarbeiten Unter den Linden. An dem „Riesenteil“ (Seegers) ging ein Schlitzwandgreifer zu Bruch.
Weil in die Baugrube für den U-Bahnhof Museumsinsel zu viel Grundwasser eindrang, musste die Schildvortriebsmaschine „Bärlinde“ von Herbst 2013 bis März 2014 pausieren. Als der Tunnelbohrer im folgenden Sommer dann im Untergrund pausierte, kam unter ihm plötzlich der Boden ins Rutschen. Aus dem angrenzenden Bauwerk der U-Bahn-Linie U55 war Feuchtigkeit gedrungen, Instabilität war die Folge. „Wir dachten: Alles ist in Ordnung. Und dann hat es geknallt“, erinnert sich der Technik-Geschäftsführer.
Im Untergrund entstand ein riesiger Eisblock
Ähnlich wie am neuen Schönefelder Flughafen erlebten auch die U5-Planer, das Teile ihrer Anlage plötzlich nicht mehr rechtmäßig waren. Neue Rechtsgrundlagen, allen voran die geänderte EU-Bauproduktenverordnung, führten 2018 zu Problemen. So galten für bereits verlegte Kabel plötzlich andere Brandschutzklassen – was dickere Ummantelungen und breitere Rohre für die Leitungen erfordert hätte. Dübel entsprachen plötzlich ebenfalls nicht mehr den rechtlichen Anforderungen. Glücklicherweise ließen sich mit der Technischen Aufsichtsbehörde des Senats annehmbare Lösungen erzielen.
Das schwierigste Teilprojekt war 2017 die Vorbereitung der Vereisung, in dessen Schutz der Rohbau des U-Bahnhof Museumsinsel entstand. Um den riesigen Eisblock mit Hilfe von minus 37 Grad Celsius kalter Sole herstellen zu können, mussten 105 Bohrungen erfolgen - jeweils rund 95 Meter lang, mit äußerst geringen Toleranzen. V
on einer einstelligen Zahl von Fällen abgesehen, in denen wieder mal Findlinge den Weg versperrten, gelang die Präzisionsarbeit. „Eine herausragende Leistung“, lobt Jörg Seegers – und eine Zitterpartie. Ihm war es wichtig, dass „Frieden am Bohrloch“ herrschte. Jeden Morgen berieten die Beteiligten, nicht nur Techniker, auch Ökonomen, über die anstehenden Herausforderungen. Falls nötig, einigte man sich umgehend.
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Auch in anderen Bereichen habe man sich bemüht, Konflikte möglichst bald vom Tisch zu räumen, auch um Rechtsstreit zu vermeiden, sagt Finanzchefin Ute Bonde. Denn wenn ein Streit erst einmal vor dem Richter lande, nehme er oft viel Zeit in Anspruch, und oft sei das Verhältnis zwischen Baufirma und Bauherrn danach zerrüttet. „Wir wollten ein fairer Partner sein.“ Partnerschaftliches Bauen: Das sei eine Lehre, die man auch für andere Großprojekte in Deutschland ziehen könne, mahnt Bonde.
Das Trauma, das Technikchef Jörg Seegers über all die Jahre befürchtete, traf nicht ein. „Der Einsturz der U-Bahn-Baugrube in Köln 2009 hat sich in die Köpfe eingebrannt“, sagt der 58-Jährige. „So etwas durfte in Berlin nicht passieren“ – und es passierte nicht. In weniger als drei Wochen beginnt der Zugbetrieb. Im kommenden Sommer, wenn die U5 auch im U-Bahnhof Museumsinsel hält, soll richtig gefeiert werden.