FDP-Experte klagt an: Senat und Bezirke sind an Änderungen nicht interessiert
Der Abgeordnete Henner Schmidt analysiert die Lage und macht Vorschläge, wie man sie verbessern kann.

Einen neuen Personalausweis beantragen? Eine Baugenehmigung bekommen? Eine Ampelanlage errichten? Einen Plan für den Umgang mit Corona in Schulen vorlegen? Wahlen organisieren und durchführen? In Berlin dauert alles viel zu lange, und häufig geht es schief. Die Stadt wird ob ihrer Verwaltungsmängel bundesweit verhöhnt, Berlin könne alles, außer alles. Der KURIER fragte den scheidenden FDP-Abgeordneten Henner Schmidt, der Vorsitzender eines Verwaltungsreform-Ausschusses des Abgeordnetenhauses war, wie er die Lage sieht.
Herr Schmidt, der frühere Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat kürzlich im RBB den Zustand der Berliner Verwaltung beklagt. Haben Sie genickt, gelacht oder beides?
Ich habe mich geärgert, weil die Zustände schon zu Regierungszeiten Wowereits bekannt waren. Und nichts ist seither passiert.
Was ist in Ihrer Wahrnehmung das zentrale Problem?
Es gibt keine klaren Zuständigkeiten und gleichzeitig viel zu viele Stufen, die vor einer Entscheidung stehen. Ehe in Berlin ein Zebrastreifen angelegt wird, sind die Akten über mindestens ein halbes Dutzend Schreibtische gegangen. Oder die Wasserbetriebe müssen einen Antrag stellen, wenn sie bei einem Rohrbruch eine Baustelle einrichten wollen.
Bezirke wissen nicht, wann und warum der Senat hineinregiert
Es ist im Zusammenspiel von Senat und Bezirken auch nie eine Klärung erfolgt, wer letztlich entscheidet und verantwortlich ist. Für die Bezirksämter ist es beispielsweise nicht kalkulierbar, ob und unter welchen Bedingungen der Senat in ihre Entscheidungen eingreift oder nicht.
Seit Jahrzehnten wird über Berlins Verwaltung debattiert, es gab Kommissionen, Gesetze und seit 2018 existiert ein Staatssekretär für Verwaltungsmodernisierung. Zuletzt dauerte es aber zehn Monate, dass ein Gesetz verabschiedet wurde, das die Struktur der Bezirksämter vereinheitlicht. Ist es ein Irrtum, dass die letzte für den Bürger wahrnehmbare Reform die Zusammenlegung der Bezirke im Jahr 2001 war?
Das ist kein Irrtum. Es wurden über die Jahrzehnte immer wieder die gleichen Vorschläge gemacht, aber es ging wie bei der im September verabschiedeten Bezirksamtsreform nur in Trippelschritten voran.
Sie haben bis 2011 den Verwaltungsreform-Ausschuss geleitet, der dann verschwand. Die Mitglieder aller Parteien hatten sich viel Mühe gemacht, wurden aber in Senat und Abgeordnetenhaus zunehmend als sektiererisch verspottet. Woran lag das?
Es waren hochkomplizierte Themen, man musste tief in die Prozesse einsteigen, und am Ende sind wir vielen auf die Füße getreten, deren Macht wir beschneiden wollten.
Es ist bequem ohne Verantwortung
Die Erkenntnis, dass die zweistufige Verwaltung aus Bezirken und Senat nicht funktioniert, ist alt. Warum aber gibt es so viele Widerstände gegen Änderungen, und von wem?
Zweistufigkeit ist eigentlich gut, weil sich eine Senatsverwaltung beispielsweise nicht um eine lockere Gehwegplatte in Treptow kümmern kann. Aber die Zuständigkeiten sind eben nicht sauber getrennt: Alle können mitreden und mitentscheiden, aber wenn etwas schiefgeht, ist keiner verantwortlich. Leider können beide Seiten, Senat und Bezirke, damit gut und bequem leben.
Warum wehren sich die Berliner nicht gegen das Chaos, belassen es beim Meckern?
Weil die Bürgerinnen und Bürger in der Regel nicht verstehen, wer für was zuständig ist. Die Entscheidungsstrukturen in der Berliner Verwaltung sind so undurchsichtig, dass niemand weiß, wo er draufhauen müsste.
Berlins Behörden steht eine Pensionierungswelle bevor, aber der Landesrechnungshof hat die Methoden der Personalplanung des Senats für Bezirke und Hauptverwaltungen in seinem letzten Jahresbericht heftig kritisiert. Warum bekommt man nicht einmal das geregelt?
Es gibt keine zentrale Personalplanung, jedes Fürstentum wurschtelt für sich. Dabei wäre eine zentrale Verantwortlichkeit essenziell, weil die Sparpolitik beendet wurde und wieder Leute eingestellt werden. Um Wissen weiterzugeben, müssten die neuen Beamten und Angestellten parallel zu den alten arbeiten. Das plant aber niemand. Das würde auch Geld kosten. Ich erwarte, dass die Leistungen beispielsweise in den Bürgerämtern noch schlechter werden, wegen zu wenig qualifiziertem Personal.
Die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) will einen „Verfassungskonvent“ einberufen, um eine funktionierende Verwaltung zu schaffen. Wie sehen Sie die Erfolgsaussichten?
Es wird das x-te Gremium, das sich mit dem Thema befasst. Es kann nur funktionieren, wenn vorher klar ein Zeitrahmen und ein Ziel festgelegt werden. Vor allem muss am Ende ein Gesetz formuliert sein. Sonst kommt wieder nur ein Bericht heraus, der in der Schublade landet.
Wären Sie der König von Berlin, was würden Sie tun?
Ich würde verordnen, dass eindeutig festgelegt wird, wofür der Senat und wofür die Bezirke verantwortlich sind. Ich würde eine präzise, zentrale Personalplanung einführen. Ich würde die Personalentwicklung verbessern, mit Qualifizierung der Mitarbeiter und Rotation durch die Verwaltungen. Ich würde die vorhin beschriebene Überbürokratisierung beenden, und vor allem das politische Bezirksamt einführen.
Warum das?
Bezirksbürgermeister und Stadträte werden bislang nach Proporz besetzt, jede Partei erhält nach ihrer Stärke in der Bezirksverordnetenversammlung Posten. Damit sind die Bezirksämter nicht handlungsfähig – und die Bürger wissen nicht, wen sie für gute Leistung loben oder wegen schlechter Amtsführung abwählen sollten. In einem politischen Bezirksamt dagegen bestimmt die Mehrheit der BVV dessen Mitglieder, und es wird den Wählern deutlich, welche Parteien gut oder schlecht gearbeitet haben.