In meiner Küche steht ein Kraftwerk
Was im Homeoffice alles möglich ist: Nico Wittlief (33) überwacht vom Esstisch aus sogar die Technik einer Energieanlage in Adlershof, die Berlinern Wärme und Strom liefert.

camcop media / Andreas Klug
Zu Hause arbeiten ist in Corona-Zeiten eigentlich nichts Besonderes. Doch was Nico Wittlief (33) im Homeoffice macht, ist schon recht außergewöhnlich. Der Charlottenburger überwacht vom heimischen Küchentisch aus die gesamte Technik eines Kraftwerkes, das die Berliner mit Wärme und Strom versorgt.
Nico Wittlief ist Chef des Instandhaltungsteams des Blockheizkraftwerkes des Berliner Energieversorgers BTB GmbH in Adlershof. Dort überwacht und wartet er normalerweise mit sieben Mitarbeitern vor Ort eine Turbine und vier gasbetriebene Motoren, die im insgesamt 140 Kilometer langen Verbundnetz mit anderen Heizkraftwerken Wärme an über 30.000 Haushalte, Schulen und Krankenhäuser in Treptow, Köpenick und Neukölln liefern. Auch Strom wird erzeugt – für die Unternehmen in der Wissenschaftsstadt Adlershof.
Doch das Coronavirus hat auch die Arbeitswelt von Wittlief verändert. „Um die Ansteckungsgefahr zu mindern, wurde unser Team aufgeteilt. Jeder arbeitet seit etwa zwei Monaten abwechselnd im Werk oder im Homeoffice“, sagt Wittlief. „Trotz Corona muss das Blockheizkraftwerk Adlershof weiter Wärme und Strom produzieren.“
Und die Technik muss dafür einwandfrei laufen. Dass dies auch weiterhin störungsfrei passiert, ist der Job von Wittlief und seinem Team. „Wenn man derzeit nicht vor Ort sein kann, muss das Heizkraftwerk eben von zu Hause aus kontrolliert werden.“ Es hört sich abenteuerlich an, aber es funktioniert.

Etwa an drei Tagen in der Woche ist der Instandhaltungschef im Homeoffice. Statt Blaumann und Helm wie im Werk trägt er ganz leger Jeans und ein Holzfällerhemd, wenn er in der Küche am großen Esstisch seine Überwachungszentrale aufbaut. In der echten in Adlershof hat er sechs Monitore. In der Küche ist es nur ein Laptop, in dem das gesamte Heizkraftwerk steckt und mit dem er per Internet verbunden ist. Auf dem Bildschirm sieht Wittlief nicht nur, wer von den Kollegen vor Ort ist. Er kann auch das Schaltschema mit den technischen Anlagen aufrufen. Leuchten die Systeme grün, ist alles in Ordnung.
Doch manchmal blinken sie auch gelb oder sogar rot. Dann muss Wittlief eingreifen. „Das kam schon vor“, sagt er. „So fiel das Notstromaggregat aus. Von daheim besorgte ich neue Batterien, die von Kollegen vor Ort ausgewechselt wurden.“ Auch bei einem Motor gab es Probleme. „Die Zündkerzen machten schlapp, mussten ausgetauscht werden.“
Kleine Fälle, die schnell auch von daheim zu beheben sind. Doch ist richtig Not am Mann, muss Wittlief ins Werk. „Das passierte, als ein größerer Schaden an einem Dampfkessel repariert werden musste.“ Für den Instandhaltungschef eine Herausforderung, die aber schnell gelöst wurde. Schließlich kennt Wittlief das Heizkraftwerk wie seine Westentasche. 2003 absolvierte er dort seine Lehre zum Elektroniker für Betriebstechnik, wurde 2007 übernommen, machte vergangenes Jahr seinen Meister.
Im Homeoffice sitzt er nicht allein am Küchentisch. Oft sind seine vier Kinder dabei, wenn bei ihnen der normale Kita- und Schulbetrieb wegen Corona nicht möglich ist. Dann wird der Kraftwerksteamchef auch noch zum Kindergärtner für die Töchter Lina (3) und Lia (5). Und zum Lehrer für Lennon (8) und Lana (10), die Mathe- oder Deutsch-Aufgaben zu Hause lösen müssen.

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„Meine Frau Claudia ist bei der S-Bahn, kann leider berufsbedingt nicht so oft ins Homeoffice“, sagt Wittlief. „Daher bin ich froh, dass es bei mir klappt und ich mich um die Kinder kümmern kann.“ Das ist nicht immer ganz einfach. Und es sorgt auch für so manche lustige Situation. „So saß ich in einer Telefonkonferenz, als aus der Toilette plötzlich die Jüngste rief und ich ihr den Po abwischen musste, während ich am Handy weiter mit den Kollegen redete.“
Verantwortungsvolle Arbeit und Kinderbetreuung – wie kann man das alles unter einem Hut bringen? „Das ist eine Frage der Organisation. Es hat sich bei uns alles gut eingespielt“, erzählt Wittlief. „Das Gute an der Corona-Krise ist, dass wir nun sehen, was alles möglich sein kann, wenn man nur will.“ Auch außergewöhnliche Dinge, wie ein Kraftwerk vom Küchentisch aus zu überwachen.
