Hier lacht Berlins neuer Senat! Aber wie lange noch?
Mindestens zehn Berliner AfD-Abgeordnete wollen bei der Wackelwahl am Donnerstag für Kai Wegner (CDU) gestimmt haben.

Bei der Ernennung der Berliner Senatoren zeigten sich alle demonstrativ gut gelaunt. Kai Wegner betonte seine Freude, Senatoren von SPD und CDU plauderten und lachten miteinander. Doch die Diskussion vor allem über Konsequenzen in der SPD geht weiter. Denn die Berliner AfD veröffentlichte am Freitag die Liste von zehn ihrer Abgeordneten, die angeblich für Kai Wegner gestimmt haben, damit er Regierender Bürgermeister von Berlin wird.
Am Tag nach dem Fehlstart der CDU/SPD-Koalition in Berlin hat der neue Senat seine Arbeit aufgenommen. Der neue Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU), der erst im dritten Anlauf gewählt wurde, und die zehn Senatorinnen und Senatoren kamen am Freitagvormittag zu ihrer ersten Arbeitssitzung zusammen. Dann wurden die Staatssekretäre vereidigt.
Später sollten in den Senatsverwaltungen Amtsübergaben erfolgen. Wegner wollte am Nachmittag in seiner neuen Funktion an einer Feierveranstaltung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft zum 75. Unabhängigkeitstag Israels teilnehmen. Am Donnerstag hatte Wegner im ersten Wahlgang nur 71 Stimmen erhalten, 15 weniger als die 86 Sitze von CDU und SPD. Im zweiten Durchgang waren es 79 Stimmen. Am Ende kam Wegner schließlich auf 86 Stimmen.
Berliner Senat eine „Koalition der Vorstände“
In der SPD gibt es großen Widerstand gegen die Koalition, aber auch in der CDU sind nicht alle glücklich. Prompt wurde am Freitag in der SPD weitere Kritik an den Führungspersonen um die Landesvorsitzende und abgetretene Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey laut. „Es ist an der Zeit, politische Verantwortung zu übernehmen“, sagte der Abgeordnete und Kreisvorsitzende Lars Rauchfuß dem RBB-Inforadio. Die SPD müsse zwei Wahlschlappen aufarbeiten.
Zudem sei nun eine „Koalition der Vorstände“ verabredet worden, die auf beiden Seiten der Parteien „nicht so richtig gewollt wird“. Der Widerstand sei größer als gedacht. Mit Sicherheit seien Nein-Stimmen auch aus der CDU gekommen, sagte Rauchfuß. Auch der neue Stadtentwicklungs- und Bausenator Christian Gaebler (SPD) betonte: „Ich glaube, es wird da noch mal interne Diskussionen geben.“
Bereits in vier Wochen, am 26. Mai, steht der gespaltenen Berliner SPD ein Parteitag bevor. Da werde es sicher noch mal „eine Klärung geben“, meinte Gaebler. Wegner hatte dem Tagesspiegel gesagt: „Ich habe mir gewünscht, im ersten Wahlgang gewählt zu werden. Aber ehrlicherweise mit dem zweiten gerechnet. Ich habe aber auch nicht ausgeschlossen, dass es ein dritter werden kann.“
Kai Wegner: „Ich glaube, dass die AfD hier chaotisieren will“
Nach dem zweiten gescheiterten Wahlgang sei mehreren Abgeordneten ins Gewissen geredet worden. „Es gab Einzelgespräche mit den Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD, wo es Vermutungen gab.“ Zu der Frage, bei wie vielen CDU-Abgeordneten der Verdacht der Nein-Stimme bestanden habe, sagte Wegner: „Zu viele, finde ich.“ Nach der Wahl hatte die AfD mitgeteilt, etwa die Hälfte ihrer 17 Abgeordneten hätte am Ende für Wegner gestimmt.
Auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur bei einem größeren Teil der Fraktion erklärten neun AfD-Abgeordnete per Mail, sie hätten Wegner gewählt. Es gab Spekulationen, der neue Regierungschef hätte von der Unterstützung der Partei abhängig gewesen sein können. Grüne und Linke reagierten empört. Wegner sagte dem RBB: „Ich glaube, dass die AfD hier chaotisieren will.“ Der Generalsekretär der Bundes-CDU, der Berliner Bundestagsabgeordnete Mario Czaja, bezeichnete bei Welt TV das Vorgehen der AfD als „durchschaubares Manöver“, um zu spalten und Missgunst zu säen.
Am Freitag verbreitete Wegner dann positive Stimmung. „Wir haben ein ganz tolles Verhältnis im Senat“, sagte er am Rande seiner ersten Veranstaltung im neuen Amt, der oben genannten Feier der Deutsch-Israelischen Gesellschaft zum 75. Unabhängigkeitstags Israels.
Dann doch noch der Paukenschlag: Die AfD veröffentlichte eine Liste mit zehn von 17 Namen von Abgeordneten, die im dritten Wahlgang der geheimen Abstimmung für Wegner votiert hätten. Die Namen der AfD-Abgeordneten sind: Alexander Bertram, Fraktionschefin Kristin Brinker, Frank-Christian Hansel, Harald Laatsch, Gunnar Lindemann, Tommy Tabor, Martin Trefzer, Marc Vallendar, Rolf Wiedenhaupt und Karsten Woldeit.
Wegners Amtszeit beginnt „unter einem rechten Stern“
Wenn dies stimmt, hätte Wegner von seiner Koalition vermutlich nur 76 Stimmen erhalten, zehn weniger als es Abgeordnete bei CDU und SPD gibt. Solche Spekulationen wies Wegner mehrfach zurück. Und die neue Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg, zuvor im Bundesamt für Verfassungsschutz Beobachterin der AfD, wird im Tagesspiegel zitiert: „Es gehört zu den bekannten Methoden der AfD, Desinformationen zu verbreiten und Verschwörungstheorien zu bedienen. Wer auf diese eingeht, bestellt das Feld der AfD.“

Der Linke-Bundesvorsitzende Martin Schirdewan kommentierte, Wegners Amtszeit beginne „unter einem rechten Stern“. Die SPD habe sich „für ein konservatives Bündnis entschieden und nun aus purem Machtkalkül auch noch in Kauf genommen, dass die AfD öffentlich ihre Suppe kochen kann“, warf er den Sozialdemokraten vor und forderte, die SPD-Führung könne „das nicht so stehen lassen“.
Sein Parteifreund, der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow, fragte die Berliner SPD beim Redaktionsnetzwerk Deutschland, „warum sie nicht einfach mit den Grünen und der Linken weiter regiert hat“. Mit der neuen Regierung in Berlin habe die Union eine Bundesratsmehrheit gegen die Ampel-Koalition. Ramelow sah bei der Wahl Wegners viele Parallelen zu Thüringen.
Dort war seine eigene Wiederwahl im Februar 2020 zunächst gescheitert, der FDP-Politiker Thomas Kemmerich wurde mit Stimmen aus CDU und AfD zum Ministerpräsidenten gewählt. Kemmerich trat wenig später nach vielen öffentlichen Diskussionen zurück. Die AfD nutze „den Parlamentarismus, um ihn verächtlich zu machen“, warnte Ramelow nun.
Berlins AfD-Fraktionschefin Brinker wehrte sich gegen den Vorwurf, die Demokratie beschädigen zu wollen. Das Gegenteil sei der Fall. „Um nach zwei gescheiterten Wahlgängen die unsägliche Hängepartie in Berlin zu beenden und vor allem ein weiteres geschäftsführendes Regieren von Rot-Grün-Rot zu verhindern, hat sich nach längerer Debatte die Mehrheit unserer Abgeordneten bereit erklärt, beim dritten Wahlgang für Kai Wegner zu stimmen.“ Die Diskussion dürfte also auch in den nächsten Tagen weitergehen, was das Regieren für Kai Wegner nicht einfacher macht.
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Ungeachtet dessen hat Wegners Vorgängerin, die SPD-Politikerin Franziska Giffey, ihr Amt als Wirtschaftssenatorin von Berlin angetreten. Der Vorgänger Stephan Schwarz (parteilos) übergab ihr am Freitag die Amtsgeschäfte und zeigte ihr das neue Büro in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe in unmittelbarer Nähe des Schöneberger Rathauses.
„Ich freue mich über das Ressort“, sagte Giffey. „Wir haben das gut miteinander besprochen. Wir haben diskutiert, was es braucht für Berlin“, erklärte die 44-Jährige. „Du bist natürlich immer herzlich willkommen“, sagte sie zu Schwarz. Der 57-Jährige hatte vor rund einer Woche seinen Rückzug aus der Politik bekannt gegeben.