Gastwirte und Pensionen am Limit
Fischsterben: Soll ich an die Oder, oder lieber nicht? Der Tourismus an der Oder leidet massiv – ein Besuch in der Einsamkeit
Seit der Umwelt-Katastrophe, deren Ursache noch immer nicht ganz geklärt ist, bleiben die Gäste aus. Gastwirte, Vermieter und viele andere Menschen in der Region stellt das nach Corona und Schweinepest vor große Probleme.

Halb zwölf mittags. Die blauen Stühle auf dem Deich im Kienitzer Hafen stehen akkurat. Bisher hat sie heute noch kein Gast verschoben. In der Gaststube nehmen die beiden Mitarbeiterinnen ihr frühes Mittagessen ein, es gibt Hamburger Schnitzel. Hinter der Theke: Kerstin Rochlitz. Die 22-Jährige ist die Tochter des Besitzer des Hauses mit einer über 100 Jahre langen Tradition. Eines Tages will sie den Gasthof einmal übernehmen. Doch ein Gasthof braucht Gäste und die bleiben seit der Oder-Katastrophe Anfang August, mit Tonnen von toten Fischen im Fluss, aus.
Viel Platz für Radfahrer auf dem Oder-Neiße-Radweg
Während wir auf den blauen Stühlen auf das Bestellte warten – lieber kein Fisch, das ist drin in den Köpfen – kann man die Radler, die auf dem Oder-Neiße Radweg vorbei kommen, an zwei Händen zählen. Sonst tummeln sich hier die Ausflügler und man bekommt kaum einen Platz.
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Wie kommen wir über den Winter, fragen sich viele an der Oder nach dem Fischsterben
„Klar, die Saison endet jetzt“, sagt Kerstin Rochlitz. Doch dass so wenige Gäste kommen, ist schon ungewöhnlich. Mit Sorge blickt sie auf den kommenden Herbst und den Winter. Im Winter macht der Radtourismus an der Oder Pause. Aber im Herbst kommen normalerweise viele Angler, manchmal sogar in Gruppen, um Quappen zu fischen.
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Von November bis Februar ziehen die Fische sonst durch die Oder. In diesem Jahr haben die Angler die Pensionszimmer am Hafen und auch die Zeltplätze storniert. „Das Geschäft mit den Anglern bringt uns sonst auch im Winter Einnahmen“, sagt Kerstin Rochlitz. Doch seit der Katastrophe ist alles anders in Kienitz und entlang der Oder. Nicht nur Gastronomen leben von den Touristen.

Ein bisschen weiter die Dorfstraße hinunter, am Panzerdenkmal links, befindet sich seit 2019 der Kienitzladen. Odette und Frank erleben ihre vierte Saison hier – nach Corona sorgt nun das Fischsterben für neue Verzweiflung. Im Kienitzladen gibt es alles, was die Touristen, die in den 14 Pensionen in der Umgebung und auf den Campingplätzen brauchen könnten. Leckereien, Mitbringsel, Lebensmittel, Getränke. Vieles davon aus der Region. Einen Supermarkt gibt es in Kienitz schon lange nicht mehr. „Wir haben es Anfang August sofort gemerkt“, sagt Odette. „Es war auf einmal so still auf der Straße.“

„Beim Fischer auf dem Campingplatz in Kuhbrücke stand in der Hochsaison auf einmal nur noch ein einziges Wohnmobil.“, erzählt Odette. Im Gasthaus „Vier Jahreszeiten“ haben die Betreiber eine Woche lang auf Gäste gewartet und keiner kam. Odette und Frank hatten Tage, da haben sie 13 Euro verdient – und das mitten in der Saison. „Das deckt gerade mal die Stromkosten“, sagt Odette. Von den gestiegenen Kosten für Energie ganz zu schweigen. „Wir wissen nicht, wie wir über den Winter kommen.“
Anwohner haben Fragen zum Fischsterben an der Oder
Bei den Einwohnern häufen sich weitere Fragen: Warum ist noch immer keine Ursache für das Fischsterben gefunden? Was ist mit dem Grundwasser in der Gegend? Warum starben auch in der Alten Oder die Fische? Auf der Suche nach Ansprechpartnern fühlt sich Odette allein gelassen. Nach der entbehrungsreichen Corona-Zeit ist bei einigen das Vertrauen in die Politik gleich null. Die Kraft, sich gegen all die Widrigkeiten zu stemmen, sie schwindet.

Auch Barbara Brunat denkt manchmal darüber nach, ob sich das alles noch lohnt. Das alles ist ein idyllisches, 20 000 Quadratmeter großes Naturgrundstück, mit sechs Schäferwagen und eine Hütte, in denen Gäste übernachten können. Das alles ist außerdem ein Hofladen und eine Schafherde, das alles, das ist eigentlich ihr Traum.
Halb so viele Buchungen wie sonst
Als die toten Fische erst in Frankfurt, dann in Lebus und eine Tag später auch in Kienitz auftauchten, hat sie die Gäste auf dem Hof informiert. „Die blieben zunächst cool“, erinnert sie sich. Dann gehen wir eben nicht baden, hätten sie gesagt. Auch die Radler zogen ihre Touren wie geplant durch. Doch nachdem die Gäste weg und die Nachricht von der Katastrophe bundesweit bekannt war, blieb es bei Brunats einfach still. Knapp die Hälfte weniger Buchungen gäbe es seitdem, schätzt Barbara Brunat. Auch für den Herbst sind noch viele Wochenenden frei. Gerade sind zwei von sieben urigen Unterkünften belegt, das ist sonst ganz anders.
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Am Wochenende gibt es auf dem Erlenhof immer Kaffee und Kuchen. „Den letzten Kuchen haben wir alleine aufgegessen“, sagt Barbara Brunat. Und noch mehr fällt ihr ein, das aus dem Lot geraten ist. Die Wolle müsste viel öfter durchwühlt werden, sonst kommen die Motten, der Schafskäse im Kühlschrank ist nicht unbegrenzt haltbar. Einer Reinigungskraft mussten sie schon kündigen. Auch die Schafsherde ist dezimiert. Es regnet nicht genug für Futter für alle. Eins kommt zum anderen.

„Es dauert lange, eine gute Infrastruktur für Gäste in einer Region aufzubauen“, sagt Barbara Brunat. Doch schnell ist Vertrauen zerstört. Das Oderbruch ist reich an Landschafts-Schätzen und doch eine arme Region. Die Gastwirte und Viermieter hier wissen, dass sie nur gemeinsam eine Chance haben. Sie empfehlen sich gegenseitig, stimmen Öffnungszeiten ab, alles damit die Gäste sich wohl fühlen und wieder kommen.
Touristische Infrastruktur am Oder-Neiße Radweg ausbaufähig
„Es ist so traurig, dass nun auch noch dieses Unglück dazu kommt“, sagt Kerstin Rochlitz im Gasthof am Hafen. Am Oder-Neiße Radweg sei die Infrastruktur für Touristen ausbaufähig. Gaststätten müssten ihre Öffnungszeiten nun weiter reduzieren, oft fehle es an Personal. Dennoch glaubt sie fest daran, dass im nächsten Sommer die Menschen wieder an den Fluss kommen.
„Die Umweltkatastrophe wird langfristig Auswirkungen haben, wo wir gegensteuern müssen“, sagte auch die Geschäftsführerin des Tourismusverbandes Seenland Oder-Spree, Ellen Russig vor Kurzem. Wann am Fluss wieder geangelt wird und Kanus fahren, ist weiter offen.

Die Boote liegen an diesem Donnerstag auch auf dem Naturerlebnishoff Uferloos auf dem Trockenen. Auch hier zuletzt eher weniger Gäste. Doch Steffi Bartel hat auch so alle Hände voll zu tun. Seit der Katastrophe haben sich die Menschen an der Oder zusammengetan. Von hier aus haben sie Aktionen geplant, die Oder in rotes Licht getaucht etwa.
Aktion an der Oder: Musik und Konzerte an den Ufern des Flusses
Für den 4. September ruft die eigens gegründete Bürgerinitiative dazu auf, Konzerte und Musik entlang des gesamten Oder-Ufers zu veranstalten. Die Menschen, die am und mit dem Fluss leben, machen sich laut gegen den geplanten Ausbau der Oder stark. „Lasst den Fluss einfach in Ruhe“, sagt Steffi Bartel. Direkt vor ihrer Tür vom Deich aus, da wo sie sonst jeden Morgen schwimmen ging, sieht die Oder friedlich und völlig intakt aus. Im Hafen von Kienitz blühen Wasserpflanzen, Vögel kreisen, die Stille und der weite Himmel sind unheimlich schön.

„Die akute Krisenlage ist vorbei“, sagt Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel. Nutztiere dürfen wohl ab diesem Freitag wieder mit Oderwasser getränkt werden. Bis Ende September soll der Abschlussbericht einer deutsch-polnischen Expertengruppe über die Ursachen für das Fischsterben vorliegen. Für Barabara Brunat, Steffi Bartel, Kerstin Rochlitz, Odette und Frank und all die anderen Menschen die entlang der Oder von Touristen leben ist die Krise nicht vorüber. Sie sind noch mittendrin.
