Corona-Krankschreibungen

Berlins Lehrer beschweren sich über Schikane

Herzkranker Lehrer musste um Befreiung vom Präsenzunterricht kämpfen

Teilen
Mutmaßlich schikanierter Lehrer: „Mein Hausarzt hat mir den Präsenzunterricht strengstens untersagt.“
Mutmaßlich schikanierter Lehrer: „Mein Hausarzt hat mir den Präsenzunterricht strengstens untersagt.“

Wie ein „Drückeberger“ habe er sich gefühlt, berichtet ein Lichtenberger Berufsschullehrer, der zur Corona-Risikogruppe gehört. Um ein arbeitsmedizinisches Attest zu erhalten, das ihm bestätigt, dass der Präsenzunterricht für ihn ein zu hohes Risiko bedeuten würde, musste der Mann bei der dispo-Tf Medical & Safety GmbH, einem „Zentrum für Arbeitsmedizin und Arbeitssicherheit“, einen halbstündigen Prozess durchlaufen. Und der hört sich in seiner Schilderung vor allem nach einem an: Schikane.

„Es war für mich von vornherein ganz klar, dass dieser Arzt mir meine Krankheit nicht bestätigen will – warum, darüber kann ich nur spekulieren“, berichtet der Mann, der zuvor eigenen Angaben zufolge in neun Jahren Tätigkeit an seiner Schule nur zweimal wegen Krankheit gefehlt hatte. „Und das, obwohl ich ein eindeutiges Attest meines Hausarztes dabei hatte, der mir den Kontakt im Präsenzunterricht strengstens untersagt.“

Der Mann hat Kammerflimmern, mehrere Herzoperationen hinter sich und einen Stent im Herzkranzgefäß – was den Arbeitsmediziner nach seiner Schilderung nicht beeindruckte: „Er hat mir von Anfang an klar gemacht, dass aus seiner Sicht Hausärzte ihren Patienten auf Wunsch solche Atteste ausstellen, egal, ob sie wirklich krank genug sind oder nicht. Das hat er mir gegenüber ganz offen kommuniziert.“

Erst als er sich so echauffiert hatte, dass der Arzt bei ihm einen erhöhten Blutdruck feststellen und auch Herzgeräusche vernehmen konnte, sei ihm das Attest schließlich ausgestellt worden. Nach der Erinnerung des Mannes mit den Worten: „Da haben Sie in Dreiteufelsnamen das, was Sie wollen.“ Vorher, so der Mann, habe der Arzt sogar gedroht, den Termin abzubrechen, weil er laut geworden sei. „Es ging um Einschüchterung“, glaubt der Lehrer.

Wie viele sind noch betroffen?

Wurden vorerkrankte Lehrkräfte unter Druck gesetzt, sich nicht vom Präsenzunterricht befreien zu lassen? Ist die Zahl derer, die ihre Arbeit nun auf andere Weise verrichten, deshalb so überraschend niedrig – 5,6 Prozent bei den berufsbildenden, 3,1 Prozent bei den allgemeinbildenden Schulen, obwohl Gewerkschaften und Verbände vorher von etwa 15 Prozent ausgegangen waren? Die Senatsschulverwaltung bestreitet das. Viele Lehrkräfte kämen trotz Vorerkrankungen freiwillig in die Schule oder es seien individuelle Lösungen für sie gefunden worden, sagte ein Sprecher.

Die dispo-Tf Medical & Safety GmbH, von der Senatsschulverwaltung mit der Durchführung der arbeitsmedizinischen Begutachtungen für die berufsbildenden Schulen beauftragt, äußerte sich trotz mehrfacher Anfrage nicht zu den Schilderungen des Lehrers. Und auch nicht zu der Frage, ob es seitens der Senatsschulverwaltung einen Auftrag zu besonders scharfer Prüfung gegeben habe.

Immerhin: Zu Hunderten schikaniert wurden Berlins berufsbildende Lehrkräfte wohl eher nicht. Ronald Rahmig zumindest hat bisher nichts Negatives über die Untersuchungen bei der dispo-Tf Medical & Safety GmbH gehört. „Wenn es da im größeren Stil Krach gegeben hätte, wäre das bei mir angekommen“, sagte der Vorsitzende des Vereins Berufliche Bildung in Berlin (BBB) der Berliner Zeitung am Freitag.

Andererseits sei die Zahl der Menschen, die die Dienste der Firma in Anspruch nehmen mussten, seiner Meinung nach sowieso sehr überschaubar. Rahmig leitet das Oberstufenzentrum Kraftfahrzeugtechnik in Charlottenburg und hat selbst nur eine Lehrkraft im Kollegium, die von zu Hause aus unterrichtet, weil sie durch eine Ansteckung mit dem Coronavirus besonders gefährdet wäre. Zum arbeitsmedizinischen Dienst geschickt habe er den Kollegen nicht. „Und soweit ich weiß, sind auch an den meisten anderen Schulen für solche Fälle individuelle Lösungen gefunden worden“, sagte Rahmig.

Zweifel an den Zahlen

Der stellvertretende Vorsitzende des Gesamtpersonalrats für die allgemeinbildenden Schulen, Dieter Haase, beäugt die überraschend niedrige Risikogruppen-Fallzahl der Senatsschulverwaltung mit Misstrauen. Nur 3,1 Prozent, also rund 1000 Lehrkräfte, sind laut der Behörde nicht im Präsenzunterricht einsetzbar. Und ein Drittel davon wiederum sei im „alternativen Präsenzunterricht“, wie ein Sprecher erklärte: „Diese Lehrkräfte erstellen also Stundenpläne, Unterrichtsmaterialien oder unterrichten vorerkrankte Kinder zu Hause.“

Für Haase ist ärgerlich, dass die Senatsschulverwaltung ihm nur Prozentzahlen präsentiert, nicht die absoluten Zahlen. „3,1 Prozent berlinweit, darunter kann man viel kaschieren“, sagte Haase. Auf Anfrage, wie es in den einzelnen Bezirken aussieht, verschickt die Senatsschulverwaltung ebenfalls nur Prozentzahlen – mit Stand vom 13. August, vier Tage nach Schulbeginn, als viele Schulleitungen ihre Personalgespräche noch gar nicht führen konnten, geschweige denn Zeit hatten, der Schulaufsicht Auskunft zu erteilen. Durchschnittlich dürften pro Bezirk etwa 100 Lehrkräfte und um die 30 Erzieherinnen an den Schulen fehlen, schätzt Haase – an manchen mehr, an manchen weniger.

Die offenen Stellen, die schon vor Corona nicht zu knapp waren, sind da noch gar nicht eingerechnet. „Das Problem ist, dass viele Schulen mit einer personellen Unterdeckung ins neue Schuljahr gestartet sind“, sagte Haase. „Die Erzieherinnen und Lehrkräfte arbeiten jetzt schon am Limit, und die krankenintensiven Monate kommen erst. Ein Konzept der Senatsschulverwaltung können wir nicht erkennen.“ An einer geplanten Stellenausschreibung für einen „Ersatz-Pool“ für Schulpersonal hat der Gesamtpersonalrat deshalb bewusst noch nicht mitgewirkt. „Das ist Unsinn“, sagte Haase. 72 Stellen für Erzieherinnen seien geplant gewesen – dabei fehlten rund 440. „Außerdem ist der Markt leer“, so Haase. Kommende Woche wolle man sich dazu mit Staatssekretärin Beate Stoffers (SPD) austauschen.