Grabräuber, Vandalen, Geldmangel: Wie die Geschichte von Angermünde einfach so zerbröselt
Der städtische Friedhof birgt einen Schatz historischer Begräbniskultur: 161 denkmalgeschützte Mauergräber geben Einblick in die Regionalgeschichte. Doch ihr Erhalt ist gefährdet.

Es ist ein echtes Trauerspiel: Historisch wertvolle Mauergräber drohen umzustürzen, Zierelemente zerfallen, Inschriften verblassen. Und Grabräuber klauen auf dem städtischen Friedhof Angermünde, was noch ganz und wertvoll ist. Jugendstil-Grabplatten, Sandsteinsäulen, Skulpturen. Geschichte zerfällt, so lange, bis nichts mehr zu retten ist. Vielerorts, nicht nur in der Uckermark. Doch hier sieht man exemplarisch, was passiert, wenn das Geld fehlt. Die Stadt Angermünde sucht jetzt dringend Unterstützung für den Erhalt der historischen Erbbegräbnisstätten.
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Dass Gefahr im Verzug ist, lässt sich am Mauergrab des Bildhauers Albert Manthe unschwer erkennen. Es droht nach hinten umzukippen und wird an der Rückseite deshalb provisorisch von Stützbalken gehalten. Für drei der am stärksten verfallenen Begräbnisstätten wurde ein Sanierungskonzept erstellt. Allein 340.000 Euro würde die Umsetzung kosten.
Grabräuber stahlen schon Jugendstil-Grabplatten, Sandsteinsäulen und Skulpturen
„Wir haben mehrere Stiftungen angeschrieben, einige haben bereits absagt“, erzählt die Angermünder Bauingenieurin und Denkmalschützerin Kristina Eberler, fest entschlossen, die Rettung fortzusetzen. „Damit hätte schon vor 30 Jahren begonnen werden müssen“, sagt Michael Deinert, erst seit 2017 Friedhofsverwalter in Angermünde. Er hat die Idee für Grab-Patenschaften, doch die finanziellen Probleme seien damit nicht zu lösen, weiß er.

Neben dem Verfall machen den Verantwortlichen auch Plünderer Sorgen: Das Bronzemedaillen mit dem Abbild der Ehefrau Manthe wurde bereits gestohlen. An anderen Mauergräbern fehlen Jugendstil-Grabplatten, Sandsteinsäulen, Skulpturen. Neuester Klau: Die metallene Feuerschale, die auf einem Sockel vor dem für knapp 200.000 Euro frisch restaurierten Moschel-Mausoleum thronte, ist verschwunden.
Begraben ist hier auch „China-Müller“, der in Shanghai das große Geld machte
Wer über den parkähnlichen Friedhof in Angermünde schlendert, kann viel über die Regionalgeschichte des Ortes erfahren. Individuell gestaltete, zwei bis drei Meter hohe Mauern, dekoriert mit kunstvollen Reliefs, Medaillons, Skulpturen oder auch dorischen Säulen und Obelisken, offenbaren bei näherer Betrachtung, wer in den Grüften darunter bestattet liegt. Der Lebkuchenbäcker Carl Bardeleben und seine Familie fanden hier ihre letzte Ruhe, ist auf den Grabplatten an den Mauern zu lesen. Ebenso der Uhrmacher Heinrich Müller, in Angermünde einst „China-Müller“ genannt, weil er in Shanghai das große Geld machte, bevor er als Pensionär in seine Heimat zurückkehrte und dort stellvertretender Bürgermeister wurde.
Insgesamt gibt es 161 dieser sogenannten Mauergräber, die statt einer Friedhofsmauer das Areal am Rande Angermündes säumen. „Dabei handelt es sich um Erbbegräbnisstätten, die von der Stadt mit Gründung des Friedhofes 1877 an reiche Bürger verkauft oder verpachtet wurden. Sie konnten die Fläche individuell gestalten und zeigten, was sie sich leisten konnten“, erklärt Friedhofsverwalter Michael Deinert. „In ihrer Geschlossenheit und Gestaltung sind die Angermünder Mauergräber besonders in Brandenburg“, sagt Denkmalschützerin Kristina Eberler.

Sie verweist auf eine Expertise des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege, nach der den historischen Angermünder Erbbegräbnisreihen aufgrund ihrer bewahrten Vielfalt und Vollständigkeit ein „exponierter Rang“ im Land eingeräumt wird. Sie bezeugten exemplarisch den damals wachsenden Anspruch bürgerlicher Kreise, durch repräsentativ gestaltete Grabstätten der Nachwelt ihren gesellschaftlichen Rang vor Augen zu führen, heißt es.
Mauern wanken, Zierelemente zerbröseln, Inschriften verblassen
Deinert und Eberler engagieren sich für den Erhalt der unter Denkmalschutz stehenden Mauergräber auf dem mehrfach erweiterten 11,5 Hektar großen Friedhof. Denn die Gräber sind in ihrem Bestand bedroht: Mauern wanken, Zierelemente zerbröseln, Inschriften verblassen.
In den meisten Fällen gibt es keine Erben mehr, die sich um die historischen Grabstätten kümmern würden. „Nach Ablauf der Ruhefrist von jeweils 80 Jahren gingen die Mauergräber in das Eigentum der Stadt über“, erklärt Deinert. Angermünde sei mit den Kosten für den Erhalt allerdings überfordert.
„Zuzusehen, wie die Mauergräber verfallen, lässt einem das Herz bluten“, begründet Eberler ihr Engagement. Ausbleibende Reparatur und Pflege sowie Vandalismus hätten zu Schäden an vielen Wandgräbern geführt, Sicherungs- und Restaurierungsmaßnahmen seien dringend erforderlich, konstatiert auch das Landesamt für Denkmalpflege.

Die prunkvollste Begräbnisstätte auf dem Angermünder Friedhof, die der Emaillierwerk-Besitzer Wilhelm Moschel 1913 für seine verstorbene Ehefrau hatte errichten lassen, ist das Vorzeige-Objekt der Mauergräber-Retter, ein imposanter, mehrere Meter hoher Ziegelbau mit Kuppel, Stuckdecke, goldenem Mosaikfries und Sandsteinfassade.
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„Der Landkreis Uckermark und das Land Brandenburg haben uns aufgrund des baukünstlerischen Wertes dabei finanziell unterstützt“, sagt der Friedhofsverwalter, der die wiederhergestellte, begehbare Gruft unter dem Mausoleum künftig für Urnenbestattungen nutzen möchte. Denn die Gebeine der Moschels liegen inzwischen in einem Massengrab auf dem Angermünder Friedhof. Sowjetische Soldaten hatten sie nach Recherchen Deinerts 1945 auf der Suche nach Wertvollem aus der Gruft gezerrt und liegengelassen. Sie waren später nicht mehr eindeutig zuzuordnen.

„Friedhöfe sind auch Erinnerungsplätze für Persönlichkeiten der Stadtgeschichte. Ein Spaziergang hier ist wie der Gang durch das Gedächtnis der Stadt“, sagt der Regionalhistoriker Ralf Gebuhr, Leiter des Museums „Haus Uckermark“ in Angermünde. Gemeinsam mit Friedhofsverwalter Deinert hat er 2019 mit Führungen über den Friedhof entlang der Mauergräber begonnen, um die frühere Bestattungskultur wieder lebendig zu machen. Die Resonanz sei sehr gut gewesen, bestätigen beide. Aufgrund der Corona-Pandemie musste Gebuhr jedoch Stadtführungen jeglicher Art aussetzen.