Eine halbe Million Menschen beim CSD in Berlin erwartet: Warum dieser Christopher Street Day besonders wichtig ist
Hunderte Hassverbrechen in Berlin, die Dunkelziffer ist enorm: Auch dagegen wird am Sonnabend mit einer großen Sause protestiert.

Viele Jahre war der Christopher Street Day (CSD) vor allem eine ausgelassene Sommerparty: Egal ob queer oder nicht, mitfeiern konnte jeder und jede, und anders als bei vielen anderen Großveranstaltungen war die Grundstimmung friedlich, tolerant und nicht aggressiv. Diese besondere Atmosphäre zog auch viele an, die weder schwul noch lesbisch, weder bi noch trans sind: Eine Million Leute waren beim letzten großen CSD 2019 dabei. 2020 fiel die Veranstaltung coronabedingt aus, 2021 sollen insgesamt 65.000 Menschen teilgenommen haben.
Viele trauten 2021 der Corona-Situation nicht, und auch dieses Jahr zögern viele, die gerne dabei wären, aber angesichts steigender Infektionszahlen noch unschlüssig sind. Dennoch rechnen die Veranstalter mit einer halben Million Menschen, die zur diesjährigen Parade zum 44. Christopher Street Day (CSD) am Sonnabend in Berlin erwartet werden. So viele Teilnehmende meldete der veranstaltende Verein nach Angaben vom Donnerstag bei der Berliner Versammlungsbehörde an. „Wir hoffen, dass so viele kommen, und freuen uns über alle, die spontan dazukommen“, erklärte der CSD-Verein weiter.
CSD 2022 in Berlin startet an der Leipziger Straße, Lederer vertritt coronapositive Regierende Giffey
Rund um den CSD finden viele Partys statt, überwiegend in Clubs, wo Leute sehr eng zusammenkommen, und nicht zuletzt deshalb wird ziemlich weit oben auf der offiziellen CSD-Webseite vor Affenpocken gewarnt. Die weitaus größere Gefahr geht aber von den steigenden Corona-Zahlen aus: 870 Menschen liegen derzeit mit Corona-Erkrankung in Berliner Kliniken, das sind 268 mehr als in der Woche zuvor. 64 davon liegen schwer krank auf Intensivstationen, und es werden immer mehr.
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Deshalb rät die Berliner Gesundheitsverwaltung, sich in größeren Gruppen besser draußen zu treffen, wie eben zu der Berlin Pride, der großen Parade und Open-Air-Party, die um 11.30 Uhr an der Leipziger Straße 50 startet und nach sieben Kilometern irgendwann am frühen Abend am Brandenburger Tor eintreffen wird. Die Eröffnungsrede sollte ursprünglich die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) halten, doch sie steckt nach einem positiven Corona-Test in häuslicher Quarantäne. Nun vertritt sie Kultursenator Klaus Lederer (Linke), was viele aus der Community ohnehin passender finden, schließlich gehört er ihr an.
CSD 2022 in Berlin gegen Hunderte Hassverbrechen, Beleidigungen, Körperverletzungen
Dieses Jahr ist der CSD deutlich politischer als in den Vorjahren: Die Demonstration für die Rechte und die Anerkennung der queeren Community steht in diesem Jahr unter dem Motto „United in Love – Gegen Hass, Krieg und Diskriminierung“. Dabei geht es nicht um Parolen, sondern um ernüchternde Fakten: Den Ukraine-Krieg einmal ausgenommen, beeinträchtigen Bedrohungen und erlebte Gewalt das Leben vieler queerer Menschen.
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Über Doxing und andere Bedrohungen aus dem Internet gegen trans Personen hatte der Berliner Kurier gerade berichtet. Inzwischen ermitteln auch in diesem Fall Polizei und Staatsanwaltschaft. Nicht weniger als 645 Verfahren zu sogenannten Hassverbrechen mit Bezug auf die sexuelle Identität oder Orientierung der Geschädigten waren zuletzt anhängig, wobei viele Straftaten aus Angst überhaupt nicht angezeigt werden. 64 Täter wurden 2021 verurteilt.
CSD 2022 in Berlin erinnert an historische Stonewall-Proteste: Polizei stürmte Schwulenbar
Dabei geht es nicht allein um üble Beleidigungen und Volksverhetzung, die sich etwa gegen trans Personen richten, sondern auch um grausame Körperverletzungen. In der Hauptstadt gibt es laut einer Tagesspiegel-Recherche bundesweit die mit Abstand meisten Ermittlungen zu solchen Delikten. Bundesbeamten zufolge ist dies darauf zurückzuführen, dass hier das Bewusstsein ausgeprägter ist, solche Taten anzuzeigen. Anders als in vielen anderen Bundesländern gibt es seit vielen Jahren in Berlin Ansprechpartner für queere Personen bei Polizei und Staatsanwaltschaft, die Erfahrung im Umgang mit solchen Anfeindungen haben.
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Der CSD erinnert an historische Proteste queerer Menschen gegen einen homophob motivierten Polizeieinsatz in den USA: Am 28. Juni 1969 hatte die Polizei die Schwulenbar Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street gestürmt. Es folgten tagelange schwere Zusammenstöße zwischen Aktivisten und Sicherheitskräften. Der Aufstand gilt als Geburtsstunde der modernen Schwulen-, Lesben- und Transbewegung.