Franziska Giffey (l., SPD) und Bettina Jarasch (Bündnis 90/Die Grünen) zoffen sich inzwischen in aller Öffentlichkeit.
Franziska Giffey (l., SPD) und Bettina Jarasch (Bündnis 90/Die Grünen) zoffen sich inzwischen in aller Öffentlichkeit. dpa/Jörg Carstensen

Nach der Wahl ist vor der Wahl. In Berlin könnte sich das nun viel schneller bewahrheiten als gedacht. Am 16. November entscheidet der Verfassungsgerichtshof des Landes, ob die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus vom September 2021 wegen zahlreicher Pannen wiederholt werden muss. Das gilt als sehr wahrscheinlich. Und so hat schon vor dem Urteil der Wahlkampf begonnen.

Folge: In der erst vor rund zehn Monaten gebildeten rot-grün-roten Koalition mit Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) knirscht es gerade gewaltig. Vor allem SPD und Grüne beharken sich. Jüngstes Beispiel ist der öffentlich ausgetragene Disput zwischen Giffey und ihrer Stellvertreterin, Umwelt- und Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne), über das Projekt einer autofreien Friedrichstraße.

Die ist nahe dem Gendarmenmarkt für Autos tabu, obwohl ein gut einjähriger Verkehrsversuch dazu im Oktober 2021 auslief. Jarasch will die Sperrung unumkehrbar machen und hat deshalb eine Umwidmung der Straße zur „Flaniermeile“ auf den Weg gebracht. Bis das erledigt ist, so das Verwaltungsgericht in einem am Dienstag mitgeteilten Beschluss, muss die Sperrung für Autos aufgehoben werden. Giffey forderte nach einer Senatssitzung, den Gerichtsbeschluss zügig umzusetzen.

So, wie es bisher gelaufen sei, könne es nicht funktionieren. Jarasch, die wegen Urlaubs nicht an der Sitzung teilnahm und die Sperrung der Straße nicht aufheben will, mochte diese Breitseite nicht auf sich sitzen lassen. „Ich bin nicht sicher, ob Franziska Giffey genau verstanden hat, worum’s bei diesem Urteil ging“, befand sie im Interview der RBB-„Abendschau“.

Jarasch betonte, es gehe „ausschließlich darum, dass Zeit verstrichen ist zwischen dem Ende des Verkehrsversuchs und der endgültigen Teileinziehung, so nennt man die Sperrung für den Autoverkehr“. Und fügte auf die Frage, ob das schon Wahlkampf sei, hinzu: „Also für die Verkehrswende bin ich in diesem Senat zuständig.“

Offener Machtkampf zwischen der Regierenden Bürgermeisterin Giffey und der grünen Mobilitätssenatorin Jarasch

Unklar ist, wie dieser offene Machtkampf zwischen der Regierenden Bürgermeisterin Giffey und der grünen Mobilitätssenatorin Jarasch ausgeht. Fest steht, hinter den Koalitionskulissen knallt’s. Aber nicht nur in dieser Frage. Auch bei anderen Themen herrscht dicke Luft.

So fordert die grüne Gesundheitssenatorin Ulrike Gote seit zwei Wochen vehement, die Corona-Maskenpflicht auszuweiten, die bisher auf den ÖPNV und das Gesundheitswesen beschränkt ist. Am Dienstag scheiterte sie damit im Senat vorerst: Im Moment sei eine solche Maßnahme weder nötig noch begründbar, so der Tenor Giffeys wie auch der Linken. Dem vorausgegangen sei eine sehr kontroverse Debatte, die Differenzen habe man nicht ausräumen können, hieß es aus Senatskreisen.

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Die Nickeligkeiten, die zuletzt auch schon in den Diskussionen um eine Nachfolgelösung für das 9-Euro-Ticket und bei anderen Themen zu beobachten waren, werfen die Frage auf, wie handlungsfähig der Senat und die Koalition eigentlich noch sind. Droht der Stadt bis zum neuen Urnengang, der unter Wahrung einer Frist von 90 Tagen nach dem Urteil wohl am 12. Februar 2023 stattfinden würde, politischer Stillstand?

Für Oppositionsführer Kai Wegner (CDU) ist die Sache klar. „Diese rot-grün-rote Zwangsgemeinschaft ist geprägt von Misstrauen, Missgunst und Streit“, sagt er. „In der momentanen Situation allerdings kann sich die Stadt eine solche Art des Regierens nicht erlauben.“