„Ich möchte noch einmal meine Tochter sehen“
In Zeiten der Corona-Krise darf die todkranke Berlinerin keinen Besuch von ihrem Kind bekommen.

Barbara Carus (65) einziger Halt ist ein Foto. Es zeigt sie und ihre Tochter Claudia (33) an einem See in Brandenburg. Vor drei Monaten sahen sie sich zum letzten Mal. Die im fortgeschrittenen Stadium an ALS-erkrankte Ex-Ballerina, über die der KURIER mehrfach berichtete, liegt in einem Hospiz. Ihre größte Sorge: Dass sie stirbt, ohne ihr Kind noch einmal gesehen zu haben.
„Ich habe solche Angst, dass ich meine über alles geliebte Tochter nicht mehr wieder sehe. Sie wollte mich besuchen kommen, aber darf das nicht“, schreibt Barbara Carus verzweifelt. Da sie kaum noch vollständige Sätze sprechen kann, teilt sie sich per SMS mit. Ihre Krankheit hat ihr nun auch die Stimme genommen. Besonders dramatisch: Seit Anfang des Jahres wird Carus, die bis zuletzt in ihrem Haus in Treptow lebte, in einem Hospiz in Brandenburg palliativ behandelt. Während der Corona-Krise darf sie dort aber wegen der hohen Infektionsgefahr keinen Besuch mehr empfangen.
Ex-Ballerina Carus leidet an der unheilbaren Krankheit ALS
Die todkranke Ex-Ballerina, die zu DDR-Zeiten im staatlichen Tanzensemble im Metropol-Theater auftrat, hat bereits einen sehr langen Leidensweg hinter sich. Vor zweieinhalb Jahren erhielt sie die niederschmetternde Diagnose ALS (amyotrophe Lateralsklerose), die nach und nach ihre Nervenzellen zerstört. Der KURIER begleitet sie seit einem Jahr, weil sie neben ihrem schweren Krankheitsverlauf auch gegen die Mühlen der Bürokratie ankämpfen musste. Erst wollte ihre Krankenkasse die Kosten für ihre 24-Stunden-Betreuung nicht übernehmen, anschließend suchte sie wochenlang nach einem Intensivpflegedienst, gegen den später wegen Pflegebetrugs ermittelt wurde und schließen musste.
Nun wird Barbara Carus im Hospiz auf ihren letzten Weg begleitet und die Corona-Krise wird ihr jetzt auch noch zum Verhängnis. Die Einrichtung in Bad Saarow, in der sie lebt, lässt zum Schutz der schwer kranken Patienten keine Besucher herein. Aus diesem Grund darf Tochter Claudia, die in Wien lebt und gemeldet ist, nicht zu ihr. Das Problem: Laut der Verordnung zu Quarantänemaßnahmen für das Land Brandenburg dürfte ihre Tochter sogar aus Wien einreisen und ohne sich in Deutschland einer zweiwöchigen Quarantäne unterziehen zu müssen, wie derzeit vorgeschrieben, zu ihrer Mutter. Doch wie das Besuchsrecht in den jeweiligen Pflegeeinrichtungen im Hinblick auf das überhöhte Infektionsrisiko geregelt ist, kann jedes Haus frei entscheiden. „Wir schreiben es als Land nicht vor“, sagt Martin Burmeister, Sprecher des brandenburgischen Innenministeriums dem KURIER. Viele Einrichtungen würden sich nach den Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes richten. „Es ist sehr dramatisch, dass sich Familien in dieser Zeit nicht mehr voneinander verabschieden können“, so Burmeister.
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Barbara Carus weiß nicht, wie lange sie noch durchhalten kann. Sie sitzt schon seit knapp einem Jahr in Rollstuhl, weil sie nicht mehr laufen kann, da ihre Beine versagen. Inzwischen muss sie Tag und Nacht beatmet werden, weil ihre Atemmuskulatur nicht mehr richtig funktioniert. „Es geht mir gar nicht gut“, schreibt Barbara Carus. Ihre Hände können kaum noch greifen, ständig fällt ihr etwas hinunter. „Mama kann ihr Handy kaum noch allein in de Händen halten“, sagt Claudia Carus. Dabei ist es das einzige Kommunikationsmittel, mit dem ihre Mutter sich noch mit ihr verständigen kann. Der Gedanke daran, dass sie nichts mehr von ihr hören könnte, löse auch Panik in ihr aus. Sie sagt: „Ich wünsche mir nichts mehr, als meine Mutter zu besuchen. Es wäre nicht auszudenken, wenn wir und nicht noch einmal sehen können.“

Das empfiehlt die Trauerbegleiterin in der Krise
Zeiten wie diese, in denen Menschen durch Kontaktsperren voneinander getrennt werden, treffen Schwerkranke und Sterbende dramatisch. Der KURIER hat mit der Trauerbegleiterin Sarah Benz (www.trauern-und-hoffen.de) aus Pankow gesprochen. Wie kann man während der Corona-Krise würdevoll Abschied nehmen? „Ich empfehle Betroffenen per Video-Call mit ihren Familien in Kontakt zu bleiben oder sich Nachrichten zu schicken.“ Doch was mache ich, wenn der Angehörige plötzlich verstirbt? „Man könnte das Pflegepersonal bitten, den Angehörigen noch einmal zu fotografieren und das Bild zu schicken. Zusätzlich sind auchErinnerungen für die Hinterbliebene wertvoll wie Handabdrücke des Verstorbenen oder zum Beispiel eine Haarlocke. Sollteman nochZeit haben sich zu verabschieden, könnte man dem Familienmitglied auch noch einen persönlichen Brief senden oder mit ihm symbolisch Gegenstände teilen, wie etwa zwei Herzen, zwei gleiche Kuscheltiere oder Engel. Einen behält man selbst, den andere schickt man dem Angehörigen. „So ist man miteinander verbunden.“ Sarah Benz hat mit einem Team aus Experten zum Thema Abschiednehmen in Zeiten von Corona ein Empfehlungsschreiben an Berliner Kliniken und Pflegeeinrichtungen geschrieben. Sie sagt: „Wir glauben, dass es auch das Personal entlastet. Für sie ist es auch nicht leicht, wenn jemand allein, ohne Angehörige stirbt.“