Klaus R. kam am am Freitag erstmals ohne Handschellen und Wachtmeister in den Gerichtssaal. Ende Dezember war sein Haftbefehl aufgehoben worden.<br>
Klaus R. kam am am Freitag erstmals ohne Handschellen und Wachtmeister in den Gerichtssaal. Ende Dezember war sein Haftbefehl aufgehoben worden.
Foto: Olaf Wagner

Es ist das erste Mal seit langem, dass Klaus R. an diesem Freitag nicht aus der Untersuchungshaft geholt wird. Der 62-Jährige kommt von zu Hause, betritt den Gerichtssaal ohne Handschellen, ohne Wachtmeister an seiner Seite. Er nimmt im Saal neben seinen Anwälten Platz. Dabei wirft die Staatsanwaltschaft dem einstigen Gerüstbauer Mord vor. Vor nunmehr 33 Jahren soll er Annegret W. in deren Neuköllner Wohnung nach einer versuchten Vergewaltigung umgebracht haben, vor den Augen ihres zweijährigen Sohnes.

Im September 2019 wurde Klaus R. in einem ersten Prozess wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Der Angeklagte ging in Revision. Mit Erfolg: Der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf und verwies den Fall an eine andere Schwurgerichtskammer. Und nun sieht es ganz so aus, als könnten die Richter den Angeklagten freisprechen. Denn Ende Dezember hob die Kammer den Haftbefehl gegen Klaus R. überraschend auf. Es gebe keinen dringenden Tatverdacht mehr, begründeten die Richter ihre Entscheidung. Klaus R., der seit dem 15. November 2018 in Untersuchungshaft saß, kam auf freien Fuß.

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Laut Anklage war Annegret W. am 18. September 1987 in ihrer Wohnung attackiert worden. Der Täter habe sich an jenem Vormittag Zutritt zur Wohnung der 30-jährigen Mutter von zwei Kindern verschafft und versucht, sie zu vergewaltigen. Der Täter soll den Versuch jedoch aus unbekannten Gründen abgebrochen haben. Aus Angst vor Entdeckung tötete er die Frau, so die Anklage.

Annegret W. war mit einem weißen Pullover erdrosselt worden. Der Täter hatte ihr anschließend ein Messer in den Hals gerammt. Die Ermittler gingen davon aus, dass der zweijährige Sohn Christian Zeuge der Tat geworden war. Das Kind soll das Messer aus dem Hals seiner Mutter gezogen und ins Wasser der Küchenspüle gelegt haben.

War Klaus R. wirklich der Mörder?

Lange Zeit versuchten die Mordermittler, das Verbrechen aufzuklären. Vier Jahre nach der Tat war der Fall ein Cold Case, das Verfahren wurde eingestellt. Erst 2015 rollten Fahnder der für ungeklärte Mordfälle zuständigen Abteilung des Berliner Landeskriminalamtes den Fall wieder auf. Dabei wurden auch sichergestellte Spuren von damals noch einmal überprüft. Mit neuen Methoden konnten Experten DNA-Spuren von der Kleidung der Toten einem Tatverdächtigen zuordnen: Klaus R. Seine Daten befanden sich seit den 1980er-Jahren wegen verschiedener Straftaten in der Datenbank. Erst vier Monate vor dem Tod von Annegret W. war der Mann aus der Haft entlassen worden.

Doch ist er wirklich der Mörder der zweifachen Mutter? Die Anwälte des Angeklagten erklärten zu Beginn des neuen Prozesses, ihr Mandant sei nicht schuldig. Im ersten Verfahren habe man Indizien „passend gemacht“. So wurden im Mund der getöteten Frau Spermaspuren entdeckt, die nicht vom Angeklagten stammten. Bei der Aufhebung des Haftbefehls betonte die Kammer, diese Spuren würden zum Partner der Frau passen, der jedoch am Morgen des Tattages zur Arbeit gegangen sei. Als Täter könne ein unbekannter Dritter nicht ausgeschlossen werden.

Klaus R. hat zugegeben, Annegret W. gekannt zu haben. Die Vorwürfe aus der Anklage bestreitet er. An diesem Freitag berichtet er dem Gericht kurz aus seinem Leben. Er habe einen Sohn, der mittlerweile 24 Jahre alt sei. Letztmalig sei er 1997 aus der Strafhaft entlassen worden. Danach sei „gar nichts mehr“ gewesen. Nach einer halben Stunde ist der Prozesstag auch schon wieder vorbei. Der Angeklagte geht nach Hause.

Am 21. Januar sollen die Plädoyers gehalten werden. Es könnte auch schon zu einem Urteilsspruch kommen. Die Staatsanwaltschaft soll bereits Ende Dezember angekündigt haben, im Falle eines Freispruchs für Klaus R. gegen das Urteil Revision einlegen zu wollen.