Belebung einer Scheintoten

Fußgängerzone Friedrichstraße: So wird die Mitte Berlins umgebaut +++ Alle Fragen, alle Antworten +++

Mehr Fußgänger, weniger Autos auf der Friedrichstraße. So soll Berlins Mitte fit für die Zukunft gemacht werden. 

Teilen
Visualisierungen der Planungen für Frühjahr 2023: Bis zum Frühjahr 2023 wird die Fußgängerzone Friedrichstraße durch Stadtgrün und Stadtmöbel aufgewertet, um die Qualität des Aufenthalts und des Flanierens zu erhöhen. 
Visualisierungen der Planungen für Frühjahr 2023: Bis zum Frühjahr 2023 wird die Fußgängerzone Friedrichstraße durch Stadtgrün und Stadtmöbel aufgewertet, um die Qualität des Aufenthalts und des Flanierens zu erhöhen. Visualisierung: Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz

Zweiter Versuch für eine autofreie Friedrichstraße – diesmal aber richtig. Ab Montag wird ein Teilstück der Friedrichstraße zwischen Leipziger Straße und Französischer Straße zu Fußgängerzone. Gelingt so die Belebung einer Scheintoten? 

Lesen Sie auch: Jetzt gibt es Zoff im Senat: Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey ist sauer über Jaraschs Friedrichstraßen-Sperrung>>

Auf 500 Metern sollen dann Fußgänger vor allen anderen Verkehrsteilnehmern Vorrang haben. Die Revitalisierung der einst belebten Einkaufsstraße ist eines der Umbauziele. Problem: Gesperrt wird jetzt, aber der Plan für den endgültigen Umbau liegt noch nicht vor. Für die Umsetzung sind erst für den Haushalt 2026/27 3 Millionen Euro eingeplant.

Kontroverse um autofreie Friedrichstraße - sind weitere Klagen möglich?

Die im November vorigen Jahres angekündigte Umwidmung des Teilabschnitts der Friedrichstraße  folgt auf einen Verkehrsversuch, der hier stattgefunden und für Kontroverse gesorgt hatte, und stellt das Vorhaben nun auf rechtssichere Beine. Mit dem sofortigen Vollzug der Umwidmung sind zwar Klagen möglich, sie haben aber keine aufschiebende Wirkung.  Anja Schröder, Weinhändlerin aus der benachbarten Charlottenstraße, schloss ein weiteres Gerichtsverfahren nicht aus. Der Handelsverband Berlin-Brandenburg und der Gastronomie-Verband Dehoga wollen jetzt gemeinsam mit dem Bündnis der Anrainer gegen die Pläne der Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) vorgehen.

Wann beginnt der Umbau zur Fußgängerzone?

Ab kommenden Montag gilt in der Fußgängerzone auch ein Parkverbot. Noch am Freitag sollen nach Beschilderungen aufgestellt werden, die darauf hinweisen. Von Montag an werden in der Fußgängerzone Friedrichstraße zunächst „hochwertige Sitzmöbel“ aufgestellt (800.0000 Euro wurden dafür ausgegeben), im Frühjahr wird es dann grün auf dem halben Kilometer. Perspektivisch ist ein umfassender und endgültiger Umbau geplant. „Von der 2. Februar-Woche an steht die Straße dann den Menschen zur Verfügung“, so die Senatorin. 

Damit mehr Menschen sich gern in der Friedrichstraße aufhalten, sollen Autos draußen bleiben. 
Damit mehr Menschen sich gern in der Friedrichstraße aufhalten, sollen Autos draußen bleiben. Senatsverwaltung für Umwelt, Mob

Gibt es schon eine Planung für den endgültigen Umbau?

Nein, noch nicht mal das Verfahren steht dafür fest. Eine Möglichkeit ist ein Gestaltungswettbewerb mit Jury und ein Auswahlverfahren gemeinsam mit der Senatsbauverwaltung. Über das Thema soll nach Jaraschs Vorschlag unmittelbar nach der Wiederholungswahl am 12. Februar gesprochen werden. Bis zum Ende der Umgestaltung werde es mehrere Jahre dauern – ob zwei oder fünf lasse sich derzeit noch nicht sagen, so die Grünen-Politikerin. Zu den Plänen für die Fußgängerzone gibtb es eine Reihe kritischer Reaktionen: Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hält Jarasch vor, die Aktion sei nicht im Senat abgestimmt gewesen. „Ich halte diesen Alleingang auch nicht für durchdacht.“

Was ist das große Ziel des Umbaus in Berlins Mitte?

Warum Bettina Jarasch mitten im Endspurt des Wahlkampfs eines ihrer am heftigsten kritisierten Projekte umsetzt, will man in der Pressekonferenz  von der Verkehrssenatorin und Kandidatin für den Bürgermeisterposten wissen. Weil die Entwicklung von Berlins historischer Mitte wichtig sei, sagt Jarasch. International sei man in den Metropolen der Welt längst dabei, die Innenstädte grüner, fußgängerfreundlicher und klimaresistenter zu gestalten. Für Berlin habe sie den gleichen Plan. 

Lesen Sie auch: Zu wenige Ostdeutsche an der Spitze von Bundesbehörden>>

Die neue, alte Fußgängerzone war zwar im Verkehrsversuch zunächst nicht auf viel Liebe gestoßen. Einige Händler, vor allen aus Nebenstraßen vor Ort, klagten sogar. Bei den Befragungen der Fußgänger auf der Straße  sprach sich aber eine deutliche  Mehrheit für einen autofreien Straßenabschnitt aus.

Dürfen in der Fußgängerzone Friedrichstraße auch Radfahrer fahren?

Nun, wo die Teilumwidmung der Straße in rechtssicheren Tüchern ist, wolle man bei der Gestaltung aus den Fehlern, die der Versuch aufgezeigt habe, lernen, so Mittes Bezirksstadträtin Almut Neumann. Einen Rad(schnell)weg soll es daher in der neuen Fußgängerzone nicht geben. Der Radverkehr soll vielmehr in der extra eingerichteten, parallel verlaufenden Charlottenstraße fließen. Fußgänger haben in der Friedrichstraße Vorrang. 

Anstelle der Radwege auf der Friedrichstaße sollen nun Fußgänger Vorrang haben. 
Anstelle der Radwege auf der Friedrichstaße sollen nun Fußgänger Vorrang haben. Paul Zinken/dpa/Archivbild

Im Versuch hatte es viel Kritik an durchrasenden Radfahrern gegeben, die den Fußgängern ein Flanieren unmöglich machten. Für die neue Friedrichstraße ist Entschleunigung Programm. Radfahrer dürfen zwar zunächst auf dem Abschnitt fahren, doch nur in Schrittgeschwindigkeit. „Wir werden beobachten, ob das funktioniert“, so Bettina Jarasch. Wenn nachgebessert werden müsse, sei aber auch ein Verbot für Radfahrer denkbar.

Dürfen Gastronomen Tische nach draußen stellen?

Um die Aufenthaltsqualität weiter zu verbessern, soll die ansässigen Händler und Gastronomen viel Außengastronomie anbieten. Der Senat hat dafür eine Planungsbüro beauftragt. Hier sollen die Anliegen der Anrainer gesammelt,  gehört und organsiert werden. Es soll regelmäßige Treffen geben. Die Koordinatorin des Büros bo_backoffice soll weiterhin Genehmigungen in Sachen Sondernutzung von Straßenland schneller organisieren helfen und bei der Durchführung von Festen, Festivals, Kunst und Kultur in der Fußgängerzone zur Seite stehen. Alles, damit mehr Leben auf die Straße kommt. Wo sich mehr Menschen gerne aufhalten, profitiert auch der lokale Handel, so das Kalkül.

Der Einzelhandelsmix in der Friedrichstraße trifft nicht überall die Bedürfnisse der Kunden.  
Der Einzelhandelsmix in der Friedrichstraße trifft nicht überall die Bedürfnisse der Kunden. Visualisierung: Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz

Kann man bald autofrei zum Gendarmenmarkt flanieren?

Perspektivisch soll auf der Friedrichstraße eine neue Piazza entstehen, eine ebene Fläche ohne Bürgersteige mit Bäumen in Kübeln (wegen der unterirdischen U-Bahn) ist denkbar. Ebenso eine Verbindung mit Berlins schönstem Platz, dem Gendarmenmarkt.

Lesen Sie auch: Leere Flughallen: Am BER ist Warnstreik – und keiner geht hin>>

Fallen Parkplätze in der Friedrichstraße weg?

Ganz ohne Einschnitte geht so ein Umbau nicht vonstatten. Es fallen Parkplätze weg, ja. Doch sei die Anzahl vergleichsweise überschaubar. Von den gut 2000 Parkplätzen im Karree befinden sich 1300 in Parkhäusern, 700 am Straßenrand. Von den insgesamt verfügbaren Plätzen entfallen vier Prozent, rechnet die Verkehrsverwaltung vor. Bei Erhebungen seien die Parkplätze auf den Straßen zu durchschnittlich 82 Prozent ausgelastet gewesen. Nimmt man die Parkplätze in den Parkhäusern noch dazu, ergab sich eine Auslastung von 64 Prozent.

Wer darf alles in der Fußgängerzone fahren?

Auch an den Lieferverkehr macht die neue Friedrichstraße Zugeständnisse, Lieferwagen dürfen die Zone queren. Dies soll wendende und rückwärtsfahrende LKW reduzieren und so die Verkehrssicherheit erhöhen. Rettungsfahrzeige und Müllabfuhr haben selbstverständlich Durchfahrtsrecht.

Lesen Sie auch: Drama in Wunstorf: Polizei sucht nach vermutlich totem 14-Jährigen – Gleichaltriger unter Mordverdacht!>>

Wo in der Stadt können weitere Zonen entstehen?

 Es wird diskutiert, ob am Breitscheidplatz die Sicherheitspoller nicht durch Elemente, die die Aufenthaltsqualität erhöhen, ersetzt werden können. Der Checkpoint Charlie soll fußgängerfreundlicher werden, ebenso der Hackesche Markt und der Boulevard Unter den Linden.

„Die historische Mitte verdient mehr Aufmerksamkeit“, so Bettina Jarasch. Einige Dinge müsse man umsetzten, und zwar richtig, bevor man beurteilen könne, ob sie funktionieren. Vor 20 Jahren etwa hätte sich niemand vorstellen können, dass keine Autos mehr durch das Brandenburger Tor fahren würden, heute sei das Gegenteil der Fall. Ob sich die Friedrichstraße mit ihrem neuen Gewand wohl fühlt und die Berliner und die Gäste der Stadt sie annehmen, wird sich erst in der Rückschau zeigen.