Die Gigantomanie von „Germania“ verdeutlicht dieses Modell: Die Große Halle, 320 Meter hoch, war als zentrales Bauwerk der neuen deutschen Reichshauptstadt gedacht; sie sollte 180.000 „Volksgenossinnen und -genossen“ Platz bieten.
Die Gigantomanie von „Germania“ verdeutlicht dieses Modell: Die Große Halle, 320 Meter hoch, war als zentrales Bauwerk der neuen deutschen Reichshauptstadt gedacht; sie sollte 180.000 „Volksgenossinnen und -genossen“ Platz bieten. Foto:  bpk-Bildagentur

Knöcheltief steht das Wasser, im Schein unserer Taschenlampen schimmert es wie eine braune Brühe. Wir gummistiefeln hindurch, ohne dass die Sohlen den Kontakt zum Boden verlieren. Sicherer ist das. Der Untergrund ist uneben, an manchen Stellen löchrig. Ein Fehltritt könnte schwerwiegendere Folgen haben, als nass zu werden.

Das Wasser wellt sich in das Dunkel, das unsere Lampen spärlich erhellen. Stickig ist die Luft, modrig der Geruch. Es ist nicht kalt, aber so kühl, dass sich Atemwölkchen bilden.

An diesem seltsamen Ort drängt sich die Frage geradezu auf: Was wäre, wenn Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätte?

Dann rollten hier unten, in diesem Tunnel, der fast fünfzehn Meter breit und etwas mehr als viereinhalb Meter hoch ist, Tag und Nacht Autos. Und dort oben, auf der Straße, sieben bis acht Meter über uns, paradierten zu Gedenktagen Wehrmachtssoldaten.

Magazincover: Berliner Verlag, Titelfoto: Horst von Harbou/Deutsche Kinemathek
Berliner Geschichte

„B History“ ist das neue Geschichtsmagazin aus dem Berliner Verlag. Kaleidoskopartig veranschaulicht die erste Ausgabe die Berliner Weltstadtgeschichte, die mit dem Groß-Berlin-Gesetz am 1. Oktober 1920 begann. Das Heft schildert auf 124 Seiten mit rund 250 Abbildungen nicht nur, wie es in den vergangenen 100 Jahren in Berlin gewesen ist, sondern auch, wie diese Vergangenheit in die Gegenwart hineinwirkt. Erhältlich ist „B History“ auf Deutsch oder auf Englisch für 9,90 Euro im Einzelhandel und unter https://aboshop.berliner-zeitung.de

Sascha Keil leuchtet ins Dunkel. „Wir stehen in einem der letzten begehbaren unterirdischen Bauten im Rahmen der sogenannten Neugestaltungsmaßnahmen für die Reichshauptstadt“, sagt der Historiker, „direkt unter der Straße des 17. Juni, auf Höhe des Sowjetischen Ehrenmals.“ Keil ist Vorstandsbeauftragter für Mitglieder und Arbeitssicherheit im Verein Berliner Unterwelten, der in diesem Tunnel gelegentlich Sonderführungen macht. Zwei weitere tote Tunnel liegen nebenan, nur wenige Meter in östlicher Richtung: der eine auch für Autos, der andere für eine U-Bahn.

Als Bestandteile der „Welthauptstadt Germania“ stehen diese „Neugestaltungsmaßnahmen“ unter Federführung von Albert Speer, dem Chefarchitekten Hitlers, in den Geschichtsbüchern. Um mehr über diese Maßnahmen zu erfahren, entsteigen wir dem Tunnel unter dem Tiergarten und begeben uns in den Ortsteil Wedding.

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In einer Zwischenetage im U-Bahnhof Gesundbrunnen befindet sich die Dauerausstellung „Hitlers Pläne für Berlin: Mythos Germania – Vision und Verbrechen“, kuratiert vom Historiker Gernot Schaulinski, betreut vom Verein Berliner Unterwelten.

Hoch ragt die Ausstellungshalle auf, lang zieht sie sich. Im Mittelpunkt der Schau mit Multimediastationen, Säulenfragmenten der Neuen Reichskanzlei und Fundstücken vom Gelände des KZ-Außenlagers „Klinkerwerk“ bei Oranienburg steht ein großes Modell. Es zeigt Berlin nach den Vorstellungen von Hitler/Speer: Eine Stadt für eine gleichgeschaltete Gesellschaft, die, wie die Historiker Gernot Schaulinski und Dagmar Thorau in „Mythos Germania“ schreiben, „den Nationalsozialismus als Nukleus und Ziel ihres Daseins begreifen sollte“.

Der Historiker Alexander Kropp ist einer der Autoren der Dauerausstellung „Mythos Germania“ im U-Bahnhof Gesundbrunnen.
Der Historiker Alexander Kropp ist einer der Autoren der Dauerausstellung „Mythos Germania“ im U-Bahnhof Gesundbrunnen. Foto:  Andreas Klug/camcop media

Alexander Kropp blickt über das Modell, er ist einer der Autoren der Ausstellung. „Mit der Welthauptstadtplanung von Albert Speer verbinden sich viele Mythen“, sagt der Historiker. „Ziel dieser Ausstellung ist es, diese Mythen zu dekonstruieren, im klassischen Sinne Aufklärungsarbeit zu leisten.“

Schon der Begriff „Welthauptstadt Germania“ ist ein Mythos, er ist eine Nachkriegsproduktion. „Es gibt zwei Zitate von Hitler, beide geäußert im Führerhauptquartier“, erklärt Kropp. „Einmal spricht er von einer ‚Welthauptstadt‘, ein anderes Mal von ‚Germania‘. Beide Versatzstücke sind in den Memoiren von Speer, im Klappentext, zusammengefügt worden. Es gibt sonst keine andere Stelle in seinen Erinnerungen.“

Ein weiterer Mythos: Speer selbst. „Speer hat sich immer als unpolitischer Technokrat präsentiert“, sagt Kropp; „er war aber viel tiefer in die NS-Vernichtungsmaschinerie, die Judenverfolgung und die ‚Endlösung‘ verstrickt, als er glauben machen wollte.“ Das war er nicht erst als Reichsminister für Bewaffnung und Munition ab 1942, sondern schon als „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt“ (GBI), der mit Ministerkompetenzen die Neugestaltung Berlins 1937 begann und 1950 beenden sollte.

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Alle Arbeiten an der neuen Reichshauptstadt wurden nach dem Untergang der 6. Armee der Deutschen Wehrmacht in Stalingrad im Februar 1943 eingestellt. Dazu gehörte auch der Bau der Wehrtechnischen Fakultät südwestlich des Olympiastadions. Die Fakultät war als erster Abschnitt einer Hochschulstadt geplant.

Über einen Rohbau ist sie nicht hinausgekommen. Die nach Teilsprengung und Teilabriss nach dem Krieg verbliebenen Gebäudereste wurden unter Trümmerschutt begraben und mit Bäumen bepflanzt. So entstand der Teufelsberg. Sein Gipfel war im Kalten Krieg Basis amerikanischer und britischer Aufklärungs- und Sicherheitsdienste.

Das Zentrum der „Welthauptstadt Germania“ im Modell: Die „Siegesallee des III. Reiches“, 7000 Meter lang und 120 Meter breit, sollte die Große Halle mit dem Triumphbogen und dem Südbahnhof verbinden.
Das Zentrum der „Welthauptstadt Germania“ im Modell: Die „Siegesallee des III. Reiches“, 7000 Meter lang und 120 Meter breit, sollte die Große Halle mit dem Triumphbogen und dem Südbahnhof verbinden. Foto:  ullstein bild

Das „Germania“-Modell, vor dem Kropp steht, ist eine Filmrequisite; es stand in „Der Untergang“ und in „Speer und Er“ vor der Kamera, zeige aber „im Wesentlichen den Planungszustand“, versichert der Historiker. „Dieser mittlere Teil der Nord-Süd-Achse, rund sieben Kilometer lang, ist etwas verkürzt und daher stellenweise grobschlächtiger dargestellt. Es ist aber genau das Stück, das Hitler immer interessiert hat. Es hat zwei Bezugspunkte: die Große Halle im Spreebogen im Norden und den Triumphbogen im Süden.“

Zwei Magistralen als Bühne für Aufmärsche sollten Berlin prägen: die Nord-Süd-Achse als „Siegesallee des III. Reiches“, ein 120 Meter breiter Boulevard, der einen Nordbahnhof in Moabit mit einem Südbahnhof in Tempelhof verbinden sollte, und die Ost-West-Achse, die von Wustermark über Heerstraße, Großer Stern, Brandenburger Tor und Unter den Linden, Frankfurter Tor und Frankfurter Allee verlaufen sollte.

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Ein sieben Kilometer langes Teilstück der Ost-West-Achse konnte Speer 1939 fertigstellen: mit der Siegessäule, die er vom Königsplatz vor dem Reichstag auf den Großen Stern versetzen und um 7,5 Meter erhöhen ließ, und einer Straßenbeleuchtung aus zweiarmigen Kandelabern, für die er die äußere Hülle gestaltete – zwischen Theodor-Heuss-Platz und S-Bahnhof Tiergarten stehen noch 800 dieser Lampen.

Und auch das ließ Speer bauen: drei Tunnelstutzen unter dem Tiergarten, am Schnittpunkt von Nord-Süd- und Ost-West-Achse – zwei für den Straßenverkehr, den dritten für eine U-Bahnlinie G zwischen Lübars und Marienfelde.

Der Historiker Sascha Keil vom Berliner Unterwelten e. V. steht in einem von drei Tunnelstutzen unter der Straße des 17. Juni. Zwei Tunnel waren für den Autoverkehr, der dritte war für die U-Bahnlinie G zwischen Lübars und Marienfelde vorgesehen.
Der Historiker Sascha Keil vom Berliner Unterwelten e. V. steht in einem von drei Tunnelstutzen unter der Straße des 17. Juni. Zwei Tunnel waren für den Autoverkehr, der dritte war für die U-Bahnlinie G zwischen Lübars und Marienfelde vorgesehen. Foto: Eric Richard

Kehren wir zurück in den Tunnel unter dem Tiergarten. Sascha Keil leuchtet in die Vergangenheit: An den Wänden des Lüftungsschachtes, den wir hinabgestiegen sind, befinden sich Vorrichtungen für einen Ventilator; auf dem Boden, uneben und bepfützt, liegen Backsteinreste eines Sockels, der einst eine Treppe trug; im Tunnel verrotten Plastiksäcke und -tüten unbekannter Herkunft – und unbekannten Inhalts.

Auf dem trockenen Boden am südlichen Ende des Tunnels glänzen im Lichtkegel von Keils Lampe die Enden von Stahlträgern, die tief in der Erde ankern, um dem Bauwerk Stabilität zu geben. An den Übergängen von den Längswänden zur Decke hängen Gerippe aus Metallstäben für Kabelstränge. Durch die Decke und einen Teil der Wände ziehen sich Nischen für Leuchten.

In der Tunnelsenke, in der das Wasser steht, teilt eine Backsteinwand mit zwei Durchlässen das Bauwerk; dahinter steigt der Tunnel wieder an, auch dort ist der Boden trocken. „Das Wasser hier unten ist Regenwasser, es kommt durch den Lüftungsschacht“, sagt Sascha Keil. „Der Bau ist dicht. Das erstaunt Architekten und Ingenieure heute noch.“

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Seit 1938 liegt der 87 Meter lange Tunnel, der sich nach Osten krümmt, unter dem Tiergarten. Neben ihm ruht sein etwa gleich langer Zwilling, vier Meter tiefer und sich nach Westen neigend. Der Kriegsverlauf führte dazu, dass beide Tunnel Rohbauten blieben, ebenso wie der etwas weiter östlich liegende, 220 Meter lange und 16 Meter tiefe U-Bahn-Tunnel.

Der für den Straßenverkehr gedachte Tunnel hat in den letzten Kriegsjahren vermutlich folgenden Zweck erfüllt: „Hier wurden Kleinteile für die Rüstungsindustrie produziert“, sagt Sascha Keil. Er leuchtet auf den Boden, wo sich Reste von Maschinensockeln zeigen, an die Decke, wo noch eine Lampe hängt, an die Wand, wo sich eine Nische für Feuerlöscher befindet.

Für wahrscheinlich hält Keil, dass das Bauwerk mit seiner betonierten Decke und seiner Erdüberdeckung in jener Zeit auch als Luftschutzraum diente: „Man kann sich vorstellen, dass hier nicht nur Arbeiter, sondern auch enge Angehörige Schutz fanden. Die meisten öffentlichen Schutzanlagen waren gegen Ende des Krieges ja überfüllt.“

Das Licht der Taschenlampen spielt mit unseren Schatten.

Oder ist es umgekehrt?

Totenstille.

Was wäre gewesen, wenn?

Hitler wollte mit der neuen Reichshauptstadt den Anspruch auf Weltherrschaft zementieren. Als das Symbol für den Größenwahn steht die Große Halle. Der Koloss sollte über dem Spreebogen thronen, auf der Fläche zwischen dem heutigen Hauptbahnhof und den Verwaltungsgebäuden des Bundestags: Mit einer Grundfläche von 300 mal 300 Metern und einer Höhe von 320 Metern (gut viermal so hoch wie der Reichstag) wäre die Große Halle das größte Gebäude der Welt geworden, ein Gebäude für 180.000 „Volksgenossinnen und -genossen“, die ihrem „Führer“ huldigen. Der „Adolf-Hitler-Platz“ davor sollte Versammlungsort für eine Million Untertanen sein.

Ein Relikt des „Germania“-Projekts ist der „Schwerbelastungskörper“, im Volksmund „Nazi-Klops“. Der Zylinder aus Beton und Stahlbeton steht an der General-Pape-Straße 34A in Tempelhof.
Ein Relikt des „Germania“-Projekts ist der „Schwerbelastungskörper“, im Volksmund „Nazi-Klops“. Der Zylinder aus Beton und Stahlbeton steht an der General-Pape-Straße 34A in Tempelhof. Foto:  imago stock & people

Wie akribisch die Stadtplaner vorgingen, davon zeugt der „Schwerbelastungskörper“. Verlassen wir daher noch einmal den Tunnel, wenden wir unsere Aufmerksamkeit nach Tempelhof. Ecke General-Pape-Straße/Loewenhardtdamm steht der – so spotten die Berliner – „Nazi-Klops“: ein 18,2 Meter tief steckender Zylinder mit fast 11 Metern Durchmesser, darauf ein zweiter, 14 Meter hoher Zylinder mit 21 Metern Durchmesser. Der Zweck des Bauwerks aus Beton und Stahlbeton, 12.650 Tonnen schwer (das entspricht dem Gewicht von 22 Großraumflugzeugen des Typs Airbus A380), bestand darin, die Tragfähigkeit des Berliner Untergrunds zu prüfen.

Michael Richter führt uns in den Zylinder, nicht nur in die obere, ebenerdige Messkammer, auch in die nicht öffentlich zugängliche untere. „Was wir hier haben, ist die gebaute Unsicherheit“, sagt der Architekt, Mitglied des Vereins Berliner Unterwelten. „Die Ingenieure waren sich damals nicht sicher, ob und wie sie so etwas Schweres bauen können.“

So etwas Schweres wie den Triumphbogen auf der Nord-Süd-Achse: 117 Meter hoch, 170 Meter breit. In sein Gestein sollten die Namen aller im Ersten Weltkrieg gefallenen deutschen Soldaten eingemeißelt sein.

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„Der Triumphbogen sollte die gebaute ,Dolchstoßlegende‘ sein“, hatte der Historiker Alexander Kropp in der Ausstellung „Mythos Germania“ erklärt. „Hitler wollte die Niederlage Deutschlands umdeuten in einen Sieg.“

Wir steigen in den Unterbauch des Zylinders. Über eine senkrechte Eisenleiter mit schwitzwassernassen Sprossen. Neun Meter tiefer stehen wir in einem Raum, zweieinhalb mal zweieinhalb Meter groß, von dem kreuzgleich vier Tunnelstummel abgehen, die nach gut drei Metern enden.

Es mufft nach Keller. Aus dem Boden ragen Rohrstümpfe, beispielsweise für ein Höhenmessgerät, und Leitungen für Druck- und Temperaturmessgeräte. Alles Gerät ist entfernt. Hier und da liegt Unrat: Reste einer Leiter, Deckel von Töpfen, Scherben einer Bierflasche; aus einer Luftschutzklappe quillt Bauschutt.

Der Architekt Michael Richter, Mitglied des Berliner Unterwelten e. V., steigt in den Unterbauch des „Schwerbelastungskörpers“. Das Bauwerk sollte klären, wie viel Gewicht der Berliner Boden tragen kann.
Der Architekt Michael Richter, Mitglied des Berliner Unterwelten e. V., steigt in den Unterbauch des „Schwerbelastungskörpers“. Das Bauwerk sollte klären, wie viel Gewicht der Berliner Boden tragen kann. Foto:  Thomas Uhlemann

„Wir haben es so vorgefunden“, sagt Michael Richter, „und wir haben es so gelassen.“ Er blickt auf den Boden. „Es sind noch neun Meter Beton unter uns.“ Und gut 20 Meter Beton über uns. Der Zylinder, der wie eine monströse Schraube mit ebenso monströsem Kopf im Erdreich steckt, belastet den Boden mit 12,65 Kilogramm pro Quadratzentimeter.

Von April bis November 1941 ließ die Generalinspektion unter Architekt Speer den Schwerbelastungskörper bauen, mithilfe französischer Zwangsarbeiter. Die Umgebung sollte später so hoch aufgeschüttet werden, dass der Körper begraben worden wäre. Dann hätte man vom Triumphbogen (platziert in Höhe der heutigen Dudenstraße) bis zur Großen Halle durchgeblickt.

Nichts hätte den Berliner Boden – Sand, Kies und Geschiebemergel – mehr belastet als dieser Triumphbogen: 116 Tonnen hätten auf einen Quadratmeter gedrückt; auf 92 Tonnen hätte es die Große Halle gebracht.

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Schon in der Bauphase sackte der Schwerbelastungskörper ein, wie die Deutsche Gesellschaft für Bodenmechanik (Degebo) feststellte: Bis Juli 1944 sank er um 18,6 Zentimeter und neigte sich um 3,5 Zentimeter. Als nach dem Krieg, 1948, eine abschließende Messung erfolgte, hatte er sich nur noch 0,7 Zentimeter tiefer gesetzt. Das lässt Architekt Michael Richter vermuten: „Bis heute dürfte kaum etwas dazugekommen sein.“

Grundsätzlich wäre der Triumphbogen baubar gewesen, etwa auf tief durch den Geschiebemergel getriebene Betonpfeiler. Geld, Baumaterial und Arbeitskraft hätte es bei der Neugestaltung der „Welthauptstadt“ zur Genüge gegeben. Hitler hatte schon Jahre vor dem von ihm entfesselten Krieg ein neues Berlin im Sinn, das auf den Rücken unterjochter Völker, geknechteter Zwangsarbeiter und todgeweihter Häftlinge stehen sollte. Verbrechen sollte das Fundament der neuen Hauptstadt sein.

Dazu gehörten die geplante Zwangsräumung von 250.000 Wohnungen und die tatsächliche Verfolgung von Berlinern jüdischen Glaubens. Mithilfe von Listen, die Speer anlegen ließ, um an den Wohnraum jüdischer Bürger zu kommen, wurden 55.000 Juden in Vernichtungslager deportiert.

Der Laserscan zeigt, dass die Tunnel unter dem Tiergarten auf Höhe des Sowjetischen Ehrenmals verlaufen. Es dort nach dem Krieg zu errichten, ist eine bewusste Entscheidung Josef Stalins gewesen.
Der Laserscan zeigt, dass die Tunnel unter dem Tiergarten auf Höhe des Sowjetischen Ehrenmals verlaufen. Es dort nach dem Krieg zu errichten, ist eine bewusste Entscheidung Josef Stalins gewesen. Laserscan:  Michael Assig/Archiv Berliner Unterwelten e. V.

Kehren wir zurück unter den Tiergarten. Wir gehen in den nördlichen Teil des Tunnels, der sich gen Osten krümmt. Und stolpern über eine Betonfliese: eine Plombe, sie hatte in der Decke ein von einem Bausicherungspfeiler hinterlassenes Loch verfüllt.

An den Wänden prangen rostbraune Streifen, hüfthoch. Sie bezeugen den Wasserstand 1967, als die Tunnel bei der Aufforstung des Tiergartens wiederentdeckt wurden. Mit Trümmerschutt und Munitionsschrott waren die Schächte verstopft, sodass das Wasser, das von dort gekommen war, nicht verdunsten konnte.

Am Ende des Tunnels gähnt der zweite Schacht. Er ist mit einer Betonplatte versiegelt. In ihm steht eine Steintreppe, sehr steil, sehr ausgetreten. „Jetzt stehen wir direkt unter dem Sowjetischen Ehrenmal“, sagt Sascha Keil. „Dass es auf der damaligen Siegesallee steht, ist kein Zufall. Genau hier wollte Stalin seinen Fußabdruck hinterlassen, als Zeichen seines Sieges.“

Wir kehren um, schlurfen wieder durch das Wasser. Mittendrin taucht ein Gedanke auf: Ungeheuerlich ist es, dass heute wieder durch hohle Köpfe braune Brühe schwappt.