Der Anschlag auf Ferat Kocaks Wagen Anfang Februar 2018. 
Der Anschlag auf Ferat Kocaks Wagen Anfang Februar 2018.  Foto: Ferat Kocak/Die Linke

Brandanschläge, Hass-Parolen und Bedrohungen - rechtsextremistische Straftaten in Berlin-Neukölln haben bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Die Ermittlungen waren lange erfolglos. Auch vom Prozess sind Betroffene enttäuscht.

Einer der beiden Hauptangeklagten im Prozess um eine Serie rechtsextremer Straftaten in Neukölln soll für eineinhalb Jahre in Haft. Das Amtsgericht Tiergarten hat den 36-jährigen Sebastian T. am Dienstag wegen Sachbeschädigung und Betrugs verurteilt. Vom Vorwurf der Brandstiftung - dem zentralen Punkt der Anklage - wurde aber auch er freigesprochen. Es gebe Indizien, sagte Richterin Ulrike Hauser am Dienstag. Für eine zweifelsfreie Verurteilung habe das dem Gericht aber nicht gereicht. „Es fehlt ein Indiz, dass das alles zusammenbringt“, so die Richterin.

Kein Zweifel über rechtsradikale Gesinnung

Der zweite Hauptangeklagte Tilo P.  (39) war bereits im vergangenen Dezember vom Hauptvorwurf der Brandstiftung freigesprochen worden. Ihn verurteilte das Gericht lediglich wegen Sachbeschädigung in neun Fällen zu einer Geldstrafe von 4500 Euro (150 Tagessätze zu je 30 Euro). Für eine Beteiligung an den Brandanschlägen auf zwei Autos von Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, hat das Gericht bei keinem der Männer genügend Beweise gesehen. An einer rechten Gesinnung der beiden - einer war früher in der NPD, der andere im AfD-Vorstand - hatte es aber keine Zweifel.

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Keinen Grund für eine Aussetzung der Strafe auf Bewährung

Angesichts des aus seiner Gesinnung resultierenden Verhaltens und früherer Vorstrafen sah das Gericht keinen Grund, die Strafe zur Bewährung auszusetzen. Es gebe keine günstige Sozialprognose, meinte Richterin Hauser. „Es geht so weiter. Da hat sich nichts geändert.“ Derzeit befindet sich der 36-Jährige auf freiem Fuß. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Der Linke-Politiker und Nebenkläger Ferat Kocak, dessen Wagen in der Nacht zum 1. Februar 2017 in Flammen aufging&nbsp; (Archivfoto).&nbsp;
Der Linke-Politiker und Nebenkläger Ferat Kocak, dessen Wagen in der Nacht zum 1. Februar 2017 in Flammen aufging  (Archivfoto).  Pressefoto Wagner

Der Linke-Politiker und Nebenkläger Ferat Kocak, dessen Wagen bei einem Anschlag in Flammen aufging, zeigte sich vom Prozess enttäuscht. „Ich will keinen Hehl daraus machen, dass dieses Urteil mich nicht überrascht“, sagte er am Dienstag. Von Anfang an habe es seitens der Strafverfolgungsbehörden Versäumnisse gegeben. Es sei „unerträglich“, dass niemand für den Anschlag zur Verantwortung gezogen worden sei. „Mein Vertrauen in Staat und Justiz ist schwer geschädigt.“

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Die Generalstaatsanwaltschaft hat gegen das erste Urteil Berufung eingelegt. Im aktuellen Prozess hatte sie insgesamt vier Jahre Haft gefordert. Wie schon im Fall des mutmaßlichen Komplizen hatten die Oberstaatsanwältinnen Pamela Reinsdorff und Eva-Maria Tombrink detailliert ihre Indizienkette vor Gericht erläutert.

Indiz dafür, dass die Angeklagten politische Gegner ausspionierten

Ihre Erkenntnisse stützten sie vor allem auf die Auswertung von Daten aus sichergestellten Handys und Laptops. Eine Liste mit Daten von mehr als 500 Menschen galt etwa als Indiz dafür, dass die Angeklagten politische Gegner ausspionierten. Der Berliner Verfassungsschutz war den Männern damals auf den Fersen - doch kurz vor den Brandanschlägen hörte die Beobachtung auf.

Die rechtsextremen Anschläge - vor allem zwischen 2016 und 2019 - beschäftigen Polizei und Justiz seit Jahren. Mehr als 70 rechtsextreme Straftaten hatten die Ermittlungsbehörden seit 2013 in Neukölln gezählt. Erst 2021 erhob die Generalstaatsanwaltschaft Anklage. Diese erfasste nur einen Bruchteil der Vorfälle, zentraler Vorwurf war die Brandstiftung auf die zwei Autos. Ursprünglich waren fünf Männer angeklagt. In den vergangenen Monaten waren diese bereits zu Geldstrafen wegen Sachbeschädigung verurteilt worden.

Mit den rechtsextremen Brandanschlägen, Hass-Parolen und Bedrohungen in Neukölln beschäftigt sich auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses.