Berliner Künstler: Jetzt gehen sie für mehr Corona-Hilfe auf die Straße
Am Wochenende wollen zahlreiche Menschen aus der Berliner Kulturszene demonstrieren. Viele stehen vor dem Bankrott, weil es nicht genug finanzielle Hilfen gibt.
8.08.20, 16:16 Uhr | Von Florian Thalmann
Diese Berlinerinnen und Berliner organisieren die Demo am kommenden Sonntag.Foto: Berliner KURIER / Markus Wächter
Es gibt Berufszweige, die noch schwer mit der Corona-Krise zu kämpfen haben. Schwer gebeutelt ist etwa die Kunst-Szene: Musiker, Artisten und Schauspieler, aber auch Veranstalter stehen vor dem Ruin. Nun gehen die Betroffenen auf die Straße.
Eine bunte Parade soll am 9. August durch die Stadt ziehen – mit allerlei Künstlern, die sonst für Unterhaltung sorgen. Momentan sind sie vor allem eines: wütend. „Anderen Leuten wird geholfen, damit sie die Krise überstehen. Aber wir werden vernachlässigt“, sagt Katharina Micada, die zu den Organisatoren der Demo gehört.
Vier Künstler, vier Geschichten: So erlebten sie die Krise
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Fabio Zimmermann, 31, Jongleur und Akrobat „Am Anfang des Lockdowns habe ich das alles etwas heruntergespielt. Ich dachte zuerst: Als Selbstständiger bin ich daran gewöhnt, dass man auch mal für eine gewisse Zeit Pause hat. Den ersten Monat habe ich deshalb genossen. Aber dann war der Drang, zu trainieren und aufzutreten, wieder da. 2020 sollte für mich eigentlich das goldene Jahr werden. Ich wollte im Stil der 20er-Jahre auftreten, habe viel in Website, Kostüme, Requisiten investiert. Corona hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Soforthilfe ist momentan aufgebraucht, nun bekomme ich Hartz IV. Ich merke auch bei vielen Kollegen, dass die Ängste vor der Zukunft sehr groß sind. Ein enger Kollege von mir hat sich in der Zeit das Leben genommen. Es ist eine Zeit der Extreme. Künstler wird man aus Leidenschaft – nun müssen wir alle dafür sorgen, dass Leidenschaft kein Leid erschafft. Deshalb ist es mir wichtig, auf die Straße zu gehen.“
Berliner Zeitung / Markus Wächter
Petra Tobies, 52 Jahre alt, Luft-Artistin „Zu meinem Job kam ich über eine Zirkusschule – mich hat von Anfang an begeistert, dass man Sport und Kreativität so gut miteinander kombinieren kann. Ich habe mich in 30 Berufsjahren nie gelangweilt. Jetzt sind alle Auftritte weggebrochen, aber ich habe das Glück, dass ich in einem Bauwagen wohne und deshalb keine Miete zahle. Deshalb konnte ich die Zeit nutzen, um an meinem neuen Programm zu arbeiten. Naturlich werde auch ich irgendwann Angst bekommen, wenn es nicht weitergeht. Mehr Sorgen macht mir, dass wir Künstler auch für Gesellschaftskritik zuständig sind und das im Moment nicht leisten können. Trotzdem hoffe ich, dass die Krise auch eine Chance ist – und dass sie beispielsweise dafür sorgt, dass endlich an den finanziellen Ungerechtigkeiten zwischen der freien Kulturszene und den staatlichen Theatern gerüttelt wird.“
Berliner Zeitung / Markus Wächter
Matthias Fischer, 51 Jahre alt, Komiker bei den „Collins Brothers“ „Als die Corona-Krise kam, standen mein Partner und ich gerade im Wintergartenauf der Bühne, in der ersten 20er-Jahre-Show, eine tolle Produktion. Zwei Monate haben wir daran gearbeitet, am 27. Februar war Premiere – und im März Schluss. Bis Ende August wäre die Show gelaufen. Für uns bedeutet das: Totalschaden. Als Artist ist man immer glücklich, wenn man ein Engagement hat und für ein paar Monate abgesichert ist. Aber nun passiert einfach überhaupt nichts. Wir schöpfen seit langem wieder Motivation aus der Organisation unserer Demo, wir haben endlich wieder eine Aufgabe. Ich habe etwas Angst davor, dass unser Zusammenhalt in der Kunst-Szene durch die Krise zerbricht. Wir arbeiten alle zusammen, aber nun muss jeder sehen, wo er unterkommt.“
Berliner Zeitung / Markus Wächter
Lena Köhn, 40 Jahre alt, Jongleurin „Als die Corona-Krise begann, war ich gerade auf einer längeren Tournee. Ich war schon ziemlich erschöpft und freute mich beinahe über die Pause – allerdings hätte niemand geglaubt, dass daraus eine so lange Unterbrechung wird. Nun sind alle Aufträge weggeplatzt, teilweise bis Ende 2021. Es kommt keine neuen Anfragen mehr, keine Mails. Es ist frustrierend. Und: Auch viele Engagements, auf die man sich sehr gefreut hat, sind weg. Wir sollen nun neue Projekte entwickeln – aber mit welcher Kraft, welcher Energie, welchem Geld? Auch psychologisch ist die jetzige Situation schwierig. Ich hätte einfach gern mal wieder ein Erfolgserlebnis. Ich bin froh, dass ich ein stabiles soziales und familiäres Netz habe und dort aufgefangen werde. Aber das hat nicht jeder.“
Berliner Zeitung / Markus Wächter
Aufträge und Engagements brachen weg, als die Kulturbetriebe zu Beginn der Krise schlossen. Die erste Soforthilfe-Runde, bei der pro Person 5000 Euro ausgezahlt wurden, sei noch hilfreich gewesen, doch seitdem herrscht Ebbe in der Kasse. Denn die Reserven sind aufgebraucht – und in der zweiten Runde gab es zwar 9000 Euro, diese durften aber nur für Betriebskosten verwendet werden. „Aber die haben wir nicht. Wir müssen vor allem unsere Lebenshaltungskosten bezahlen können“, sagt Micada.
Berlin schmückt sich immer mit der vielfältigen Kunstszene. Aber es ist doch immer so: Wenn eine Krise kommt, wird zuerst der Schmuck verkauft.
Fabio Zimmermann, Jongleur und Akrobat
Unverständlich sei auch, dass es ein 50 Milliarden Euro schweres Soforthilfe-Paket der Bundesregierung gibt, davon wurde aber ein großer Teil noch nicht ausgeschüttet. Stattdessen werde auf die Grundsicherung verwiesen. „Kunst wird nicht als systemrelevant anerkannt“, sagt Fabio Zimmermann, der als Jongleur und Akrobat arbeitet. „Berlin schmückt sich mit der vielfältigen Kunstszene. Aber wenn eine Krise kommt, wird zuerst der Schmuck verkauft.“
Viele Künstler hätten sich bereits andere Jobs suchen müssen, um überleben zu können. Eine Gefahr – auch für die gesellschaftliche Aufgabe der Kunst. „Wir sind auch dafür da, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten und Diskussionen anzustoßen“, sagt Artistin Petra Tobies. „Aber wenn sich alle mit Nebenjobs durchschlagen müssen, kann es zukünftig auch keine Gesellschaftskritik mehr geben.“
Am Sonntag gehen die Künstler auf die Straße. Der Zug setzt sich um 13 Uhr am Kudamm in Bewegung, um 17 Uhr ist eine Kundgebung am Brandenburger Tor geplant. „Wir wünschen uns ein Existenz-Geld, mit dem wir unseren Lebensunterhalt decken können“, sagt Katharina Micada. Und, genauso wichtig: Man brauche eine Perspektive. Denn die Künstler gehörten zu den Ersten, die in der Pandemie auf dem Abstellgleis landeten. Und sie werden mit die Letzten sein, die in ein normales Leben zurückkehren können.